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Bitterfeld: Profitable Chemiebetriebe werden zu Schnäppchen für Bayer

Für die Sanierung des ostdeutschen Chemiedreiecks fehlen noch immer schlüssige Konzepte  ■ Aus Leuna Eberhard Löblich

Vollmundig hatte unser aller Kanzler Helmut Kohl vor Wochen die Bestandssicherung der Großchemie zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt garantiert. Die Gedanken, wie das gehen soll, überläßt er, wie stets, den anderen. Und die zerbrachen sich jetzt während einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Leuna den Kopf darüber, wie das hehre Kanzlerwort wohl zu Wahrheit werden könne.

Dabei stand in erster Linie die wirtschaftliche Sanierung des Chemiedreiecks im Vordergrund. Der katastrophale Zustand der Umwelt in dieser Region wurde allenfalls in Nebensätzen gestreift. Denn, so das Credo von Jürgen Daßler, dem Vorstandsvorsitzenden der Leuna- Werke AG, „für die Sanierung der Altlasten brauchen wir wieder die Chemie, unsere Altlastenbehandlung könnte eine Marktlücke werden, in die wir hineinwachsen“. Daßler ist davon überzeugt, daß das bei der eigenen Sanierung erworbene Know-how irgendwann in naher Zukunft auch anderswo gefragt sein wird.

Im Mittelpunkt der Tagung stand erneut die Frage nach dem besten wirtschaftspolitischen Konzept zur Bestandserhaltung der Großchemie. Ihre ökologische Bedenklichkeit wurde dabei weniger in Betracht gezogen. Daß der Erhalt und die langfristige Sicherung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen wichtiger sei als die Interessen der Natur, daran bestand von keiner Seite irgendein Zweifel. Sanierung vor Privatisierung oder Sanierung durch Privatisierung, das waren die gegensätzlichen Credos der Veranstaltung. „Man muß eine Braut vor der Hochzeit gut ausstaffieren“, findet IG- Chemie-Patriarch Hermann Rappe, „und je älter die Braut ist, desto mehr Mühe muß man sich dabei geben.“

IG-Chemie will Sanierung notfalls durch die öffentliche Hand

Aber auch Rappe sah natürlich ein, daß die Sanierung der Großchemie nicht allein von den SteuerzahlerInnen zu finanzieren ist. „Wir müssen privates Kapital mobilisieren“, erkennt auch Rappe. „Aber wenn es keine Investoren gibt, dann muß so ein Betrieb eben doch durch die öffentliche Hand saniert werden.“ Das sei die einzige Möglichkeit, auf längere Sicht doch noch private Investoren zu finden. In diesem Zusammenhang warnte Rappe davor, die Dinge übers Knie zu brechen. „Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um Volkswagen und die Salzgitter-AG zu privatisieren, und hier soll das jetzt in zwei Jahren gehen.“

Dabei hat in den Standorten der Großchemie zumindest die wirtschaftliche Sanierung längst begonnen. „Das ist schließlich billiger als die Stillegung“, zitiert Leuna-Chef Daßler eine McKinsey-Studie. Danach würde die Stillegung von Leuna 5,7 Milliarden Mark kosten, die Anschubfinanzierung zur Sanierung dagegen nur 4,1 Milliarden. „Wir haben mittlerweile unsere Produktionsanlagen analysiert und rettungslos veraltete Anlagen außer Betrieb genommen“, sagt Daßler. Für die Umwelt der Region ein willkommener Synergieeffekt. Denn gerade diese Altanlagen waren auch die größten Dreckschleudern. Die Bestimmung sanierungsfähiger Anlagen und des künftigen Produktionsprofils seien ebenfalls bereits nahezu abgeschlossen. Ebenso die neuen Ablaufkonzepte sowie eine umfassende Personalkonzeption. Wieviele seiner Mitarbeiter dabei entlassen worden sind, verriet Daßler nicht.

Zahlen darüber gab es nur von einem Betriebsrat der Chemie-AG Bitterfeld. Von den bis Ende des Jahres abgebauten 7.000 Arbeitskräften wurden und werden insgesamt 1.500 direkt in die Arbeitslosigkeit entlassen. Für sie gab es nicht einmal mehr eine ABM-Stelle in einer der Sanierungsgesellschaften, die das Bitterfeldgelände auf Vordermann bringen sollen.

Der Chemie-Chef bei der Treuhand wies alle Forderungen nach schneller Sanierung durch seine Anstalt nachhaltig zurück. „Für uns gibt es keinen Erhalt um jeden Preis“, sagte er. „Die wirksamste Sanierung ist die Privatisierung.“ Er glaube nicht daran, daß sich die Betriebe der Großchemie aus eigener Kraft aus dem Sumpf ziehen können. „Es fehlt an Märkten und Markterfahrungen, an geschultem Management mit Erfahrungen in der Marktwirtschaft und vor allem an Kapital.“

Aber auch ohne das Wohlwollen der Treuhand haben einige Betriebe bereits begonnen, ihre eigene Sanierung in Angriff zu nehmen. Und auch die ökologisch am meisten bedenklichen Emissionen zu mindern. So will die Leuna-AG bis 1996 allein 380 Millionen Mark in die Abwasserbehandlung investieren. „Bis 1994 sind wir in der Abwasserqualität im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen“, verspricht Daßler.

Gesunde Betriebsteile gehen mit dem Konzern den Bach runter

Problematisch bei der Behandlung der Großchemie ist die Tatsache, daß einzelne wirtschaftlich gesunde Betriebsteile den Bach runter zu gehen drohen, weil die Konzernmutter so marode ist, daß sich die Treuhand mit Investitionskostenzuschüssen besonders schwer tut. Beispiel: die Camposan-Fertigung in Bitterfeld. Dieser Pflanzenstabilisator für die Getreideproduktion wird weltweit nur an vier Standorten hergestellt. „Und wir sind der größte und bestimmen maßgeblich den Qualitätsstandard mit“, sagt ein Mitarbeiter.

Die Camposan-Fertigung hat trotz nicht ausgelasteter Kapazitäten in diesem Jahr schwarze Zahlen geschrieben. Um die Produktion nicht nur effektiver, sondern auch umweltverträglicher zu gestalten, sollten Teile der Anlage erneuert werden. Die Betriebsleitung der Chemie-AG sagte die Kostenübernahme zu, die Beschäftigten begannen mit der Teildemontage. Aber in der Chemie-AG sind jetzt die Kassen leer, die Fertigstellung der Anlage ist infrage gestellt. Weder die Treuhand noch das Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt waren bislang bereit, dem profitablen Betriebsteil mit den notwendigen Zuschüssen unter die Arme zu greifen.

Auch so kann man wirtschaftlich gesunde Betriebe kaputtmachen — sehr zur Freude sicherlich der Bayer AG. Für sie könnte die Camposan- Fertigung ein günstiges Schnäppchen sein. Denn Bayer will in Bitterfeld einen neuen Produktionsstandort für Polymere und Konsumchemie gründen und in den nächsten fünf Jahren 500 Millionen Mark investieren. Die Rechnung der Leverkusener ist einfach. Die schwere wirtschaftliche Lage im Chemiedreieck vergrößert die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber der chemischen Industrie. Kein Problem also mit irgendwelchen alternativen Protestlern, die womöglich auch noch brave Bürger mitreißen.

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