: »Flüchtlinge wie Sondermüll entsorgt«
■ TeilnehmerInnen des Solidaritätskonvois nach Hoyerswerda fordern sofortige Wiederaufnahme der Flüchtlinge/ Barbara John strikt dagegen
Berlin. Nach ihrer Rückkehr aus Hoyerswerda in Sachsen haben sich gestern TeilnehmerInnen des Berliner Solidaritätkonvois mit der Forderung an die Öffentlickkeit gewandt, die bedrohten Flüchtlinge sofort in Städten wie Berlin und Frankfurt am Main in Sicherheit zu bringen. »Alle Asylbewerber, die von Berlin aus nach Hoyerswerda verteilt worden sind, müssen hier wieder aufgenommen werden«, forderte Elisabeth Reese, stellvertretend für mehrere Ost- und Westberliner kirchliche Asylberatungstellen und den Flüchtlingsrat.
Die autonomen und antifaschistischen Gruppen, die bei dem Konvoi am Sonntag mit Abstand am meisten TeilnehmerInnen aufgeboten hatten, erwägen für die Flüchtlinge sichere Unterkünfte in Berlin und anderswo zu suchen.
Der ausländerpolitische Sprecher von Bündnis 90/Grüne, Wolfgang Wieland, bezeichnete es als »unverantwortlich«, daß weiterhin von Berlin aus Asylbewerber in die neuen fünf Bundesländer geschickt werden. Wieland zufolge sei es »gängige Berliner Praxis«, daß Flüchtlinge, die nach erlittenen Mißhandlungen aus den neuen fünf Bundesländern nach Berlin zurückgekehrt seien, erneut nach Brandenburg oder Sachsen »verbracht« würden.
Bei der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) stießen die Forderungen auf taube Ohren: »Das ist eine völlig falsche Herangehensweise«, meinte sie. Die Flüchtlinge von Hoyerswerda nach Berlin und in die alten Bundesländer zurückzuverlegen hieße, »die Situation der Aggression« und »dem Mob auf der Straße« zu überlassen. Stattdessen, so John, müsse in Hoyerswerda und den fünf neuen Bundesländern ein ausländerfreundlicheres Klima geschaffen werden: »Bisher war kein Unrechtsbewußtsein da.« Dafür müßten sich nicht nur die Landesregierungen und Gemeinden einsetzen, sondern auch die Kirchen und Gewerkschaften: Sie müßten die Leute, die bei Angriffen auf Ausländerwohnheime Beifall klatschten »ins Gespräch ziehen«.
Johns Weigerung, die Asylbewerber wieder im vergleichsweise sicheren Berlin aufzunehmen, wertete Wolfgang Wieland vom Bündnis 90/Grüne als »schiere Heuchelei«. Auch rein rechtlich gesehen, so Wieland, »ist es jederzeit möglich, die Flüchtlinge, die von Berlin verteilt wurden, wieder hier aufzunehmen«. Stattdessen bevorzuge es der Senat, »die Flüchtlinge, genauso wie den industriellen Sondermüll, in den neuen fünf Bundesländern zu entsorgen«.
Einig waren sich die kirchlichen Asylgruppen, der Flüchtlingsrat, die Autonomen Gruppen und Bündnis 90/ Grüne gestern auch darin, daß die ausländerfeindliche Stimmung durch die Asyldebatte der Parteien genährt werde. Die Autonomen wiesen darauf hin, daß sie mit der Solidaritätsaktion für die Flüchtlinge und ArbeitsimmigrantInnen »die Versuche der Regierungspolitiker vereiteln wollen, Hoyerswerda, wie auch andere Flüchtlingswohnheime, zum Zwecke der weiteren Verschärfung einer repressiven Asylpolitik zu nutzen«. Ohne die Autonomen Gruppen, die mit über 300 von insgesamt knapp 400 Leuten nach Hoyerswerda gefahren waren, wäre die Aktion nicht möglich gewesen, sagt Wolfgang Wieland, der selbst mitfuhr: Andernfalls wären die paar Leute von den Kirchen und Menschenrechtsorganisationen vermutlich von den Neonazis »aufgemischt worden«.
Daß die Autonomen in Hoyerswerda Randale gemacht haben sollen, wie gestern unter anderem auch von der taz verbreitet worden war, wurde sowohl von Wieland als auch von den Autonomen selbst dementiert. Es habe lediglich einzelne Handgreiflichkeiten an der Polizeisperre vor dem Ausländerwohnheim gegeben.
Polizeisprecher Eberhardt Schultz hofft, daß es in Berlin keine Gewalteskalation wie in Hoyerswerda geben werde. Nach den vergangengen Anschlägen auf Ausländerunterkünfte in Berlin müsse aber leider damit gerechnet werden. Die Polizei habe darum ihre Sicherheitsvorkehrungen um die Wohnheime verstärkt. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen