: Bürgerkrieg in Sicht
■ Nach dem Scheitern der Vermittlungen in Georgien bereitet sich Tbilissi auf neue Zusammenstöße vor
Moskau (ap) — In der georgischen Hauptstadt Tbilissi hält die dramatische Machtprobe zwischen dem Präsidenten Swiad Gamsachurdia und seinen Gegnern an. Ein Gespräch zwischen Gamsachurdia, dem diktatorisches Gehabe angelastet wird, und einem Führer der parlamentarischen Opposition, Tedor Paataschwili, über eine Beendigung der Krise brachte am Sonntag abend kein erkennbares Ergebnis. Ministerpräsident Wissarion Guguschwili erklärte, Gamsachurdia könne „die ihm vorgelegten illegalen Forderungen nicht erfüllen“. Dennoch wurden am Montag erneut Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition aufgenommen.
Nach dem Gespräch mit Gamsachurdia begab sich Paataschwili in das von Anhängern der Opposition seit Sonntag morgen besetzte Rundfunk- und Fernsehgebäude in Tbilissi. Da ihnen dort der Strom abgeschaltet worden war, konnten sich die Oppositionellen nicht über die Funkmedien an die Bevölkerung wenden. Laut 'Tass‘ wurden die Oppositionsaktivisten nach Einbruch der Dunkelheit mit Kerzen und Batterieleuchten gesehen. Einer von ihnen, der Abgeordnete Merab Uridije, sagte, die Opposition sei dabei, ihr Vorgehen in einer Situation zu koordinieren, die „nahe am Bürgerkrieg“ sei.
Die rund 200 bewaffneten Funkhausbesetzer wurden angeführt von dem früheren Ministerpräsidenten Tengis Segua. Der Gruppe schlossen sich auch Mitglieder der georgischen Nationalgarde an. Ihr Anführer ist General Tengis Kitowani, der mit Gamsachurdia gebrochen hat. Er gibt an, zu ihm stünden 600 bis 800 Nationalgardisten. Außerdem sollen in Tbilissi Hunderte von Menschen auf dem Weg zum Fernsehzentrum sein. Unter ihnen viele junge Männer, mit Jagdgewehren für die kommenden Ereignisse ausgerüstet. Auf die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen weist auch hin, daß im Fernsehgebäude Medikamente und Verbandsmaterial verteilt wurden.
Gamsachurdia seinerseits setzte über einen geheimen Fernsehsender die Serie seiner Aufrufe an die Bevölkerung fort, ihn gegen „die Pseudo- Opposition“ zu verteidigen, „die einen Angriff auf das Parlament und die legal gewählte Regierung vorbereitet“. Gamsachurdia hatte bei der ersten georgischen Präsidentenwahl im Mai einen überwältigenden Sieg errungen.
Bei den gewaltsamen Zusammenstößen in der Nacht zum Sonntag waren drei Menschen ums Leben gekommen, 41 Verletzte mußten in Krankenhäuser eingeliefert werden. Zu ihnen gehörten fast alle Mitglieder einer Gruppe von Hungerstreikenden, die am Samstag vor dem Präsidentenamtssitz gegen die Verhaftung von drei Oppositionspolitikern protestiert hatten und von Polizisten und Zivilisten zusammengeschlagen worden waren.
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