Jüngste Parteivorsitzende Deutschlands: Nicht zuschauen, selber machen

Friederike Schier ist die jüngste Vorsitzende einer Partei in Deutschland. Was sie antreibt, erzählt sie hier.

Friederike Schier, Jahrgang 1997, ist Co-Vorstandsvorsitzende von Volt Deutschland. Bild: Steve Klemm

Interview: KLAUDIA LAGOZINSKI

taz: Sie waren erst 21, als Sie für den Vorsitz von Volt kandidierten. Wie kam es dazu?

Friederike Schier: Letztes Jahr hatten wir einen Parteitag, den mein Team und ich im Sommer 2019 organisiert haben. Dabei habe ich festgestellt, dass sich nicht viele Frauen aufstellen lassen und dann mit einer Rechtsanwältin telefoniert, die ich davon überzeugen wollte, zu kandidieren. Sie ist Mitte dreißig und bestärkte wiederum mich zur Kandidatur. Ich überlegte, sprach mit meiner Familie und dann war klar: Ich lasse mich aufstellen! In diesem Moment war ich stark bei Volt eingebunden, arbeitete mit der ehemaligen Präsidentin zusammen, mit dem Generalsekretär, dem Vorstand, dem Team und kannte die Prozesse gut. Nach der Wahl habe ich festgestellt, dass ich Volt nicht mehr mit meinem Studium und meinem Studierendenjob bei der Europäischen Bewegung vereinbaren kann und entschieden, den Master erst nach meiner Amtszeit zu machen. Die Entscheidung fiel, als ich merkte, dass ich hier mehr Verantwortung übernehmen muss.

Verantwortung übernehmen muss oder möchte?

Sowohl als auch. Vor anderthalb Jahren hätte ich gesagt, ich in einer Partei? Im Leben nicht! Ich wollte eher in die Diplomatie. Ich glaube, es liegt wirklich daran, ob du diesen einen Moment hattest, der dich dazu bewegt, nicht mehr nur zuzuschauen, sondern selber zu machen.

Und wie hat sich Ihr Alltag verändert, seitdem Sie Deutschlands jüngste Parteivorsitzende sind?

Ich telefoniere viel und arbeite noch mehr als vorher, vor allem digital. Oft in unserem Office, aber auch von zu Hause aus, um mehr Ruhe zu haben. Manchmal stelle ich dann fest, dass ich wieder rausgehen könnte und gehe zu meinem Tanz- oder Yogakurs, um für Ausgleich zu sorgen. Außerdem behandeln Leute mich manchmal anders. Ja, ich habe ein Amt, aber den roten Teppich brauche ich nicht.

Volt bezeichnet sich als paneuropäisch, pragmatisch und progressiv. Die Partei trat bei der Europawahl 2019 in acht Ländern mit demselben Wahlprogramm an und ist mit einem Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Volt ist gleichzeitig Partei und Bewegung, die lokale Projekte voranbringt. Die deutsche Partei gibt es seit März 2018.

Wie reagieren eigentlich ältere Bürger*innen, wenn Sie als junge Politikerin mit ihnen in den Dialog gehen?

Viele sind gerade wegen meines Alters interessierter, neugieriger und wollen wissen, was mich dazu bewegt, mich einzusetzen.

Haben Sie da schon konkrete Erlebnisse gehabt?

Ja, in Bamberg, wo wir gerade Wahlkampf machen. Wir sammelten dort 370 Unterschriften, um bei der bayerischen Kommunalwahl antreten zu können. Ich musste Fremde dazu bewegen, ins Wahlamt reinzugehen, um zu unterschreiben. Die Leute dort waren sehr aufgeschlossen. Und jetzt stehen wir auf dem Wahlzettel in Bamberg.

Ich habe auf Twitter gesehen, dass Sie einen Tweet von Volt Hamburg geteilt haben. Dort haben sie 1,3 Prozent geholt.

Und das mit nur zwanzig Leuten, die aktiv ein halbes Jahr Kampagne gemacht haben! 1,3 Prozent bei einer Fünfprozenthürde, das ist natürlich ein Erfolg für uns.

Dort hat Volt auf einem Wahlplakat mit „Hamburg, mach mal neue Politik!“ getitelt. Was ist damit gemeint?

Über den Tellerrand von Deutschland hinaus zu blicken. Zum Beispiel sollte man nicht stundenlang in einem Berliner Wahlamt sitzen müssen, um ein Scheinchen auszufüllen, während das online stattfinden könnte. Man sollte sich umschauen, sich ein Beispiel an Estland oder Dänemark nehmen, wo Behördengänge vollständig online erledigt werden können und das, was in anderen europäischen Ländern funktioniert, einfach in Deutschland adaptieren.

Worin unterscheidet Volt sich denn noch von traditionellen Parteien?

Es ist wichtig, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und wirklich zuzuhören. Ich weiß nicht, wann ich jemals von der Berliner Regierung zu irgendeiner Angelegenheit gefragt wurde, mal abgesehen von Tegel.

Und werden junge Menschen hier überhaupt genug gefragt? 

Meines Erachtens nicht. Das fängt damit an, dass viele Parteien nur eine Jugendsparte haben. Wir würden nie auf die Idee kommen, eine Jugendorganisation von uns selbst zu entwickeln. Ich glaube, dass unsere Jugend unfassbar politisch ist, aber sie nicht weiß, wohin mit ihrem Engagement. Deswegen kommt es dann zu den Bewegungen.

Wollen Sie auch zukünftig in der Politik zu bleiben?

Ich möchte nach meiner Amtszeit in der Partei bleiben, mich aber ein wenig herausziehen. Es ist nicht zielführend, lange in einer Position zu verharren. Es bedarf frischen Wind, damit der Pragmatismus wirklich existieren kann.