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Rechtsruck im Land der "Staatspartei"

■ Für die Schweden hat die Sozialdemokratie, seit den 30er Jahren Synonym für den Aufbau des Wohlfahrtsstaates, endgültig abgewirtschaftet.

Rechtsruck im Land der „Staatspartei“ Für die Schweden hat die Sozialdemokratie, seit den 30er Jahren Synonym für den Aufbau des Wohlfahrtsstaates, endgültig abgewirtschaftet.

Nach einer solchen Niederlage können wir nicht weiterregieren.“ Schwedens Ministerpräsident Ingvar Carlsson zog unmittelbar nach der schweren Wahlschlappe seiner Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) die Konsequenzen und reichte seinen Rücktritt ein. Ein Minus von über fünf Prozent hatte am Sonntag den Sozialdemokraten das schlechteste Wahlergebnis seit 60 Jahren beschert. Angesichts der verbleibenden 37,2 Prozent schloß Carlsson am Montag die Beteiligung seiner Partei an einer Koalitionsregierung aus; die SAP würde in die Opposition gehen. Daß seine Partei nun ohne jede Chance auf einen Erhalt der Regierungsmacht dasteht, focht Carlsson noch in der Nacht wenig an. Aber er gab sich zuversichtlich, daß „bis zu unserer Rückkehr in die Regierung keine drei Jahre vergehen“.

Ein Erdrutsch also für die Partei des populären, 1986 ermordeten Politikers Olof Palme. Aber nicht nur für die Sozialdemokratie. Auch zwei weitere traditionelle Standpfeiler des schwedischen Parteiengebäudes wurden erschüttert, so die liberale Volkspartei (-3,0 auf 9,2 Prozent), mit der zusammen die Sozialdemokraten gerade eine Steuerreform geschmiedet hatten. Und auch das Zentrum (-2,7 auf 8,6 Prozent), die einstige Bauernpartei, die auch heute noch einen WählerInnenschwerpunkt auf dem Lande hat, mußte das schlechteste Ergebnis seit der Jahrhundertwende wegstecken.

Carl Bildt, Parteichef der Konservativen und designierter Regierungschef, freute sich zunächst einmal über „die historische Niederlage des Sozialismus“. Bildts Konservativen sind jetzt mit 22,1 (+ 3,8) Prozent zweitstärkste Partei im „Folkets Hus“. Zwar konnten sie „nur“ knappe vier Prozent zulegen. Doch das Wegknicken der traditionellen Mitteparteien Zentrum und Volkspartei macht sie übermächtig in einer möglichen künftigen Koalitionsregierung. So übermächtig, daß keine der drei kleinen bürgerlichen Parteien in der Wahlnacht große Lust zeigte, die vor den Wahlen versprochene Viererkoalition nun auch tatsächlich zu schließen. Zwar verdoppelte auch der dritte Koalitionspartner Christdemokraten von knapp drei auf sieben Prozent. Eine solide Mehrheit des bürgerlichen Blocks kommt dennoch nicht ohne weiteres zustande. Denn ohne die 25 Stimmen der erstmals bei Parlamentswahlen angetretenen rechtspopulistischen Neue Demokratie (6,7 Prozent) bekommt Bildt zumindest keine Mehrheitsregierung zusammen. Die Schwäche der beiden Mitteparteien hat dem möglichen neuen Ministerpräsidenten die eigentlich erhoffte Mehrheit der Parlamentssitze für seine Vierparteienkoalition gekostet; mit ihren 46,5 Prozent strichen die bürgerlichen Parteien nur 170 der 349 Parlamentssitze ein. Zünglein an der Waage könnte also die Neue Demokratie werden. Koalieren will mit der Rechtsaußenpartei jedoch keine Partei — was sich nach der nächsten Regierungsbildung der vermutlichen Minderheitsregierung Bildt aber schnell ändern könnte. Ingvar Carlsson schloß für die Sozialdemokratie eine parlamentarische Unterstützung für eine Minderheitsregierung Bildt von vornherein aus.

Schläge einstecken mußte neben der SAP auch die Linkspartei, die mit 4,5 (-1,3) Prozent nur knapp die Vierprozenthürde nehmen konnte. Die Grünen mußten nach nur einer Legislaturperiode mit 3,4 (-2,1) Prozent das Feld wieder räumen. Nur bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zu den Gemeinde- und Provinzialparlamenten konnten sie den einen oder anderen Sitz retten. Für die Sozialdemokratie setzte sich auch hier das Debakel fort. In mehreren Städten verlor sie ihre Mehrheiten, so in Schwedens drittgrößter Stadt Malmö. Auch in den Kommunen ansonsten ein eindeutiger Rechtstrend: In vielen Gemeindevertretungen sitzen nun Parteien wie die rechtsradikale Fortschrittspartei, deren einziges Programm die Ausländerfeindlichkeit ist.

Ende der „Staatspartei“

Schwedens Sozialdemokraten haben am Sonntag nicht nur eine Wahl verloren, sie haben ihre über Jahrzehnte einzigartige Position innerhalb der Politik dieses Landes verloren: Sie sind eine „normale“ Partei geworden. Das ist ein Ergebnis nicht dieser Wahlen, sondern einer Politik, die sich in den letzten Jahren von dem, was als „sozialdemokratisch“ galt, immer weiter entfernt hatte. Das, was mit dem Wahlsonntag offenbart wurde, zeigt nur, wie sich die politischen Gewichte im einst sozialdemokratischen Musterland verschoben haben. Jede(r) dritte Wähler(in) hat die Partei gewechselt, wie Umfragen vor den Wahllokalen ergaben. Den Sozialdemokraten, die Schwedens Gesellschaft seit den 30er Jahren mit dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates und der dazugehörenden Ideologie im Alleingang geprägt haben, zeigten auch Veränderungen im Verhalten des eigenen Wählerstammes in aller Deutlichkeit, daß es mit dieser Dominanz zu Ende geht: Die Rentner wurden zu ihrer einzigen Wählergruppe mit mehr als 40 Prozent. Bei den Erstwählern kam die SAP dagegen nur auf 19 Prozent, während 33 Prozent für die Konservativen stimmten. Und unter den Arbeitern wanderten viele Stammwähler ausgerechnet zur Neuen Demokratie ab.

Die Sozialdemokraten stehen vor einem totalen Neuanfang. Wenn Ingvar Carlsson als Parteivorsitzender noch nicht zur Disposition steht, dann nur deshalb, weil er die Partei nach Meinungsumfragen in den letzten Monaten aus dem absoluten Tief von 28 Prozent auf das jetzige Ergebnis hochzuhieven verstand. Das reicht offenbar, um seine Position zu sichern — so genügsam ist die einstige schwedische „Staatspartei“ schon geworden. Reinhard Wolff, Stockholm

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