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Die Heimat kämpft um ihre Milchbärte

■ Neue Töne beim Fußball-Zweitligisten Hertha BSC: Der Absteiger will Berliner Eigengewächse fördern

Wedding (taz) — „Selbstverständlich sind wir um 22.10 Uhr in Tegel“, freut sich Hertha-Manager Reinhard Roder mitsamt Vereinspräsidium auf den Sonntagabend. Um diese Zeit, wenn die 16jährigen B-Junioren des Vereins vom Deutschen Endspiel aus Frankfurt/Main zurückkehren, soll eine neue Ära des Clubs aus Wedding beginnen. Egal wie die blau-weißen Youngsters im Finale gegen Eintracht Frankfurt abschneiden — die Hertha-Führung, noch gerüttelt von der katastrophalen Personalpolitik des vergangenen Jahres, will in Zukunft verstärkt auf (Berliner) Talente setzen.

„Ich konzentriere mich ganz auf den Nachwuchs“, meint sarkastisch ein im Kampf um die Profilizenz ergrauter Schatzmeister Heinz Streik. „Ein gut geführter Club muß eine vorbildliche Jugendarbeit betreiben“, bilanziert hingegen der gelernte Betriebswirt Reinhard Roder Soll und Haben seines schwer verschuldeten Arbeitgebers. Doch längst haben die Transfersummen für gestandene Berufsspieler inflationäre Ausmaße angenommen. Selbst für einen Amateur, der ins Profilager überwechselt, muß ab Mitte der 90er Jahre fast 100.000 an seinen früheren Club überwiesen werden. Zur Zeit ist in der Regel gerade mal die Hälfte fällig.

Bisher galten die Berliner Fußball-Kids als beliebte Beute westdeutscher Talentsucher aus Leverkusen, Köln oder München. Blutjunge Hoffnungsträger von der Spree, wie Pierre Littbarski und Christian Ziege ( Hertha Zehlendorf), Thomas Häßler (Reinickendorfer Füchse) oder Rüdiger Vollborn (Blau-Weiß 90), schnürten ihre Kickerschuhe im Juniorenalter bereits an Rhein oder Isar.

„Es wird Zeit, daß sich die jungen Leute bewußt werden, daß sie in Berlin eine sportliche Heimat finden“, fordert Manager Roder. Daß dazu spendable Sponsoren gehören, die heimatliche Gefühle mit Arbeitsplatz, Handgeld, Führerschein oder Opel Manta zu erwecken verstehen, gilt als Binsenwahrheit. Da wettert der Hertha-Manager vergeblich gegen die „immer dicker werdenden Geldkoffer“ in den Jugendabteilungen — der Poker um die Spielerpässe der umworbenen Balljungen mit Milchbärten ist längst entbrannt. „Ich kenne die Juniorenmannschaft des SC Siemensstadt sehr gut“, zeitigt Hertha-Profitrainer Bernd Stange bereits erste Lernerfolge. Drei Akteure des Berliner Juniorenmeisters „unter 18 Jahren“ wechselten zum Saisonstart vom Rohrdamm in den Nachwuchskader von Hertha BSC. Zwei weitere Neu-Herthaner, Daniel Lehmann und Niko Kovac von der kleinen „Hertha“ aus Zehlendorf (Amateueroberliga), unterschrieben mit ihren 19 Lenzen gar Verträge als Berufsfußballer.

Doch den Exodus begabter Newcomer aus Berlin konnte die Talentoffensive von Roder& Co freilich (noch?) nicht verhindern: Kay Wenschlag (Rotation) sowie Markus Kolbuch (Hertha Zehlendorf) wechselten zu Otto Rehhagel nach Bremen, Martino Gatti zog es zum FC. St. Pauli, während Junioren-Nationalspieler Torsten Bernhardt (FC Berlin) beim Hamburger SV vor Anker ging. Wem wird als erster der Durchburch bei den alten Herren gelingen? Jürgen Schulz

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