: Bremen wählt — und die SPD hat die Wahl
Zur Bremer Landtagswahl am kommenden Sonntag: Das kleinste Bundesland steht zu seinem besonderen Charme aus Bürgernähe und Filz/ SPD fürchtet Verlust der absoluten Mehrheit, Grüne und FDP wollen im Rathaus mitmischen ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Am kommenden Sonntag wählen Bremens Bürgerinnen und Bürger. In Bonn kümmert das wenig — die drei Bremer Bundesratsstimmen fallen erstens nicht ins Gewicht und bleiben zweitens aller Voraussicht nach bei der SPD. Und wie soll der hoch verschuldete Städtestaat auch den Kanzler verärgern, wo doch so viel vom Wohlwollen in Bonn abhängt.
CDU ohne Chance
Eine besondere Bremer Stabilität bewirkt zusätzlich, daß sich im Bonner Machtkalkül niemand um Bremen kümmern muß: Die CDU ist einflußlos. Beim letztenmal 1987 sank sie auf 23 Prozent ab und diesmal wird sie sich als glückliche Gewinnerin schätzen, wenn sie die 30-Prozent- Marke überspringt. An einen Machtwechsel ist nicht zu denken. Ein Seiteneinsteiger führt die Partei in diese Wahl: der Sparkassen-Vorstand Ulrich Nölle. Der hört es gern, wenn er als „Banker“ tituliert wird. Dem Herausforderer fehlt nur die politische Sachkompetenz des Amtsinhabers, sonst ist er eine Kopie des Bürgermeisters Wedemeier: Er hat sich genauso im kaufmännischen Bereich hochgearbeitet, ähnelt ihm vom Typ und vom Aussehen her. „Nöllemeier — Wedenölle“ spotteten die Grünen auf einem Wahlplakat, die Stadt lachte.
Die abstrakte Frage, ob der demokratische Wechsel nicht zur Demokratie gehöre, interessiert wenige in dieser Stadt. Die meisten Meinungsführer, die Verbandsvorsitzenden und Geschäftsführer, sind irgendwie ins fein gesponnene Netz sozialdemokratischer Abhängigkeiten eingewoben.
Bremen ist ein eigenständiges Bundesland. Das politische Bremen ist gleichzeitig eine Kleinstadt. Wer wissen will, was Dienstagsvormittag in der vertraulichen Senatsrunde beschlossen wurde, muß Dienstagnachmittag über den Marktplatz schlendern, sagt man — und ist stolz über so viel Bürgernähe.
Eine politische Kleinstadt
Daß auf der Kurfürstenallee, wo morgens der Berufsverkehr aus einem wohlhabenden Viertel in die City läuft, eine Spur für die Busse des Öffentlichen Nahverkehrs „freigepinselt“ wurde, ist seit Monaten Wahlkampfthema Nummer eins von CDU und FDP. In Bremen ging der frühere SPD-Senatssprecher als Geschäftsführer in eine Medien-Firma, deren Besitzer Patenonkel des CDU- Landesvorsitzenden ist. Wenn die 'Zeit‘ berichtet, daß in Bremen „auf einem arglosen Spaziergang ein angesehener Wissenschaftler von einem führenden Wissenschaftsmanager angesprochen“ wurde, ob der nicht „dem sehr geehrten Herr Senator zum Gefallen“ ein Gutachten für einen Parteifreund schreiben könne ('Zeit‘: „Name der Redaktion bekannt“), dann weiß man in Bremen: Damit können nur Claus Offe und Reinhard Hoffmann gemeint sein. Man kennt sich. Die SPD hat die Stadt mit großflächigen Plakaten „Lieber Klaus“ zukleben lassen. Diese demonstrativ plumpe Vertraulichkeit ist der Nährboden für Filz.
Der eine Sparkassen-Vorstand macht Reklame für die SPD, der andere ist CDU-Spitzenkandidat. Beide stehen nebeneinander unter einem Sparkassen-Brief, der am vergangenen Samstag öffentlich wurde. Da droht das der Kulturförderung verpflichtete kommunale Geldinstitut damit, eine Ausstellung mit sowjetischen Karikaturen abzusagen, wenn das städtische Überseemuseum die Eintrittskarten für die überregional bedeutende Ausstellung „Schätze aus dem Kreml“ nicht über die Sparkassen-nahe Kartenverkaufs-Firma TSC verkauft. Eine kleinkarierte, provinzielle Erpressungs-Posse, der sich das städtische Museum schließlich beugte. Als sie bekannt wird, trifft der Bürgermeister den taz-Karikaturisten Til Mette auf der Straße und sagt ihm, daß ihn diese taz-Enthüllung sehr freue, weil sein CDU-Konkurrent Nölle damit ins Gerede kommt. So ist Bremen.
Schulden machen im Interesse der Arbeiter
Um die politische Kleinstadt herum liegen die Wohnviertel der Arbeiter in den für Bremen typischen Einfamilienhäusern, viele auch in den seit den 60er Jahren entstandenen Neue- Heimat- Siedlungen. Seit 45 Jahren sieht man hier seine Interessen bei der SPD aufgehoben. Als in den 70er Jahren Arbeitslosigkeit hereinbrach, mußte die bremische Sozialdemokratie ihr Klientel versorgen. Henning Scherf, damals sogar für kurze Zeit Finanzsenator, stand in vorderster Front, wenn es darum ging, im Sinne des linken Keynesianismus durch eine expansive Stellenpolitik für den Staatsdienst Leute unterzubringen und „Nachfrage“ zu schaffen. „Stellenabbau“ ist seit Jahren die Kehrseite dieser Politik.
Die Stahl- und Werftenkrise hat Bremen Anfang der 80er Jahre besonders stark erwischt, der Senat griff tief in die Taschen der Steuerzahler, um für die Arbeiter das Schlimmste zu verhindern — und mußte doch zusehen, wie der Krupp- Konzern die Werft AG-Weser dichtgemachte. Mit einem Milliarden umfassenden Subventionsprogramm versuchte die Landesregierung Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, die Staatsverschuldung galoppiert. In den kommenden Jahren wird die Zinslast die Neuverschuldungssumme übersteigen. Eigene Steuererträge können das nicht auffangen, seitdem der Länderfinanzausgleich zuungunsten Bremens verändert wurde. Tausende Pendler zahlen in Niedersachsen ihre Steuern, nutzen aber die kommunalen Einrichtungen des Oberzentrums Bremen.
Die Abrüstungskrise
Ein Ende der Finanzkrise ist nicht abzusehen. Jahrelang waren die Bremer mit ihren Abrüstungsinitiativen auf SPD-Bundesparteitagen Spitze — die drohende reale Abrüstung ist den Genossen in die Glieder gefahren. 10.000 Rüstungs-Arbeitsplätze sind in den nächsten Jahren an der Weser bedroht, stellte eine Senatsstudie fest. Das Land half mit erheblichen Finanzmitteln, die bremischen Rüstungskapazitäten unter Federführung des Vulkan zusammenzuführen. Der Bremer Vulkan-Konzern rangiert inzwischen in der Statistik als drittgrößter Rüstungsproduzent der BRD, ein ehemaliger bremischer Staatsrat ist Vorstandsvorsitzender. Nicht nur im Hafen- und Rüstungsbereich, auch in anderen Industriezweigen steuert der Staat über eine kompliziert gestrickte Palette von staatseigenen Firmen inzwischen wesentlicher Bereiche der Ökonomie und kämpft um den Anschluß an die Weltwirtschaft. Die Außenweser vor Bremerhaven wird, zum Ärger der Hamburger Konkurrenz, für die Containerschiffe der „vierten Generation“ vertieft, die einstige sozialistische „Reform- Uni“ ist längst zum Zentrum eines Technologieparks im Interesse der regionalen Wirtschaft umgebaut. Schon in den 70er Jahren hat sich die Bremer SPD mit dem Daimler-Konzern arrangiert, der in einem modernen Werk die 190er und — zum Neid der Stuttgarter — sogar Wagen der S-Klasse fertigt. Daimler-Chef Niefer bekam dafür den Ehrendoktorhut der Bremer Uni.
Nicht immer reicht der bremische Wirtschaftsverstand aber für große Würfe. Das große Werftgelände der „AG-Weser“ wurde mit Millionen- Subventionen einem Industrieanstrich-Unternehmer überlassen; die Rechnung für den „Fall Grunau“ will der Senat vorsichtshalber erst zwei Wochen nach der Wahl präsentieren. Kürzlich eröffnete Bremen in einem imposanten Neubau sein „Asian Trade Center“. Das Lockmittel, das die Unternehmen aus Fernost um die halbe Welt ausgerechnet an die Weser ziehen soll, erscheint peinlich provinziell: kostenfreie Miete auf vier Jahre. Bislang zogen vor allem Unternehmen innerhalb der Stadt um ins preiswerte, piekfeine „Trade Center“.
Bremen will selbständig bleiben
Aus eigener Kraft, so sind sich die bremischen Parteien über alle Wahlkonkurrenz hinweg einig, kommt die Stadt aus ihrer öffentlichen Verschuldung — über 15 Milliarden — nicht heraus. Alle Parteien sind sich auch in einem anderen Punkt einig: Das kleinste Bundesland soll sich nicht in die Arme eines finanzkräftigen „Nordstaates“ flüchten, sondern um Teilentschuldung in Bonn werben.
SPD vor der Wahl
Die Bremer SPD, die um ihre 20jährige absolute Mehrheit zittert, steht vor einer schweren Wahl: Grüne wie FDP bieten sich als Koalitionspartner an. Soll sie sich von den Grünen wieder ins Rathaus wählen lassen, die mit der einen oder anderen ökologisch begründeten Extrawurst die Außenseiterrolle Bremens profilieren möchten, in der Schul-, Sozial- und Verkehrspolitik der SPD aber keine Wende abverlangen? Oder soll sie sich auf die FDP einlassen, die lauthals eine Reduktion aller Staatsausgaben auf Bundesniveau verlangt und bessere Drähte nach Bonn verspricht, wo über die Frage „ökonomischer Kollaps oder Teilentschuldung“ entschieden wird? Der SPD- Bürgermeister, früher als eindeutiger FDP-Koalitionär eingeschätzt, hat es geschafft, die festgezurrte Offenheit der Bremer SPD für beide Koalitionspartner auch in seiner eigenen Person glaubwürdig zu machen. Vor einer Versammlung von tausend Unternehmern konterte er vor einer Woche, wenn der CDU- Mann Nölle die Stimmen von CDU und FDP zusammenrechne, dann müsse man eben dagegen die Stimmen von SPD und Grünen rechnen — das sind weit über 50 Prozent. Der versammelten Bremer Geschäftswelt stockte der Atem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen