Fridays for Future: Anders über Landwirtschaft reden

Klimaaktivist*innen und immer mehr Landwirt*innen fordern einen Neustart in der europäischen Agrarpolitik.

Wünscht sich auch eine bessere Agrarpolitik Bild: Jonathan Bölz/Unsplash

Ein Gastbeitrag von LUCIA PARBEL und TILMAN VON SAMSON, Fridays for Future

Es gab dieses Jahr eine kurze Zeit, in der sich auf einmal wirklich viele Leute für Landwirtschaft interessiert haben. Das war, als es um den Spargel ging. Ein paar Tage lang sorgten sich viele Deutsche um ihren geliebten Spargel, einige sogar so sehr, dass sie forderten, wir Schüler*innen und Student*innen sollten auf die Felder gehen, um ihn zu stechen. Dann wendete sich das Blatt, es durften doch noch Saisonarbeiter*innen einfliegen und damit war das Thema gegessen.

Dabei passieren gerade viel bedeutendere Dinge als die Spargelernte: Am 20. Mai stellte die EU-Kommission ihre Ideen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft vor. Aber über das Papier mit dem Namen „Farm to Fork-Strategie“ wird kaum geredet. Das ist gefährlich in der Klimakrise: Konservative und der Bauernverband nutzen die Coronakrise und das mangelnde Interesse an Agrarpolitik, um die Klimapolitik der EU noch weiter zu verwässern. Deshalb müssen wir dringend lernen, ganz neu über Landwirtschaft reden. Nur so können wir sie gemeinsam zukunftsfest machen. Bisher ist sie alles andere als das.

Dafür sprechen drei Gründe: Zunächst hat die Art, wie wir bisher über Landwirtschaft debattiert haben, zu nichts geführt als zu verhärteten Fronten. Zweitens kann es nicht so weitergehen wie bisher: Höfesterben, Artenschwund und steigende Emissionen sprechen eine deutliche Sprache. Und Drittens ist die derzeitige Landwirtschaft nicht nur untätig gegenüber all diesen Problemen, nein, viel schlimmer: Sie ist ein Trauerspiel der verschenkten Klimachancen.

Mindestens 10 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Europa kommen aus der Landwirtschaft. Das wissen die Wenigsten, dabei ist das mehr als die gesamte europäische Industrie ausstößt. Es ist glasklar, dass sich das ändern muss. Hinter der Forderung nach einem Umbau der Landwirtschaft steht aber noch viel mehr: echte Hoffnung. Wir müssen Emissionen aus der Atmosphäre zurückholen und sie im Holz von Bäumen oder als Humus im Boden fixieren, um Nettonull zu erreichen. Für das 1,5 Grad-Ziel ist das unvermeidbar. Die Landwirtschaft ist ein unverzichtbarer Klimapuffer.

Verantwortung liegt bei den Politiker*innen

Allerdings entspricht die derzeitige Idee von Landwirtschaft – möglichst viel zu produzieren, um es möglichst günstig zu verkaufen – genau dem Gegenteil. Mit den derzeitigen Praktiken – von industrieller Tierhaltung bis zu Soja-Importen aus Südamerika – erst recht. Es ist nur so: Die Verantwortung für diese Praktiken liegt nicht allein bei den Landwirt*innen. Sie liegt an aller erster Stelle bei den Politiker*innen.

Landwirtschaftspolitik ist in Europa nicht Sache der Mitgliedsländer, sondern sie wird zentral geregelt. Mit einem unter Nicht-Landwirt*innen ziemlich unbekannten Programm: der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik, kurz GAP. Die GAP regelt die Verteilung der Subventionen für Landwirt*innen in allen Mitgliedsländern der EU. Gut 40 Prozent des EU-Haushaltes werden für die GAP verplant – damit ist sie eines der größten Subventionsprogramme der Welt. Bisher funktioniert sie nach dem Prinzip Gießkanne: Wer mehr Fläche hat, bekommt mehr Geld. Kaum Geld gibt es, um Landwirt*innen beim klimagerechten Umbau ihrer Höfe zu unterstützen.

Die aktuelle findet GAP keinerlei Antworten auf die Klimakrise. Deshalb ist die derzeitige Agrarpolitik eine Bedrohung für unsere Zukunft. Die Veröffentlichung der „Farm to Fork“-Strategie ist ein Versuch diese Antworten zu finden. Jedoch ist völlig unklar, welchen Einfluss sie auf die GAP haben wird, denn beide Prozesse laufen getrennt voneinander ab. Eine Absurdität des Politikbetriebs, denn fest steht: Ohne einen Neustart in der GAP ist der europäische Green Deal zum Scheitern verurteilt.

2020 müssen wir uns entscheiden: Wollen wir die GAP ändern oder das Klima? Wir jungen Menschen haben da eine klare Antwort. Die GAP ist eine Entscheidung über unsere Zukunft. Steht hinter der neuen GAP ein kluger Plan für die Agrarwende, werden Landwirt*innen unsere wichtigsten Hoffnungsträger*innen in der Klimakrise. Wenn nicht, bleibt Landwirtschaft ein Brandbeschleuniger der Erderhitzung.

Neustart in der europäischen Agrarpolitik

Immer mehr Landwirt*innen fordern einen Neustart in der GAP. Unter den Praktiker*innen hat niemand ein Interesse daran, so zu wirtschaften, dass Landwirtschaft künftig unmöglich wird. Extremwetter und Dürren machen es Erzeuger*innen jetzt schon schwer. Es gibt nur einfach kaum Geld und Beratung für die, die etwas daran ändern wollen.

Wir müssen damit aufhören, uns in Fragen der Landwirtschaft über die Verantwortung von Einzelnen zu ereifern, egal, ob es um Konsument*innen oder Landwirt*innen geht. Wir müssen damit aufhören, uns in einen künstlichen Streit von „Öko oder konventionell?“, „Düngeverordnung, ja oder nein?“ zu vertiefen. Das alles sind Scheindebatten, die zu nichts führen. Klar haben auch bei der GAP alle Akteur*innen unterschiedliche Vorstellungen – doch auch wenn man es nicht vermuten würde, brauchen wir jetzt genau das, für eine konstruktive Debatte zu einer klimagerechten Agrarpolitik.

Lucia Parbel, 21, ist bei Fridays For Future in Stuttgart aktiv. Sie studiert Agrarwissenschaften.

Tilman von Samson, 24, ist bei Fridays For Future in Halle (Saale) aktiv. Er studiert Agrarwissenschaften.

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