Friedensmission für Berg-Karabach

Aussichten auf ein Ende des Konfliktes zwischen Armeniern und Azeris verbessern sich/ Jelzin und Nasarbajew auf Vermittlungsreise/ Referendum in Armenien: Unabhängigkeitsvotum unsicher  ■ Aus Moskau K.-H.Donath

In einigen Dörfern der armenischen Enklave Nagornij-Karabach auf dem Territorium der Sowjetrepublik Aserbaidschan hat die Bevölkerung schon die Fahnen aufgezogen: die neue Trikolore der Russischen Föderation und die Flagge Kasachstans. Zum ersten Mal seit den gewalttätigen Ausschreitungen zwischen moslemischen Azeris und christlichen Armeniern 1988 machen sich jetzt hochrangige Regierungsvertreter endlich die Mühe, in diesem mörderischen Konflikt zu vermitteln.

Boris Jelzin, Rußlands Präsident, und Nursultan Nasarbajew, der erste Mann Kasachstans, fahren in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku und in das Krisengebiet Berg-Karabach. Dort sind die Hoffnungen groß, man werde endlich eine friedliche Beilegung des Konfliktes finden. Über 300.000 Armenier flüchteten bisher aus Aserbaidschan, 200.000 Aserbaidschaner verließen Armenien.

Lösungsmodelle sind bisher nicht bekannt. Doch dokumentiert die Teilnahme Nasarbajews als Vertreter der Interessen der moslemischen Bevölkerung die ernsten Absichten, zu einem Kompromiß zu gelangen: Mit dem Zusammenbruch des Unionszentrums und der kommunistischen Herrschaft brach auch die Stütze weg, die bisher die Gewalttätigkeit am Kochen gehalten hatte. Massiv griffen sowjetische Einheiten für Aserbaidschans in die Kämpfe ein.

Denn dort hatte man als einzige Kaukasusrepublik seine Bereitschaft erklärt, ohne Wenn und Aber der neuen Union beizutreten. Ihr damaliger und jetziger Präsident Ajas Mutalibow übte strikte Loyalität gegenüber dem Zentrum. Nicht etwa weil er ein überzeugter Kommunist gewesen wäre, sondern aus purer Machterhaltung. Dem Zentrum war Mutalibow ein Garant der Stabilität: Vasallentreue gegenüber Moskau, strikte Hierarchie innerhalb der Partei, Verbindungen zur wirtschaftlichen Halbwelt sowie Nepotismus und Clanstrukturen.

Mutalibow begrüßte den Putsch in Moskau, gewann aber trotzdem Anfang September die Präsidentschaftswahlen, die ohne einen Gegenkandidaten stattfanden. Dennoch regt sich auch am Kaspischen Meer die Opposition. Nach dem gescheiterten Putsch erklärte Aserbaidschan seine Unabhängigkeit. Mutalibow hoffte sich so noch einmal als „Landesvater“ empfehlen zu können. Fällt jetzt die massive Hilfe des Zentrums fort, wird er seine auf ethnische Konflikte angelegte Machtpolitik revidieren müssen. Nach der Unabhängigkeitserklärung Bakus riefen Vertreter der regionalen Sowjets in Karabach ebenfalls ihre Unabhängigkeit von Aserbaidschan aus, die dessen Oberster Sowjet sofort für null und nichtig erklärte. Die Enklave erhob sich zur eigenständigen Republik, die allerdings ein Bestandteil der Sowjetunion bleiben möchte.

In Eriwan, der armenischen Hauptstadt, dürfte dieser Schritt nicht auf Gegenliebe stoßen. Zwar hatte es seitens der armenischen Regierung schon Vermittlungsvorstöße gegeben, die die Region mit einem eigenständigen Status versehen wollte. Doch betrachtet man Nagornij-Karabach in Eriwan als ureigenes Gebiet. In der Tat wurde Karabach erst in den 20er Jahren Aserbaidschan zugeschlagen.

Prekär wird die Lage dadurch, daß heute in Armenien das Referendum über den Verbleib in der Union stattfindet. Im Vergleich zu den anderen austrittswilligen Republiken hatte sich die junge Regierung Armeniens letztes Jahr verpflichtet, die Union in Übereinstimmung mit der sowjetischen Verfassung zu verlassen. Diese kompromißlerische Haltung des Präsidenten Ter-Petrossjan wird von der Opposition heftigst kritisiert, die für einen rigiden Bruch auch mit dem neuen Moskau agitiert. Ließe sich der Kampf mit Aserbaidschan beilegen, könnte Rußland seine traditionelle Rolle als Schutzmacht Armeniens vielleicht noch erhalten. Die Meinungen darüber gehen in Eriwan auseinander. So deutlich wie in anderen Republiken wird die Entscheidung zur Unabhängigkeit nicht ausfallen. Denn die Angst vor dem Erzfeind Türkei und dem moslemischen Aserbaidschan sitzt noch in vielen Köpfen.