Ein Brief an einige Leser:innen (1): Mutiert die taz zum Regierungsblatt?

Wir bekommen viel Lob für die Berichterstattung über die Coronakrise. Doch einige Leser:innen finden die taz „regierungsnah“ und „mainstreamig“. Versuch einer Antwort.

Personifizierte Richtlinienkompetenz: Angela Merkel am 22. April 2020 in der Kabinettssitzung Bild: Imagao Images/ Jens Schicke

Von MALTE KREUTZFELDT und ULRICH SCHULTE

Die taz kommt im Moment gut an. Die Reichweite unseres Onlineangebots ist deutlich gestiegen, seit das Land von der Coronapandemie gelähmt wird. Immer mehr Menschen zahlen freiwillig für Artikel, sie loben unsere Berichterstattung als informativ, aufklärerisch und ausgewogen. 

Aber die taz regt auch auf. Manche Leser:innen geben uns in diesen Tagen ein irritiertes Feedback. Sie sehen unsere Berichterstattung über das Virus und die rigiden Maßnahmen der Bundesregierung kritisch. Ein häufiger Kritikpunkt lautet, wir seien zu „regierungsnah“, zu dicht „am Mainstream“ und täten kritische Stimmen, die es wagten, den Regierungskurs zu hinterfragen, als Verschwörungstheorien ab.

Die Redaktion diskutiert solche Fragen engagiert, die Meinungen gehen wie gewohnt auseinander. Wir, die Autoren des Textes, die für viele, aber selbstverständlich nicht für alle tazler:innen sprechen, möchten auf diese Kritik antworten. Und begründen, warum wir sie für nicht gerechtfertigt halten. 

taz-Lob für die Regierung? Sehr ungewöhnlich

Die Beobachtung, das manche taz-Kommentare die Regierung loben, ist völlig richtig: Tatsächlich fand sich in der taz in letzter Zeit weniger Kritik an der Bundesregierung als zu anderen Zeiten. Und, bitte glauben Sie uns: Auch für einen taz-Redakteur, der es gewohnt ist, erst mal alles zu hinterfragen und vieles zu kritisieren, ist es ein seltsames Gefühl, ein Papier aus dem Innenministerium oder eine Ansprache der Kanzlerin einfach nur zu loben.

Die taz geht in die Auseinandersetzung mit ihren Leser:innen zur Corona-Berichterstattung. Denn Streit muss sein, schreibt Chefredakteurin Barbara Junge in ihrem Editorial im taz Hausblog:  ➡︎ taz.de/hausblog

Aber dass wir das tun, liegt nicht daran, dass wir das kritische Denken plötzlich eingestellt hätten. Im Gegenteil: Wir recherchieren mindestens so intensiv und hartnäckig wie sonst – kommen aber derzeit bei Abwägung aller bekannten Fakten zu der Einschätzung, dass das Vorgehen der Regierung im Großen und Ganzen richtig ist. Dafür, dass von dem neuen Coronavirus eine ernsthafte Gefahr ausgeht und die Gegenmaßnahmen erforderlich sind, gibt es – leider – gute Argumente, für das ­Gegenteil dagegen nicht.

Wenn eine taz-Autorin oder ein taz-Autor Maßnahmen der Regierung gutheißt, tut sie oder er das, weil er sie nach einer kritischen Prüfung inhaltlich für richtig befindet, nicht um irgendwem zu gefallen. Als Angela Merkel im Jahr 2015 die Grenzen für Geflüchtete offen ließ, lobten taz-Kommentatoren die Kanzlerin auch – weil sie ihre humanitäre Haltung unterstützten. Als Merkel wenig später mit anderen EU-Staaten die Europäische Union abschottete und Asylrechtseinschränkungen beschloss, wurde sie von uns scharf kritisiert.

Nicht haltbarer Vorwurf

Auch wenn die taz eine lange Geschichte als Teil der „Gegenöffentlichkeit“ hat: Etwas zu schreiben, was wir eindeutig für falsch halten, nur um uns vom sogenannten „Mainstream“ zu unterscheiden, kann und darf nicht der Anspruch einer intelligenten Zeitung sein. Kritik aus Prinzip ist nicht mehr als eine Pose. Gute Argumente eines Gegenübers zu ignorieren, weil er auf der vermeintlich falschen Seite steht, ist Ideologie.

Jenseits der Tatsache, dass wir das Coronavirus ebenso wie alle relevanten Wissenschaftler:innen und alle seriösen Medien sehr ernst nehmen, halten wir den Vorwurf, die taz sei zum „Regierungsblatt“ mutiert, für nicht haltbar. Wir schauen gerade sehr genau hin, egal ob es um die Kontaktbeschränkungen in den verschiedenen Bundesländern geht (Wo und warum darf man nicht auf einer Parkbank sitzen?), um die Einschränkungen des Versammlungsrechts oder die Folgen der Pandemie für marginalisierte, arme oder geflüchtete Menschen.

Und zu Fragen, auf die es jeweils mit guten Gründen unterschiedliche Antworten gibt, veröffentlichen wir selbstverständlich auch unterschiedliche Sichtweisen. Die taz bleibt ein Hort der Pluralität. Jede und jeder darf schreiben, was sie oder er will. Ein paar Beispiele: Zur Frage, ob die Ausgangsbeschränkungen übertrieben sind oder ob die Spielplätze offen bleiben sollen, gab es jeweils einen Pro- und einen Contra-Kommentar. Der Grüne Boris Palmer, der den Shutdown kritisch sieht, bekam breiten Raum in der taz. Im Disput zwischen den Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck sind beide Seiten ausführlich zu Wort gekommen.

Er ist taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt. Eigentlich ist Energiepolitik sein Schwerpunkt, doch als „Lungenarzt-Experte“ kon­zentriert er sich derzeit auf Corona.

Faktenorientiert berichten

Er leitet das Parlaments­büro der taz. Und weil sich die Regierung derzeit ebenso wie die Op­po­sition fast nur mit der Corona-Epidemie beschäftigt, tut er das ebenfalls.

Wer allerdings wie einzelne Leser:innen verlangt, dass wir auch völlig abstruse Meinungen ungefiltert ins Blatt lassen sollten, wird weiterhin enttäuscht werden. Menschen, die Fakten offensichtlich ignorieren, zu lebensgefährlichem Verhalten aufrufen und absurde Verschwörungstheorien verbreiten wollen, wird die taz kein Forum bieten.

Wenn bestimmte Positionen nur in obskuren oder rechtslastigen Internetmedien vorkommen, spricht das nicht zwangsläufig gegen alle anderen Medien – sondern eher dafür, dass sie ihre Arbeit ordentlich machen.

Das wollen wir auch in Zukunft tun. Hartnäckig und kritisch, aber faktenorientiert – und hoffentlich weiter mit breiter Unterstützung unserer Genoss:innen, Leser:innen und taz-zahl-ich-Unterstützer:innen. Den Dialog mit Ihnen, unseren Leser:innen, werden wir auch in Zukunft suchen. Denn ohne Sie, die uns hoffentlich gewogen bleiben, geht es nicht.

Wie zufrieden sind Sie als Leser:in, Genoss:in und Abonnent:in mit der Corona-Berichterstattung der taz? Schreiben Sie uns!

• Per Mail: briefe@taz.de

• Per Post: taz die Tageszeitung, Redaktion Leser:innenbriefe, Friedrichstr. 21, 10969 Berlin

Von „Mainstream“ bis „Merkelsprech“ – so geißeln derzeit desöfteren Leser:innen unsere Corona-Berichterstattung. Eine Auswahl bisheriger Stimmen:

 

• „Merkelsprech“

Ich bin als recht neuer Abonnent absolut enttäuscht über eure sehr einseitige Berichterstattung zum Thema Corona. Da wird wirklich nur der gängige „Merkelsprech“ nachgebetet. Von kritischer Betrachtung weit und breit keine Spur. Sorry, aber das ist einem kritischen Medium wie der taz vollständig unangemessen. Ihr müsst euch schon ernsthaft auch mit den „Verschwörern“ beschäftigen. So werden ja all diejenigen abgekanzelt, die sich nicht dem merkelschen Sprech und der landläufigen Deutung anschließen oder gar kritische Fragen stellen.

Bernd Gottwald, Lippstadt

 

• Die Blase verlassen

Seit die Coronaberichterstattung dominiert, ist ein mulmiges Gefühl in mir immer stärker geworden. Wo wird debattiert? Sehen die bei der taz denn nicht, dass die Coronakrise zur Kulisse für eine gesellschaftliche Transfomation ins Autoritäre, Nationale, Unsoziale et cetera zu werden droht? Dann die Briefe auf Seite vier. Ich stimme so gut wie allen, die dort zu Wort kommen, zu. Diese Briefe und vieles, was ähnlich beunruhigte kritische Geister denken, sollten mithelfen, dass Ihr Euch aus Eurem Redaktions-Resonanzraum ein wenig herausbewegt.

Ernst Gärtner, Karlsruhe

 

• Zufrieden mit taz

Erstaunt lese ich die Leserbriefe, die allesamt zu wenig Coronakritik in der taz kritisieren. Das verwirrt mich, denn mein Eindruck ist exakt das Gegenteil. Und das wollte ich euch schon längst mitgeteilt haben: Danke, dass ihr so ausgewogen berichtet! Danke, dass ihr geradezu vorbildhaft skeptischen Stimmen Raum bietet und Zweifler zu Wort kommen können! Ich bin wie immer froh, taz-Abonnentin zu sein! Und fühle mich umfassend informiert und ausreichend auch auf andere Gedanken als die meinigen gebracht.

Martina Fischer, Prien

 

• „Mainstream“

Eure Berichterstattung tendiert täglich mehr zum Mainstream. Was ist mit Ländern wie Schweden, die etwas anderes versuchen? Was ist mit den Verstorbenen, gibt es genauere Infos über das Alter und die Todesursachen? Was wissen wir tatsächlich genau über die Ansteckung. Wo bleiben die differenzierten Aussagen anderer Wissenschaftler? Warum sind jetzt plötzlich Masken hilfreich, die zu Beginn der Krise noch kritisch betrachtet wurden?

Ulrike Mönig, Münster

 

• Nicht meine Zeitung

In den letzten Wochen beschlich mich zuweilen das Gefühl, ich lese gerade die Bild statt die taz. Manche unreflektierten Forderungen der Journalisten ließen mich staunend zurück.

Joachim Pohl, Witten

 

• „Armutszeugnis“

Politische Prozesse gerade in Krisenzeiten kritisch zu begleiten, verstehe ich als elementare Aufgabe des Journalismus. Die taz scheint sich davon weitgehend verabschiedet zu haben und ergeht sich stattdessen neben herablassenden Kommentaren in reißerischen Reportagen („Tod in Bergamo“), die den Blick auf Gesamtzusammenhänge durch ihre starke Emotionalisierung zwangsläufig verstellen. Für eine Zeitung, die aus emanzipatorischen Zusammenhängen hervorgegangen ist, ist das ein Armutszeugnis.

Urban Ewald, Dachau