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Rauf auf die Brille!

■ „Gosh“ aus Berlin: Eine akrobatischer Rockzirkus mit viel Musik im Schlachthof

Hinterher stehen sie immer vor der Tür und diskutieren. „Das mit dem Torwart fand ich am besten“ oder: „Hab' ich die beiden Akrobatinnen nicht schon mal im Fernsehen gesehen?“ Bloß vom Pantomimen Detlev Winterberg auf dem Klo redete hinterher niemand.

Wer aber kennt das nicht? Der Drang zur Entsorgung der letzten Mahlzeit wird zum Alptraum. Zunächst scheint der Darm wie verknotet, dann, nach erfolreicher Verrichtung, fehlt es am Notwendigsten. Das Papier ist alle. Alles Drehen und Winden hilft nichts, es muß etwas geschehen. Aber die Kette der Spülung reißt. Jetzt hilft kein dummes Gesicht mehr. Hose hoch, nun ist es sowieso egal, umgedreht, es bleibt nur die Flucht.

Aber die Klo-Tür klemmt. Die Furcht vor der Katastrophe wird Wirklichkeit. Rauf auf die Brille, das wär' doch gelacht, wenn nicht ein Entkommen über die Wände der Kabine möglich wäre. Squatsch, schon taucht das Standbein ins Eingemachte, aus Ekel erwächst inbrünstige Wut. Die Beine werden schwach, das kann doch alles nicht wahr sein, denkt er sich wohl, und: Gott hilf mir, ich muß mich stützen, au Scheiße, jetzt hab' ich's auch noch an der Hand. Ich werd' verrückt, ich will hier 'raus.

So ist Gosh. Artistiktruppe aus Berlin, jetzt abgestiegen im Schlachthof (bis zum 31. Juli). Perfekt geht alles daneben, damit sich das Publikum frohgemut auf die Schenkel klopfen kann. Im vorigen Jahr waren sie schon einmal in Bremen, das Programm hat sich wenig geändert, und trotzdem ist mehr Schwung in der Show. Fast wie bei Barnum & Bailey in den USA treiben die zwölf AkteurInnen in jeder Ecke der Schlachthof-Bühne ihr Spektakel voran. Detlev Winterbergs Toiletten-Desaster ist eine der wenigen Nummern, die allein für sich stehen. Fast immer ist irgendwo noch etwas anderes los. Die sechsköpfige Band treibt das Geschehen mal vor sich her, mischt sich in den Trubel und bestimmt dann ganz den Fortgang der Ereignisse.

Ganz besonders herzig ist die Show mit liebevollen Details dekoriert. Der kahlköpfige Träumer-Poet (“Wenn der holde Frühling glänzt“) schäkert da angeregt mit einer ebenso unbehaarten Schaufensterpuppe. Dahinter das Plastikgärtchen ist ein kunstvolles Idyll. Und der laufenden Trapeznummer der Kriskats unterlegt der Poet eine Kunstrasenmatte mit Schießbudenblümchen.

Gosh ist kein Variete, kein Rock-Act und kein Zirkus, aber alles zugleich. Die Jonglagen, Kunststückchen und Tanzakrobatiken haben den gewissen Charme des Anderen. Bei Jandls „manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein illtum“, rezitiert von einem Jongleur im Frack, da sagte ein Vater zu seinem Sohn: „Das gucken wir uns nächstes Jahr wieder an.“ Lobsang Samten

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