: Größenwahn
■ betr.: "Disneyland-Bauboom: Ein neues Stadtschloß?"
Betr.: »Disneyland-Bauboom:
Ein neues Stadtschloß?«
»Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben«, sang der Volksmund. Gelehrte Herren, wie Arnulf Baring und Günther de Bruyn, wandeln dies inzwischen in einem Anfall von gesteigerten Realitäts(un)- Sinn mit wohlfeilen, gleichwohl inhaltslosen Worthülsen, in die Phrase: »Wir wollen unser altes Stadtschloß wiederhaben.« Obwohl sie auch dringendere Probleme als die Stadtschloßfrage verbal eingestehen, wird diese zu einem vermeintlichen »Symbol gesamtdeutscher Hilflosigkeit, eines gemeinsamen Scheiterns«, hochstilisiert. Barings rein architektonisch verstandenes Vokabular von der »sensibelsten Stelle der Stadt«, von der »großen Öde« erhält unter sozialpolitischem Blickwinkel eine weitaus dramatischere Dimension. Die Sensibilität für die sozialen Spannungen in der Stadt bleibt auf der Strecke. Ausdruck einer saturierten Selbstzufriedenheit?
Aber auch unter städtebauplanerischen Aspekt ist Baring zu widersprechen; verschweigt er doch, daß gerade das »diskreditierte Regime« das »harmonische Ensemble« im Zentrum Berlins wieder aufbaute, das er durch das neue Stadtschloß komplementiert wissen will. Wenn für Baring der Palast des Volkes Bastille eines diskreditierten Regimes ist, dann muß das Stadtschloß Sinnbild eines monarchistischen Staatsgebildes sein. Beides gehört gottlob der Vergangenheit an! Ferner: Und wann reißen wir das »nationalsozialistische« Olympiastadion ab?
Wieviele Bausünden gab es denn eigentlich in der alten Bundesrepublik, als in einem wahren Sanierungstaumel alte Bausubstanz etwa einem Kaufhaus wich. »Sich zu seiner Geschichte bekennen«, wie es Günther de Bruyn fordert, heißt außerdem zu akzeptieren, wie es die Stadt Hannover am Beispiel des Schlosses Herrenhausen vorexerzierte: Auch das Wegbomben ist Teil der Geschichte — und zwar deren letzter Akt! Einen wahren Kunsthistoriker kann und darf zudem eine bloße Replik nicht zufriedenstellen.
»Die Stadt als Stadt zu retten«, dieses hehre Ziel von Wolf Jobst Siedler verdient andere Brennpunkte Berlins, nämlich menschengerechte Wohngegenden und nicht vornehmlich Repräsentationsarreale.
Sollte aber dennoch »die Schloß-Kontroverse« für Berlin so überaus sinnstiftend sein (Manfred Bissinger), dann aber wirklich: Armes Berlin, armes Deutschland!
PS: Unser Größenwahnvorschlag: Baut das Olympiastadion 2000 in das Zentrum Berlins.
Stephan Schmidt, 1/65;
Martin Möller-Mylius, 1/19
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