Olympia wirft seine Schatten voraus

Die Bewerbung Berlins für die Olympiade ist zum Streitpunkt in der Stadt geworden/ Anti-Olympioniken machen mobil/ IOC-Komitee wird von 1.500 Polizisten bewacht  ■ Von Hans-Hermann Kotte

Berlin (taz) — Für Lutz Grüttke, Berlins Olympia-Chef, der die „Jahrtausendspiele“ in die Bundeshauptstadt holen soll, könnte die Welt in diesen Tagen in Ordnung sein. Wenn, ja wenn der ehemalige Wirtschaftsmann (IBM und Werbeagentur GGK) sowie seine Mitstreiter der Olympia GmbH sich nicht ständig selbst im Weg stünden. Willi Daume, Oberhäuptling des Nationalen Olympischen Komitees, hat seine beleidigte Kritik an Werbung und Konzept für Olympia 2000 vorerst eingestellt. Der greise Daume hatte sich von den Berlinern übergangen gefühlt und kann nun nach seinem Donnerwetter damit rechnen, daß doch wieder fast alles über seinen Schreibtisch läuft — wie in München 1972.

Auch pfuscht die Treuhand momentan nicht mehr durch Grundstücksverkäufe in die Olympia-Planungen hinein. 350.000 knallgelbe Olympia-Buttons mit Bärengesicht und 6.000 T-Shirts sind innerhalb von 14 Tagen verteilt worden. Das Exekutivkomitee des IOC tagt zur Zeit in der Stadt und berät unter dem Schutz von 1.500 Polizisten über die Wiederaufnahme der baltischen Staaten, die Aufnahme Südafrikas und das Doping.

Die Demos der Olympia-Gegner wurden vom Tagungsort entfernt gehalten, bei Leuchtkugelflug griffen die Sicherheitskräfte „beherzt zu“, wie die Berliner CDU befriedigt feststellt. Selbst die Diskussion um die „alte Seilschaft“ um Lutz Grüttke und den Düsseldorfer Werbemann Michael Schirner — die sich noch von IBM und GGK kennen — ebbt langsam ab. Schirner hatte außerhalb des Wettbewerbs den Zuschlag für das „Kommunikationskonzept“ bekommen.

Neben einer umstrittenen doppelseitigen Foto-Werbeanzeige von Olympia-Chef Grüttke für den Herren-Modehersteller „Windsor“ im 'Spiegel‘ gibt es nun schon wieder eine neue Folge aus der Reihe Pleiten, Pech und Pannen. Wie die Berliner Abendzeitung 'Kurier‘ enthüllte, feiern die Herren und Damen des IOC-Exekutivkomitees nämlich am gleichen Ort, wo schon die Nazis 1936 ein pompöses Olympia-Eröffnungsbankett veranstaltet hatten. Die Sportgewaltigen nehmen vor dem Pergamon-Altar des gleichnamigen Museums im Ostteil der Stadt ihr Abendbrot ein. Auf die Kritik an dieser Kontinuität reagierte der Sprecher des CDU/SPD-Senats, Dieter Flämig, mit harschen Tönen: „Wenn man auf alles verzichten wollte, was mal von den Nazis mißbraucht wurde, dann müßte die Welt ganz auf die Olympischen Spiele verzichten oder Deutschland sich umbenennen.“

Im Prinzip ist das ein Argument der Olympia-GegnerInnen. Schließlich sind die ja unter anderem auch deshalb gegen die Spiele, weil sie es unmöglich finden, im alten Stadion wieder eine Eröffnungsfeier zu zelebrieren und dort in der alten Feuerschale ein olympisches Feuer zu entzünden. Olympia nach 1936 nie wieder in Berlin — gerade weil vom „Mißbrauch“ der Spiele oder des Sports keine Rede sein kann. Arbeiteten die Nazis und das IOC doch damals hervorragend zusammen, konnte es den Herren der Ringe doch gar nicht mythisch und militärisch wohlorganisiert genug sein. Selbst die Boykottbewegungen in einigen Ländern brachte das IOC damals zum Schweigen.

Doch das noch junge und zerstrittene Anti-Olympische-Komitee (AOK) aus Bündnis 90/Grünen, Teilen der PDS, Autonomen und Umweltgruppen hat auch handfeste Argumente aus dem Hier und Jetzt zu bieten. Regierungssitz und Olympia, das könne die Hauptstadt der Bagger und Bulldozer nicht vertragen. So sehen die Planungen etwa vor, daß die Wohnquartiere des Ostteils mit neuen Sportgroßbauten vollgebaut werden, die sehr viel Verkehr anziehen und deren Nachnutzung noch im dunkeln liegt. Die westlichen Bezirke hingegen sehen jetzt schon freudig dem bei ihnen geplanten olympischen Dorf und dem Medienzentrum entgegen. Ein weiteres Argument der Anti-Olympioniken ist das zu erwartende finanzielle Defizit von mindestens 800 Millionen Mark, außerdem reichen ihnen die 15.000 angekündigten Olympia-Wohnungen keineswegs aus. Mit der Explosion der Lebenshaltungskosten sehen die Gegner der Spiele eine Welle der Umstrukturierung kommen.

Öko-Gruppen haben auch die Absicht aufs Korn genommen, zuungunsten eines „Mauerparks“ den Jahn-Sportpark mit einer Vielzahl von olympischen Sportanlagen zu besetzen. Deshalb wird das ursprünglich geplante Baseball-Stadion wohl auch nicht hier entstehen. Auch die „Morellenschlucht“ im Wald von Ruhleben, in deren Nähe das Olympische Dorf errichtet werden soll, sehen die Ökos in Gefahr.

Weil zumindest die privat zu bauende und zu betreibende riesige Mehrzweckhalle auf dem Gelände des Stadions der Weltjugend bis zum IOC-Entscheid 1993 „als sichtbares Zeichen“ im Rohbau stehen soll, ist mit einem Beschleunigungsgesetz zu rechnen. Diese Einschränkung der Bürgerbeteiligung wird zwar offiziell heftig dementiert, aber von „nicht ausufernden, straffen Planungen“ ist schon die Rede.