: Messners toter Eismann
Der Kilimandscharo ist ein Berg von sechstausend Meter Höhe und gilt als der höchste Berg Afrikas. Der westliche Gipfel heißt bei den Massai Nàgja NgÛi, das Haus Gottes. Dicht unter dem westlichen Gipfel liegt das ausgedörrte und gefrorene Gerippe eines Leoparden. Niemand weiß, was der Leopard in jener Höhe suchte.“ Mit diesen großen Worten beginnt Hemingways Kurzgeschichte Schnee auf dem Kilimandscharo. Die Österreicher haben auch Berge, und jetzt haben sie auch ein gefrorenes Gerippe, aber nicht von einer popeligen Katze, sondern von einem echten Menschen.
Ein deutscher Tourist entdeckte im Gletschereis der Tiroler Alpen in etwa 3.200 Meter Höhe die Leiche eines Mannes, die dort seit circa 500 Jahren liegt. Zufällig hielt sich Klettermaxe Reinhold Messner in der Gegend auf. Als er von der tiefgekühlten Leiche hörte, stieg er gleich auf, um sich die Sache einmal näher anzusehen, denn die Presse war schließlich auch schon da.
Nach den ersten Berichten war der Tote, dessen Kopf und Schultern aus dem Eis herausragten, fast unbekleidet. Lediglich an den Beinen befanden sich Lederüberreste. Vermutlich um sich gegen die Kälte zu schützen, hatte der Mann seine Beinkleider mit Heu ausgestopft. Neben dem Eismann wurden vernähte Birkenrinden und Gamshaar aufgefunden. Er hielt eine Art primitiver Metallaxt in der Hand. Der Polizeichef von Sölden berichtete: „Dieser Stock ist etwa 80 Zentimeter lang. Die Krümmung am oberen Ende war von Menschenhand gespalten und mit einem Eisenkeil versehen.“ Am Hinterkopf und am Rücken hatte der Tote Spuren von Verletzungen.
Herr Messner fotografierte die Leiche zunächst einmal und machte sich dann an die Analyse. Bei dem Toten handelt es sich um einen Häftling, behauptete er. Die Wunden auf dem Rücken stammten von Peitschenhieben, und die Lederriemen an den Beinen waren Fesseln.
Da fragt man sich doch, warum die Österreicher sich die Mühe machen, die Leiche samt daran hängendem Eisblock ins Gerichtsmedizinische Institut nach Innsbruck zu schleppen. Gut, Prof. Dr. Rainer Henn will den alten Knaben „vorsichtig auftauen, damit keine historisch wertvollen Spuren verlorengehen“, aber das kann er sich sparen. 'Bild‘ wußte nämlich gestern schon Bescheid und jubelte: „Messner löst Rätsel um Toten im Eis.“ Messner macht wieder Schlagzeilen, aber der eiskalte Tote ist auch nicht interessanter als das Gerippe auf dem Kilimandscharo. Karl Wegmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen