Ein Brief an einige Leser:innen (3) : Beobachtungs­stärker denn je

Wir bekommen viel Lob für unsere Corona-Berichterstattung – aber auch viel Kritik. Wir versuchen, auf einiges zu antworten. Diesmal: Nervosität.

Ein verqueres Schild schief zu halten unterstützt das Querdenken – mutmaßlich. Eine Frau und ihr Schild auf einer Demo in Stuttgart am 09.05.2020 Bild: picture alliance/Sebastian Gollnow/dpa

Von JAN FEDDERSEN

Als Redaktion erhalten wir seit vielen Jahren viel Zuspruch, ja, manchmal sogar Liebeserklärungen. Wenn es euch nicht gäbe! Wäre eine Redaktion ein einzelner Mensch und hätte ein Antlitz, würde es, hörte er diesen Satz, vor Demut erröten.

Ja, tatsächlich ist unser ganzes Haus – mal mehr, mal etwas weniger – erfüllt von einem Selbstbewusstsein, eben nicht abhängig zu sein von einem Konzern, von übergeordneten Gremien oder von einer Zentrale, die die Leitlinien vorgibt. Die taz ist die taz – und schreibt, was sie für richtig hält. Was aber nichts daran ändert, dass wir unsere Kolleg:innen in Schutz zu nehmen haben, wenn uns Post erreicht, in der von der hierzulande „gleichgeschalteten Presse“ die hässliche Rede ist.

Die Wahrheit, wie wir sie wahrnehmen, ist: Selbst nerdige Blättchen ganz rechts oder ganz links sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Davon abgesehen, dass der Terminus „gleichgeschaltete Presse“ totalitären und tödlichen Verhältnissen wie unter dem Nationalsozialismus vorbehalten bleiben sollte.

Die taz geht in die Auseinandersetzung mit ihren Leser:innen zur Corona-Berichterstattung. Denn Streit muss sein, schreibt Chefredakteurin Barbara Junge in ihrem Editorial im taz Hausblog:  ➡︎ taz.de/hausblog

Nicht nur eine Auffassung

Dass die über­regionalen Medien, auch die taz aktuell durch einen sehr klugen, weil fein recherchierten Text unseres Kollegen Erik Peter unter dem Titel „Alu mit Bürgerrechtsfassade“, die Demonstrationen wider die Corona-Bewegungseinschränkungen kritisch hinterfragen, ist noch kein Hinweis auf Gleichgeschaltetheit: womöglich nur einer auf die Bizarrität der pseudotapferen Grundrechtshüter im Aluhütespektrum selbst.

Das allerdings heißt nicht, dass die taz zu den Grundrechtseinschränkungen intern nur eine Auffassung hätte: Aber die einen sagen so, die anderen so. Wie es zu einer Zeitung eben gehört, die auf ihre Meinungspluralität zu Recht eine Menge hält. Nur bleibt uns als taz-Redaktion eben nicht verborgen, dass in der Bundesrepublik kein demokratie- und partizipationseinschüchterndes Klima wie momentan in Ungarn oder Polen herrscht.

Es kommt eben immer auf das Framing an – und wenn Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen (Armin Laschet), Baden-Württemberg (Winfried Kretschmann) oder Rheinland-Pfalz (Malu Dreyer) darauf dringen, dass die Grenzen etwa zu Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden oder Belgien wieder geöffnet werden sollen, weil EU eben wenigstens Schengengrenzenfreiheit heißt, dann ist das noch lange keine imperiale Strategie, sondern eine Idee, die viel mit Nachbarschaft zu tun hat und die die in diesen Bundesländern tonangebenden Politiker:innen unbedingt ernst zu nehmen haben – und die taz dies zu registrieren und zu berichten.

Corona überstrahlt alles, leider

Die taz muss eben berichten, was ist. In Zusammenhänge bringend, erläuternd, analysierend. Ob in ökonomischer Hinsicht oder aus jenen Perspektiven, die oft übersehen werden. Erreichen uns Briefe, die uns eben für diese journalistische Arbeit am Gründlichen danken, sind diese wie Supersmoothies für die Seele – für die aktuell dann doch überarbeiteten Menschen in der Redaktion.

Ebenso sind sich alle in der Redaktion vollkommen im Klaren darüber, dass „Corona“ politisch alles überstrahlt, meist sogar zu Unrecht. Fragen des Klimawandels etwa, sie haben ein viel zu geringes Gewicht. Aber das liegt nicht an uns, das liegt ausschließlich an dem, was die Pandemie an Angst stiftet.

Er ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben und Mitbegründer und Kurator des alljährlichen taz-Kongress, dem „taz lab.“ Er mag Schafe.

Etwas kühler formuliert: Wie gern würden wir journalistisch aufbereiten, dass „Corona“ nur eine Erfindung sei und in Wahrheit nur eine sich erratisch verbreitende Art der Grippe. Allein: Die Bilder, die wir recherchieren, besagen, dass „Corona“ eben nicht zu unterschätzen ist, im Gegenteil.

Anzeigen und Redaktion – getrennte Bereiche

Wir als taz-Redaktion bilden uns insofern Tag für Tag eigene Urteile – unabhängig von Interessen, die an uns herangetragen werden. Das gilt auch für Anzeigen, für die Platz in der Zeitung und auf taz.de gekauft wird. Eine Leserin beschwerte sich Anfang Mai 2020 über die doppelseitige Annonce eines Motorenölherstellers. Muss diese in der taz sein?, fragte sie etwas giftig.

Wir sagen: Das Geschäft unserer Kolleg:innen in der Anzeigenabteilung ist das eine, das andere, als Redaktion sich nur über die Erlöse zu freuen: Stärken diese doch die redaktionelle Arbeit, die auf keinen Konzern, auf keine Firma – und schon gar nicht auf eine solche aus der Autoölbranche Rücksicht nimmt: Die getrennten Bereiche – Anzeigen und Redaktion – leben gut mit- und unabhängig voneinander. Darin sind sich, allen Meinungsunterschieden zum Trotz, alle seit Gründung dieser Zeitung so einig wie über nichts sonst.

Wie zufrieden sind Sie als Leser:in, Genoss:in und Abonnent:in mit der Corona-Berichterstattung der taz? Schreiben Sie uns!

• Per Mail: briefe@taz.de

• Per Post: taz die Tageszeitung, Redaktion Leser:innenbriefe, Friedrichstr. 21, 10969 Berlin

Von „Phrasendrescher“ bis „Leider zu spät“ – so kommentieren derzeit Leser:innen unsere Corona-Berichterstattung. Eine Auswahl von Stimmen seit dem 02.05.2020:

 

• „Verschwörer erkennen“

Zu „In der Welt der Verschwörer“, taz vom 25.04.20

Verschwörungstheorien haben ihre Hochkonjunktur immer dann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, schädliche Einwirkungen auf die Bürger durch Staaten oder Firmen abzuwehren, aber seine Führungsstärke gegen die Bürger zeigt. Wenn der Staat nun auch noch beginnt, die Bürger unter Mithilfe der Medien zu steuern, verliert der Bürger Vertrauen in die Politiker und Medien. Jetzt suchen sich Bürger alternative Informationsquellen. Hierbei ist nicht jeder in der Lage, die Informationsquellen in wahr oder Hirngespinst zu differenzieren. Wenn der Staat und die Medien nun beginnen jede unliebsame Meinung als Verschwörungstheorie abzutun, erreichen sie dadurch nur, dass der Bürger Urvertrauen in den Staat und die Medien verliert. Ein Staa,t der Korruption in seinen Reihen klar verhindert und vernünftige Entscheidungen trifft, Fehler zugibt und korrigiert, gibt Verschwörungstheoretikern keine Chance.

Karl-Heinz Scheriau, Langenargen

 

„Phrasendrescher“

Zu „Alu mit Bürgerrechtsfassade“, taz vom 07.05.20

Die Wiederholungen der immer selben Phrasen zu den Demos am Rosa-Luxemburg-Platz sind wirklich unerträglich. Anstatt sich mit dem Anliegen der Demonstranten differenziert auseinanderzusetzen, werden alle Teilnehmer inzwischen mehr oder weniger als Rechte und/oder Verschwörungstheoretiker dargestellt. Ihr mahnt zwar ernsthafte und differenzierte Diskussionen zum Thema Virus und dem Umgang mit demselben an, aber das war’s schon. Wacht endlich auf und besinnt euch wieder auf das, was die taz stark und relevant gemacht hat in den letzten Jahrzehnten. Und bitte, bitte benutzt dieses bescheuerte Verschwörungstheoretiker-Klischee nicht mehr.

Jürgen Hendlmeier, Mühlacker

 

„Noch geht’s mit der taz“

Zu „Demonstrativ mit dem Auto ins Grüne“, taz vom 01.05.20

Ich selbst bin Tazleser seit Beginn und habe mich kürzlich bei eurer Umfrage noch sehr positiv geäußert. Einiges gefällt mir immer noch ganz gut an euch. Aber jetzt in der Corona-Krise muss ich doch den Eindruck bekommen, dass ihr euch zu einem Sprachrohr der etablierten Politik entwickelt habt und dass Recherchen anderer Institutionen und unabhängiger Personen gar nicht mehr wahrgenommen werden oder sofort als Corona-Verschwörer diffamiert werden.

Norbert Weißer, Edingen-Neckarhausen

 

• „Überzeugende Artikel“

Zu „Sesam, öffne dich“ u.a., taz vom 07.05.20

Als Leser der ersten Stunde möchte ich nun doch einen ersten Leserbrief schreiben. Die Berichterstattung über die Pandemie ist aus meiner Sicht des Arztes und Hochschullehrers hervorragend, indem sie die wichtigen Fakten wie die aktuellen Trends und politischen Entscheidungen überzeugend wiedergibt.

Johannes Schröder, Heidelberg

 

• „Leider zu spät“

Zu „Ist Schweden auf dem Holz-oder Königsweg?“, taz vom 04.05.20

Das ist der erste vernünftige Artikel, den ich zu diesem Thema in der taz lesen konnte, und so kam es auch, dass wir nicht anders konnten, als unser taz-Abo abzubestellen. Dazu kommt, dass ihr vollkommen verpennt zu haben scheint, dass sich derzeit eine Verteidigungsbewegung für unsere Grundrechte und für das Grundgesetz entwickelt. Da ist der Schweden-Artikel dann doch mal eine einzige erfreuliche Ausnahme: hoffen wir, dass es ein Lichtschimmer am Ende eines sehr, sehr langen Tunnels ist!

Ralf Becker, Christine Popper, Gütersloh

 

• „Große Perspektive“

Liebe taz,

ich vermisse deine Widerborstigkeit! Ich vermisse deine Eigenständigkeit im Denken. Klar, es gibt Ausnahmen, immer wieder gute Artikel. Doch insgesamt vermisse ich hinter all den Katastrophenmeldungen der sogenannten Corona-Krise den Schwerpunkt auf den großen Zusammenhängen: Zum Beispiel zwischen Corona und der Zurückdrängung unserer Natur. Eintagsfliegen-Politik machen doch schon die Politiker. Von dir, liebe taz, wünsche ich mir wieder mehr große Perspektive.

Andreas Retzmann, Kattendorf