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Augen so blau, so blau

■ Hans Albers wäre morgen 100 Jahre alt geworden

Er war ein Mythos schon zu Lebzeiten. In den fünfziger Jahren feierten das Radio und die Illustrierten seine runden Geburtstage fast ebenso enthusiastisch wie heutzutage das Fernsehen. Wenn man die Häufigkeit bedenkt, mit er es uns seinen legendären Ritt auf der Kanonenkugel präsentiert, kann man vermuten, daß der 150. Geburtstag von Hans Albers noch gefeiert werden wird, wenn Helmut Kohl und Boris Becker längst vergessen sein werden.

Münchhausen ist vielleicht der bekannteste Film von Hans Albers, der morgen 100 Jahre alt geworden wäre. Die UFA produzierte ihn 1943 zur Feier ihres 25jährigen Bestehens. Albers war auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und sein Blick aus den Augen so blau, so blau leuchtete zum ersten Mal in Farbe. Der unbekannte Graphiker in Diensten der Bundespost hat sich große Mühe gegeben, diesen Blick naturecht auf die Briefmarke zu zaubern, die vor wenigen Tagen erschienen ist.

Das Strahle-Auge, vor dem Schurken erstarrten und Frauen schwach wurden, und eine vor ihm nicht gekannte Frechheit, mit der er die Autoritäten attackierte, waren seine Markenzeichen. So trat er vor gut 60 Jahren in die Arena. In den Märchenwald des deutschen Kinos, wo Lilian Harvey mit Willy Fritsch regierte und Richard Taubers goldener Tenor über den Wipfeln schwebte, brachte er mit unerhörter körperlicher Durchschlagkraft einen fast amerikanischen Schwung. Einerlei ob er besoffen-selbstmitleidig mit der schlechten Welt haderte oder gutgelaunt im Frack den dicken Max markierte — das Publikum liebte ihn.

Er war der Held der kleinen Frau und des kleinen Mannes. Sie erkannten ihn als einen der ihren und dabei blieb es Zeit seines Lebens. Albers brachte den Ton der Straße in die Salons der großen weiten Welt, in denen er mit Vorliebe sein Wesen trieb. Albers-Land war mythisches Land, in dem der kleine Angestellte der dreißiger Jahre die Millionärstochter bekam, der Abenteurer der Nazizeit mit den von dunklen Mächten abgesandten Saboteuren aufräumte. Noch in den fünfziger Jahren sorgte der 60jährige Albers mit Kinnhaken und Witz in einer Bananenrepublik erst für Revolution und dann für Ordnung.

Aber was ihn den kleinen Leuten so nahe brachte, war eine „Art verrückter Angst vor der eignen Schwäche“, die Rudolf Arnheim schon 1931 an ihm bemerkt hatte. So versuchte die UFA, die nach dem Abgang Marlene Dietrichs in die USA und angesichts der statuarischen Zarah Leander oder der plumpen Marika Rökk wenigstens ein erotisches Schwergewicht benötigte, Albers als männliches Pendant der Dietrich aufzubauen. Aber wer wollte, konnte sehen, daß Albers sich vor Frauen, die sich seinem selbstgefälligen Charme nicht sogleich rückhaltlos ergaben, fürchtete. Viel zufriedener wirkte der vom Drehbuch zum Schwerenöter Bestimmte, wenn er bei seinen Filmmüttern in der guten Stube sitzen und das große Wort führen konnte. „Jeder Zoll ein Naziführer“, schrieb Ernst Bloch 1934, nachdem er Albers, als fieser Offizier Arneth die personifizierte Naziideologie, in dem Propagandaschinken Flüchtlinge gesehen hatte. Doch das war nur die halbe Wahrheit, denn den deutschen Helden mit dem gewichtigen Gang umwitterte auch im Nazikino die undeutsche Sehnsucht nach dem unsoldatisch Zarten, dem Ungeordneten. Erst die Mischung aus optimistisch gestimmter Härte und strömendem Sentiment, ohne Scheu vor Pathos und Kitsch, machte den Albers-Typus aus und verschafften seinen Propagandaaufträgen Glaubwürdigkeit und Erfolg.

Die Deutschen dankten es Albers, daß er geblieben war, als die Nazis an die Macht gekommen waren. Sie rannten ins Kino, egal ob er als Kolonialpionier Carl Peters gegen jüdische und englische Dunkelmänner antrat oder als melancholischer Münchhausen die „kaputte Zeit“ betrauerte. Und er blieb. Auch noch als die Nazis sein jüdische Lebensgefährtin zur Emigration zwangen und ihren Vater, Albers' Freund und Kollegen Bugen Burg, im KZ ermordeten. Und kaum hatten sich nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands die Staubwolken etwas verzogen, tauchte Albers im weißen Cabriolet in den zerstörten Straßen Berlins auf und ließ sich von den Trümmerfrauen umjubeln.

In den fünfziger Jahren wanderte Albers als ruheloser Wiedergänger des eigenen Ruhms über die Leinwand. Die Filme, die er als schließlich letzter überlebender Star jener „herrlichen Zeiten“ des deutschen Kinos der Nazizeit drehte, waren vorwiegend schlechte Wiederauflagen früherer Erfolge. Aber in den Illustrierten und wenn er Hof hielt, in seiner Suite im Hamburger Hotel Atlantic, blieb sein Nimbus ungebrochen. Sein Gesang mit heiserer, ein wenig vibrierender Stimme klang den Deutschen noch immer mitten ins Gemüt.

Albers bediente die deutsche Sehnsucht nach einfachen Verhältnissen, indem er vorführte, wie einer mit großmäuliger Was-kost-die- Welt-Geste und einer gewaltigen Portion Selbstgewißheit gegen eine kaputte Zeit die Oberhand behielt. Bis über seinen Tod 1960 hinaus ist er der ewigjunge Hans-im-Glück geblieben. Der einzige, den die Deutschen je besaßen. Nikolaus Merck

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