In der Dritten Welt hilft allenfalls teil- und schrittweise Liberalisierung

■ US-Institut: Für Exporterfolge ist Interventionsabbau nicht zwingend/ Kritik an Weltbank und IWF

Genf (ips) — Multilaterale Geberorganisationen kommen wegen der liberalistischen Wirtschaftsmodelle, die sie Entwicklungsländern als Vorbedingung für die Gewährung von Krediten und Hilfsprogrammen verschreiben, immer wieder scharf unter Beschuß. Erst kürzlich forderte das US-Institut für Wirtschaftspolitik (EPI) in einem Bericht, die Laissez-faire-Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) durch eine „schrittweise und selektive Liberalisierung“ zu ersetzen. „Es gibt keinen zwingenden Beweis dafür, daß erfolgreiche exportorientierte Strategien mit einer stärkeren Liberalisierung oder weniger Regierungsinterventionen in Zusammenhang stehen“, schreibt der Verfasser der Studie, Professor Stephen Smith von der George- Washington-Universität.

Als bedingungsloser Anhänger der Handelsliberalisierung zeigte sich in den 80ern zuvorderst die Weltbank. In ihrem Entwicklungsbericht 1987 pries sie sogenannte Schwellenländer wie Südkorea, Singapur und Hongkong als Musterbeispiele für den Erfolg ihrer ökonomischen Rezepte an. Die Strategien dieser Länder zeichneten sich durch „Außenorientierung“, „keine oder nur minimale“ Steuerung sowie eine freizügige Lizenzvergabe aus.

Mehr und mehr Ökonomen in den USA und auch in der Weltbank selbst seien heute aber dagegen, die Zügel einfach schießen zu lassen und plädierten für einen gemäßigten Interventionismus der Regierungen in die Wirtschaftspolitik, wird im EPI-Bericht ein Paradigmenwechsel festgestellt. Außerdem, so Professor Smith, hätten die asiatischen Schwellenländer ihre Exporterfolge nie ohne Interventionspolitik erzielt. Fallstudien über Südkorea, Taiwan, Singapur und Thailand ergaben, daß die Regierungen dieser Länder aktiv auf die Produktion von technologisch hochwertigen Exportgütern drängten. Als Ausnahme wird Hongkong zitiert.

Entwicklungsorganisationen wie die Weltbank oder die US-Behörde für internationale Entwicklung (US- AID) hätten während des vergangenen Jahrzehnts Dritte-Welt-Länder permanent gedrängt, dem exportorientierten Entwicklungsmodell der südostasiatischen Schwellenländer zu folgen, so Smith. Diese „neue Orthodoxie“ sei sowohl „empirisch als auch theoretisch irrig“, weil dabei auf historische und andere Gegebenheiten kaum Rücksicht genommen wurde.

Brasilien gilt als ein Beispiel dafür. Die Förderung der Exporte von verarbeiteten Gütern wurde ganz nach asiatischem Vorbild forciert. Doch Brasilien, so Smith, war bereits in der Schuldenspirale gefangen, was die Industrieentwicklung zurückwarf. In der Folge wurde das südamerikanische Land für Außeneinfluß anfällig und die Brasilianer gedrängt, das Binnenwachstum der Handelsliberalisierung unterzuordnen, heißt es im Bericht. „Unter Anleitung von Weltbank und IWF wurde Brasilien gezwungen, der Liberalisierungstheorie der neuen Orthodoxie zu folgen — mit beträchtlich anderen Ergebnissen als in den Schwellenländern Südostasiens.“

Besser abgeschnitten haben im allgemeinen aber auf jeden Fall jene Entwicklungsländer, die auf den Export von verarbeiteten Waren setzten. Die Konzentration der Exportwirtschaft auf Rohstoffe erwies sich dagegen als verhängnisvoll. Auch in diesem Punkt spricht Smith Weltbank und Internationalen Währungsfonds mitschuldig. Beide multilateralen Organisationen hätten Dritte- Welt-Ländern eine Steigerung der Ausbeutung und Ausfuhr von Rohstoffen empfohlen, ohne die langfristigen Folgen ins Auge zu fassen. Es kam zu einem rapiden Verfall der Weltmarktpreise wegen des zunehmenden Angebots.

Nicht zuwenig Weitblick, sondern sogar „böse Absicht“ wähnten noch schärfere Kritiker wie Vertreter von „Nichtstaatlichen Organisationen“ (NGOs) bei einem jüngsten Treffen in der UNO in Genf. Denn in den 80ern, nach dem zweiten Ölpreisschock, waren im Norden Ängste vor Energieknappheit und Rohstoff-Kartellen wie der „Organisation erdölexportierender Länder“ (OPEC) hochgekommen. Zwar versuchten die Industrieländer, die Inflation durch eine geänderte Finanz- und Zinspolitik in den Griff zu bekommen. Gelungen ist es aber vor allem, so bewiesen spätere Studien, durch die wegen der Überproduktion niedrigen Rohstoffpreise, auch für Erdöl.

Professor Smith führt die fehlgeschlagene Entwicklungspolitik zum Teil auf die dezentrale Organisation der Weltbank zurück. Myriaden von kleinen regionalen Büros waren bemüht, die Exporte „ihrer“ Länder anzukurbeln und auf Teufel-komm- raus zu produzieren, was immer schnelle Devisen einbrachte. Dennoch spricht Smith damit die Weltbank, deren „Politik auf höchster Ebene beschlossen wurde“, nicht von Schuld frei. „Wenn man die gesamte von der Weltbank verteidigte Exportexpansion zusammen betrachtet hätte, wäre klar zu erkennen gewesen, daß dies die Preise der Güter herunterdrücken mußte.“

Als Lehre aus den 80er Jahren wird im Bericht des US-Instituts für Wirtschaftspolitik aufgezeigt, daß eine selbsttragende Entwicklung in Zukunft nur mit dem Export von verarbeiteten Waren möglich ist. Die Weltbank und andere Entwicklungsorganisationen sollten in Zukunft Untersuchungen darüber anstellen, wie Regierungen in der Dritten Welt erfolgreich eine Industrieentwicklung fördern können, die sich weder auf Importbarrieren stützen muß noch mit einer zügellosen Handelsliberalisierung zu kämpfen hat, empfiehlt der Bericht. Chakravarthi Baghavan