: Der Herr der Blitze
Manche halten ihn für den größten Erfinder aller Zeiten: Nicola Tesla — Visionär, Exzentriker und Genie der Elektrizität — steht 50 Jahre nach seinem Tod vor der Wiederentdeckung.
„We hope it does Nikola Tesla proud“, schrieb die kalifornische Hardrock-Band Tesla auf das Innencover ihrer 1986 erschienenen Debüt-LP Mechanical Resonance. Die Musiker mobilisierten zudem Tausende ihrer Fans, um mittels einer Petition die Aufstellung einer Büste Nikola Teslas im Smithonian Museum zu erreichen. In den USA gibt es Nikola-Tesla-Fanclubs, Fanzines beschäftigen sich mit Leben und Wirken dieses Mannes, eine dubiose Sekte namens „Unarius Educational Foundation“ verehrt ihn gar als Gesandten vom Planeten Venus. Derweil arbeiten George Lucas, David Lynch und andere an Filmen, die das Leben dieses Universalgenies zum Thema haben.
Im westlichen Teil Europas ist der 1943 verstorbene Nikola Tesla weitgehend unbekannt. In den meisten Lexika sucht man seinen Namen vergebens. Dabei haben wir tagtäglich mit seinen Erfindungen zu tun. Er war es beispielsweise, der die Nutzung des Wechselstroms gegen seinen Konkurrenten, den Gleichstrom-Apologeten Thomas Alva Edison, durchsetzte. Über tausend Patente laufen auf Teslas Namen, in denen er die Grundlage des technischen Fortschritts entwarf. Künstliche Intelligenz, Rundfunk und Laserstrahlen, selbst die Satellitentechnik nahm Tesla in der Theorie vorweg.
Nikola Tesla wurde 1856 als Sohn eines serbischen Geistlichen in Kroatien geboren. In jungen Jahren erkrankte er an Cholera, und in der Zeit der Rekonvaleszenz entwickelte er jene phänomenale Fähigkeit, die seinen Erfindungsreichtum erst ermöglichte: Ein schier unbeschränktes Vorstellungsvermögen erlaubte ihm, komplexe technische Vorgänge, selbst komplette Versuchsabläufe zu imaginieren.
Zeit seines Lebens gab Tesla wenig auf empirische Untersuchungen: „Sobald ich eine Idee habe, fange ich an, diese im Geist zu entwickeln. Ich ändere Konstruktionsmerkmale, mache Verbesserungen und bediene die Erfindung in meinem Kopf. Es ist für mich völlig egal, ob ich die Turbine in meinen Gedanken laufen lasse oder sie in meiner Werkstatt ausprobiere. Darin besteht nicht der geringste Unterschied. Die Ergebnisse bleiben dieselben.“ Diese unorthodoxe Haltung und sein exzentrischer Lebenswandel ließen ihn in den Augen etablierter Wissenschaftler und Forscher Zeit seines Lebens suspekt erscheinen. Vor allem, weil er sich immer wieder auf Visionen und Kontakte zu Engeln und kosmischer Energie berief. Seine technischen Erfolge aber waren handfest und unbestreitbar.
Nach seiner in Graz und Prag absolvierten Studienzeit und einer kurzfristigen Beschäftigung bei der „American Telephone Company“ in Budapest ging der polyglotte Tesla nach Paris, um für die „Societe Continentale Edison“ zu arbeiten. Er versprach sich von dieser Stellung die Möglichkeiten und die Mittel, einige seiner bereits projektierten Erfindungen wie den Induktionsmotor bauen und erproben zu können. Statt dessen jedoch wurde er ins Elsaß geschickt, um ein durchgebranntes Kraftwerk zu reparieren. Tesla nutzte listig die Gelegenheit und forderte neben den benötigten Ersatzteilen auch jene Aggregate an, die er zum Bau seines Motors benötigte. Doch auch nach Fertigstellung der Maschine blieb die Unterstützung aus, und Tesla ging nach New York, um seine Ideen Thomas Edison persönlich vorzutragen. Als Verfechter der Gleichstromtechnik, in die er bereits viel investiert hatte, gab Edison jedoch Teslas Konstruktionen keine Chance.
Weitsichtiger war George Westinghouse, der bereits Patente für Wechselstromgeräte besaß und Teslas Bemühungen finanziell unterstützte. Ein absurder Wettstreit entbrannte. Edison schreckte nicht davor zurück, öffentlich Tiere mittels Wechselstromschlägen zu töten, um die Gefährlichkeit dieser Technik zu demonstrieren. Selbst die Erfindung des elektrischen Stuhls geht auf diesen Konkurrenzkampf zurück: Am 6.August 1890 wurde William Kemmler als erster Schwerverbrecher der Geschichte unter Mitwirkung Thomas Edisons durch Strom hingerichtet. Edison gebrauchte dafür infamerweise den Ausdruck „to westinghouse“.
Auch Tesla verstand sich auf publikumswirksame Inszenierungen: In öffentlichen Shows leitete er elektrischen Strom durch seinen Körper, ließ Glühbirnen in seinen Händen aufleuchten und postierte sich inmitten eines gefährlich aussehenden Funkenregens, wo er seelenruhig ein Buch las — und sich in dieser spektakulären Pose fotografieren ließ. Die gerade entstehende Boulevardpresse widmete sich einem derart begabten Selbstdarsteller mit besonderer Hingabe, was wiederum seinem wissenschaftlichen Ruf alles andere als zuträglich war.
Der Siegeszug des Wechselstroms begann, als Westinghouse 1893 den Auftrag erhielt, die „Columbian Exposition“ in Chicago mit Strom zu versorgen. Tesla installierte an den Niagarafällen ein Wasserkraftwerk, mit dem erstmals in der Menschheitsgeschichte eine ganze Stadt mit Strom versorgt werden konnte. In der Gedankenwelt eines Nikola Tesla waren derartige Fortschritte nur kleine Episoden. Er dachte bereits viel weiter und plante, die gesamte Menschheit mittels drahtloser Energieübertragung mit kostenlosem Strom zu versorgen, ein Ansinnen, das mit den geschäftlichen Interessen seines Geldgebers kollidierte. Der Bruch war infolgedessen unausweichlich. Tesla, der die von ihm erdachten Geräte nie als einzelnes Konsumgut, sondern in ganzheitlichen Zusammenhängen sah, arbeitete weiter, er meldete regelmäßig neue Patente an, schrieb viel, aber er konnte seine Ideen nicht mehr praktisch umsetzen. Er starb 1943 als vergessener und von der Westinghouse Corporation auch verleugneter Mann.
Seit einigen Jahren werden seine wegweisenden Arbeiten wieder diskutiert, von seriösen Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten ebenso wie von obskuren Mystikern. Letztere sehen Tesla als Opfer einer weitgespannten Verschwörung. In seinem Film Tesla: The Zenith Factor zeigt beispielsweise der Autor Sky Fabin ein Foto, auf dem Tesla gemeinsam mit Einstein und anderen wissenschaftlichen Kapazitäten zu sehen sein soll. In der gedruckten Fassung ist der angebliche Tesla wegretuschiert: für Fabian ein Indiz, daß die Erinnerung an sein Idol nach bewährtem Muster „ausradiert“ werden soll. In Wahrheit handelt es sich bei dem Mann auf dem Foto erwiesenermaßen nicht um Nikola Tesla; die Retusche hatte nicht ideologische, sondern redaktionelle Gründe.
Da sich Autoren, Künstler und Filmemacher zunehmend auf das vergessene Genie berufen, nutzt die Westinghouse Corporation den Trend: Sie wirbt mit Fotomontagen, die Nikola Tesla und den Firmengründer in trauter Eintracht zeigen, ausgerechnet für ihren Atommeiler AP600 — ob dies Teslas Zustimmung gefunden hätte, darf bezweifelt werden. Harald Keller
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