: Inder aus Uganda in Mississippi
■ Ein Gespräch mit der indischen Regisseurin Mira Nair, deren neuer Film "Mississippi Masala" ab heute in den Kinos läuft
Ameena Meer: Wo kam Ihnen die Idee für „Mississippi Masala“?
Mira Nair: Als ich das erste Mal hier in New York an die Universität kam, bemerkte ich die Unterschiede, die Schwarze, Inder und andere Farbige untereinander machen, aber auch ihre Solidarität miteinander. Wenn man in Indien aufgewachsen ist, hat man ein deutliches Gespür für die verschiedenen Abstufungen der Hautfarbe innerhalb unserer eigenen Bevölkerungsgruppen. Es hat mich fasziniert, das gleiche in Amerika zu beobachten.
Dann bin ich auf Jane Kramers Reportagensammlung „Unsettling Europe“ gestoßen, die sie für den 'New Yorker‘ geschrieben hat. Eine handelt von einer moslemischen Familie, die aus Idi Amins Uganda ausgewiesen wurde und jetzt nach London kommt. Sie verkörpern Inder, die Indien gar nicht kennen und Afrika zwangsweise verlassen mußten. Inder, die Afrika als ihre Heimat betrachten, dort aber unter sich blieben und so relativ abgekapselt von der lokalen afrikanischen Gesellschaft lebten, die sie irgendwann aufforderte zu gehen. Was geschieht jetzt mit ihnen? Was bedeutet ihnen „Heimat“? Dies schien mir der entscheidende Punkt der Geschichte, an dem sich die besonderen Spannungen zwischen „schwarzen“ und „braunen“ Rassen herauskristallisierte. Der ursprüngliche Titel meines Films war „Twice Removed“.
Gleichzeitig wußte ich von Indern, die vorwiegend im Süden der USA Motels besitzen. Angesichts der Geschichte der Rassentrennung in den Südstaaten fand ich es interessant, daß sie gerade dorthin gerieten und Motelbesitzer werden konnten. Denn genau wie in Uganda bilden die Inder hier die Mitte von Schwarz und Weiß. Ich fügte die beiden Realitäten ziemlich mathematisch aneinander und fragte mich: Was würde wohl passieren, wenn ein Mitglied der indischen Gemeinschaft die Rassenschranken zum Beispiel in Richtung Schwarze übertritt? In meinem Film erzähle ich eine Liebesgeschichte zwischen Angehörigen verschiedener Rassen, die nach ihrer Entdeckung sofort unterbunden wird. Gleichzeitig thematisiert sie Erinnerungen an den Exodus aus Uganda.
Ich erzählte diese Idee meiner alten Freundin Sooni Tareporevala, die schon das Drehbuch zu „Salaam Bombay!“ geschrieben hat. Sie hat eine ziemlich respektlose Exilkomödie daraus gemacht. Es ist ein frecher Film.
Welchen Eindruck hatten Sie vom Zusammenleben der drei Rassen in den Südstaaten?
An der Oberfläche ist es ein sehr freundliches Nebeneinander. Die Inder halten gewissenhaft und höflich Distanz zu Weißen und Schwarzen. Die Schwarzen nennen sie oft „Bruder“, und in einem gewissen Maße wird diese Vertraulichkeit auch erwidert. Aber die Linien sind ganz klar abgesteckt, jeder weiß, wo die Beziehungen enden. Ich traf einen Inder, der mir erklärte: „Oh, wir sind Weiße, die nur etwas zu lange in der Sonne gelegen haben.“ In Wirklichkeit gibt es aber keine Ausrichtung auf die eine oder andere Gruppierung, die Inder haben ganz einfach die Spielregeln gelernt. Und für das indische Ethos eignet sich das Motelgewerbe ganz hervorragend: Die Familie arbeitet, lebt und verdient gemeinsam, ein fast selbstgenügsames Universum. Gleichzeitig ist es urkomisch, wie in diesem traditionellen indischen Universum ständig heimliche Rendezvous, Prostitution oder irgendwelche Schlägereien stattfinden. Die Situation ist wirklich einmalig und hybride, daher der Filmtitel.
Halten Weiße Inder ebenfalls für Weiße?
Nein. Sie halten sie eigentlich für gar nichts. Ausgenommen einen reichen Inder, den respektieren sie schon. Inder verkörpern Highway- Kultur, das heißt Kulturlosigkeit. Es ist Niemandsland. Aber einen Schritt aus dem Motel raus sieht man, wo man wirklich ist, nämlich in Greenwood, wo Stokely Carmichael einst den Slogan „Black Power“ prägte. Jetzt ist das ein verschlafenes Nest, in dem man Rassismus „Tradition“ nennt. Ein interessantes Wort. Es ist schwer, selbst für mich, dort ein privates Quartier zu mieten, wenn man nicht weiß ist. Genauso ging es uns mit einer Wohnung für Denzel Washington. Es ist ein Ort, an dem alte Einstellungen unter dem Anschein einer Harmonie weiterleben, die mich nie wirklich überzeugt hat.
Ist eine Beziehung wie in Ihrem Film, zwischen Mina, einer jungen Inderin, und dem Schwarzen Demetrius überhaupt möglich?
Nun, Mina kommt aus einer ungewöhnlichen Familie. Sie kommt aus Uganda, und ihr Vater, der mit einem afrikanischen Bruder aufwuchs, ist ein fortschrittlicher Rechtsanwalt. Er empfindet seinen Schmerz über das erzwungene Exil ungewöhnlich stark, stärker als die meisten Inder, denn er hat sich immer zuerst als Ugander und dann als Inder gefühlt. Er fühlt sich von dem Verrat seines Landes und seines afrikanischen Bruders persönlich tief getroffen. Wenn seine Tochter diesen Konflikt durch ihre Liebesaffäre quasi wieder ins Haus bringt, ist er gezwungen, zu überprüfen, was er sie zu glauben gelehrt hat und was er nun selbst umzusetzen nicht in der Lage ist. Das ist das Dilemma. Sie ist wirklich eine „Masala“, eine Mischung, jemand, der eigentlich von überallher stammt und bisher in indischen Zusammenhängen lebte. Gegenwärtig ist ihr Vater besessen davon, die ugandische Regierung wegen Verletzung seiner bürgerlichen Rechte zu verklagen, was über zehn Jahre zurückliegt. Jeder in Mississippi ist davon überzeugt, daß er eine Schraube locker hat.
Ich finde diese verpflanzten indischen Gemeinschaften immer sehr interessant, ich nehme an, weil ich selber einer angehöre. Die Westindis auf den karibischen Inseln haben eine völlig eigene Kultur entwickelt. Ist das in Uganda auch so?
Nein. Diese Inder waren überwiegend Gujarati, sie hatten eine gemeinsame Kultur und Sprache. Es ist nicht ganz so wie Latein, aber sie sprechen ein antiquiertes, reineres Gujarati. Außerdem sind die ugandischen Inder viel traditioneller. Ich war eine Kuriosität für sie, eine Inderin aus Indien, meine Kleidung und mein Verhalten waren für die ostafrikanischen Inder äußerst verwirrend. Gleichzeitig lebten hier eine Menge Moslems, Ismaeliten, Sikhs und Jains. Deshalb gibt es in Kampala, der Gegend, wo wir drehten, noch eine Menge Moscheen, Gurduwaras und wunderschöne Jain-Tempel.
Daß wir den Film in Uganda und Greenwood gedreht haben, macht die Unerklärbarkeit der ganzen Geschichte viel deutlicher. Sie ist auch ziemlich komisch. Die meisten Leute wissen rein gar nichts über Idi Amin oder Uganda, reichlich absonderliche Begriffe für einen engstirnigen Amerikaner; aber ich habe den Film in Kinos in und um Greenwood getestet, und die Leute amüsieren sich.
Es gab zwei Herausforderungen: Die eine war, das schwarze Universum ebenso komplex und wirklich zu gestalten, wie ich es vom indischen her kenne. Dabei wurde ich ganz wunderbar vom Gespür und der Kompetenz unseres schwarzen Stabs unterstützt: Denzel Washington, Tico Wells („Five Heartbeats“), Joe Seneca, ein großer Schauspieler alter Schule, sowie Yvette Hawkins und Charles Dutton (beide zu sehen in „The Piano Lesson“). Natürlich auch durch den Schauplatz Greenwood selbst. Die zweite Herausforderung bestand darin, die extrem unterschiedlichen Schauspieltraditionen unserer Akteure einander anzupassen. Wir haben Stars aus indischen Seifenopern, indische Leinwandlegenden wie Sharmila Tagore, wir haben Roshan Seth, einen indischen Schauspieler mit klassischer englischer Bühnenausbildung, Denzel aus Hollywood und Sarita Choudhury, die noch nie zuvor gespielt hat.
Sarita spielt das Mädchen, Mina. Woher kommt sie?
Sie ist eine echte „Masala“, ihre Eltern kommen aus Bangladesch. Aufgewachsen ist sie in Jamaica und Rom, ihre Eltern arbeiten für Unicef. Ich traf sie in London. Sie ist eine sehr attraktive, intelligente und sinnliche Person. Sie ist wild, genau wie die Mina im Film. Die Rolle war wie für sie gemacht. Im Augenblick studiert sie an einer Filmhochschule.
Wie reagierten die Leute an diesen verschiedenen Orten während der Dreharbeiten auf Sie? Sie sagten, Sie seien eine Kuriosität für die Inder in Uganda.
Ich habe das als ein Beispiel dafür genannt, wie wenig die ostafrikanischen Inder die Veränderungen im heutigen Indien reflektieren. Es gibt derzeit nur noch etwa fünfhundert Inder in Uganda, und die sind zum größten Teil sehr traditionell. Nach „African Queen“ waren dies die ersten Dreharbeiten dort seit 1951. Diese Generation hat keine Ahnung, wie so etwas aussieht. Außerdem drehten wir ja innerhalb einer bestimmten Epoche, das heißt, wir mußten Straßennamen und Lampen austauschen und überall Bilder von Idi Amin aufhängen.
Wir hatten diesen Typ, der aussieht wie Idi Amin, einen Schauspieler aus Nairobi, der ihn bereits in einem anderen Film („Rise and Fall of Idi Amin“) gespielt hatte. Als er auf dem Flughafen ankam, wurde es plötzlich totenstill, und die Leute flohen förmlich vor ihm. Als er später einmal Amins Kostüm trug, das wir aus London eingeflogen hatten, warf unsere Reinigungsfrau einen einzigen Blick auf ihn und rannte dann aus dem Haus. Idi Amins Gespenst ist immer noch lebendig.
Die gegenwärtige Regierung war sehr kooperativ und höchst erfreut, daß ich darauf bestanden hatte, in Uganda zu drehen. Denn zur Zeit wird ein unglaublicher Druck ausgeübt, in Kenia zu drehen, weil es dort die entsprechende Infrastruktur gibt; oder in Simbabwe, wo ganz Hollywood jetzt hinpilgert, um irgend etwas abzudrehen, das man für Afrika hält.
Aber Uganda mit seiner landschaftlichen Üppigkeit und Schönheit ist unübertrefflich, gepaart mit außerordentlich tropischer Verlassenheit und Zerfall. Wir mußten uns die Hierarchie der Regierungsstruktur sehr schnell aneignen, die der von Indien aber ziemlich ähnlich ist. Dort zu arbeiten war wirklich angenehm, und ich sehne mich danach, es noch mal zu tun.
Und wie war es in Greenwood? Ed Lachmann, der Bildregisseur, erzählte mir, Sie seien mit ihrer gemischtfarbigen Gruppe an Orten und in Bars aufgetaucht, an denen nie zuvor jemals Inder gesichtet worden sind, geschweige denn Schwarze.
Es gibt dort noch ein Grillrestaurant, das nur Weiße besuchen, und weiß Gott, wir waren wirklich eine bunte Truppe. Irgendwie war es ein bißchen schockierend, aber eine Filmcrew wird als eine Ansammlung komischer Käuze auf der Durchreise irgendwie doch akzeptiert. Am Anfang waren sie jedenfalls ungeheuer neugierig. „Sie sind also im Filmgeschäft?“ „Ja“. Sie fragten weiter: „Ist das ein aktueller Film?“ Und dann habe ich ziemlich schnell kapiert, daß sie meinten: „Ist das ein Film wie ,Mississippi Burning‘, handelt er von unserer dunklen Vergangenheit?“ Meine Güte, „Vergangenheit“. Ich habe ihnen daraufhin erklärt, es würde eine Liebesgeschichte, und habe versucht, es so fade wie möglich klingen zu lassen. Wir haben uns so weit wie möglich zurückgehalten, um arbeiten zu können. Daher gab es auch keine Einmischung. Eigentlich war es genau wie im Film: drei Wochen mit der indischen Gemeinde, drei Wochen mit den Schwarzen.
Und keine der beiden Gruppierungen war Ihnen gegenüber feindselig gestimmt?
Wir haben nicht sehr viel an Informationen rausgelassen. Ich bin sicher, daß es die indische Gemeinde, milde gesagt, etwas irritieren wird, wenn sie die wahre Natur der Liebesgeschichte entdeckt. Dabei will sich der Film über niemanden lustig machen. Vielleicht wird der Film einer indischen Gruppierung nicht behagen, die als Minderheit immer darauf bedacht ist, sich nur von ihrer besten Seite zu zeigen. Wir wissen doch, wie Menschen sind, ständig versuchen wir, uns selbst anhand von Idealbildern über uns selbst zu beruhigen. In meinem Film gibt es eben keine Idealbilder.
Hanif Kureishi wird von asiatischen Zuschauern ständig gefragt, warum seine Filme keine positiven Vorbilder für die südasiatischen Kids zeigen, die in England aufwachsen, warum er ihnen kein positives Bild ihrer Gemeinschaft liefert. Vor dem Hintergrund, daß es sich um einen der ersten Filme über Inder in Amerika handelt: Was halten Sie selbst davon, wie Sie die hier lebenden Inder, Pakistaner und Bengalen zeigen?
Die Stärke dieser Filme, wie auch meines Versuchs, ist genau diese, daß sie unsere Bevölkerungsgruppe gerade nicht als eine anthropologisch „andere“ zeigen. Mein Film zeigt menschliche Wesen, und dadurch überwindet er diese „Andersheit“. Dennoch bewahrt er die Besonderheit ihrer Kultur, die hoffentlich gerade dadurch allgemein wird. Jeder Mensch, in jeder Volksgruppe, schlägt sich mit dem Problem der Hautfarbe herum. Der Film handelt von der Menschlichkeit dieses Problems, seiner menschlichen Bedingtheit. Und diese Auffassung wird sich durchsetzen. Gleichzeitig macht er weder die eine noch die andere Kultur zur Karikatur. Respektlosigkeit für sich allein genommen ist leer, aber Respektlosigkeit, verbunden mit einer Liebe zu ihrem Objekt, ist wunderbar. Wir verhalten uns doch alle nicht immer geradlinig und richtig, ich jedenfalls nicht. Die Leute wollen sehen, was sie nicht sind. Und daß unser Film zeigt, was wir sind, ist natürlich hart. [sie lacht]
Hat sich Ihre Perspektive in bezug auf Ihre eigene Identität mit dem Film verändert? Sind Sie stärker zur Immigrantin geworden?
Nein, ich fühle mich als Inderin. Aber im Sinne meiner neuen Weltordnung bin ich auch eine „Masala“ und ein Teil dieser Kultur. Ich bin zwar nicht gänzlich hier zu Hause, aber ich verstehe, wie es funktioniert, und ich habe ein Stück gemeinsame Geschichte geschaffen, künstlerisch und auch anderweitig. Aber heute teile ich mich buchstäblich auf zwischen New York und Uganda, wo mein Mann lebt. Ich würde leidenschaftlich gerne in ein paar Jahren wieder nach Indien als meinem „Stützpunkt“ zurückkehren. Im Grunde bringt es meine Arbeit ja mit sich, überall hingehen zu können, wohin ich möchte. Es ist mir im Augenblick unvorstellbar, 365 Tage im Jahr kontinuierlich an irgendeinem Ort zu leben. Doch ich wünschte mir für unsere Kinder, daß sie die indische Lebensweise kennenlernen. Der tagtägliche Streß des New Yorker Lebens ist ernüchternd.
Die Leute fragen mich immer, wo ich mich am wohlsten fühle, und ich antworte immer: da, wo ich gerade bin.
Ich sage gewöhnlich: in meiner eigenen Haut. „Masala“ bedeutet nicht, aus Indien zu stammen und jetzt hier zu sein. Wenn Leute aus Indiana nach New York kommen, sind sie Nicht-New-Yorker; nach einer Weile haben sie nichts mehr mit Indiana zu tun. Das liegt an der neuen Situation, Leute sind verstört und müssen sich erst wieder einleben.
Wissen Sie, was Sie als nächstes machen?
Ich plane gerade einen satirischen Spielfilm über Geld und werde im Sommer damit beginnen. Mittlerweile kenne ich diese inspirierende Stadt, New York ist so einzigartig und völlig geldfixiert. Daneben habe ich für ein Filmprojekt über die Kadogos [Suaheli: die Jungen] recherchiert, die Kinder in Musavinis Guerillabewegung. Musavini ist der derzeitige Staatschef Ugandas. Unter Amin und seinem Nachfolger Obote wurden Hunderttausende von Afrikanern ermordet, die eine ganze Generation von Waisen hinterließen. Diese Kinder schlossen sich Musavinis Guerillabewegung an, hauptsächlich deshalb, weil sie ohnehin nicht wußten, wohin sie gehen sollten. Sie wurden perfekte Soldaten, die entschlossen waren, das Regime zu stürzen, das ihre Eltern getötet hatte. Die Kadogos, damals alle zwischen acht und fünfzehn Jahre alt, spielten im erfolgreichen Staatsstreich von 1985 eine äußerst wichtige Rolle. Heute steht die Regierung vor dem Dilemma, Kinder resozialisieren zu müssen, deren Elternhaus die Armee war. Ich hätte auch Lust, einen Film über Begum Akhtar zu machen, die indische Kurtisane, die eine berühmte Sängerin wurde. Ich habe viele Ideen.
Leicht gekürzt aus der New Yorker Vierteljahreszeitschrift 'Bomb‘, Summer '91
Aus dem Englischen von Barbara Häusler
Fortsetzung
niert, und ich habe ein Stück gemeinsame Geschichte geschaffen, künstlerisch und auch anderweitig. Aber heute teile ich mich buchstäblich auf zwischen New York und Uganda, wo mein Mann lebt. Ich würde leidenschaftlich gerne in ein paar Jahren wieder nach Indien als meinem „Stützpunkt“ zurückkehren. Im Grunde bringt es meine Arbeit ja mit sich, überall hingehen zu können, wohin ich möchte. Es ist mir im Augenblick unvorstellbar, 365 Tage im Jahr kontinuierlich an irgendeinem Ort zu leben. Doch ich wünschte mir für unsere Kinder, daß sie die indische Lebensweise kennenlernen. Der tagtägliche Streß des New Yorker Lebens ist ernüchternd.
Die Leute fragen mich immer, wo ich mich am wohlsten fühle, und ich antworte immer: da, wo ich gerade bin.
Ich sage gewöhnlich: in meiner eigenen Haut. „Masala“ bedeutet nicht, aus Indien zu stammen und jetzt hier zu sein. Wenn Leute aus Indiana nach New York kommen, sind sie Nicht-New-Yorker; nach einer Weile haben sie nichts mehr mit Indiana zu tun. Das liegt an der neuen Situation, Leute sind verstört und müssen sich erst wieder einleben.
Wissen Sie, was Sie als nächstes machen?
Ich plane gerade einen satirischen Spielfilm über Geld und werde im Sommer damit beginnen. Mittlerweile kenne ich diese inspirierende Stadt, New York ist so einzigartig und völlig geldfixiert. Daneben habe ich für ein Filmprojekt über die Kadogos [Suaheli: die Jungen] recherchiert, die Kinder in Musavinis Guerillabewegung. Musavini ist der derzeitige Staatschef Ugandas. Unter Amin und seinem Nachfolger Obote wurden Hunderttausende von Afrikanern ermordet, die eine ganze Generation von Waisen hinterließen. Diese Kinder schlossen sich Musavinis Guerillabewegung an, hauptsächlich deshalb, weil sie ohnehin nicht wußten, wohin sie gehen sollten. Sie wurden perfekte Soldaten, die entschlossen waren, das Regime zu stürzen, das ihre Eltern getötet hatte. Die Kadogos, damals alle zwischen acht und fünfzehn Jahre alt, spielten im erfolgreichen Staatsstreich von 1985 eine äußerst wichtige Rolle. Heute steht die Regierung vor dem Dilemma, Kinder resozialisieren zu müssen, deren Elternhaus die Armee war. Ich hätte auch Lust, einen Film über Begum Akhtar zu machen, die indische Kurtisane, die eine berühmte Sängerin wurde. Ich habe viele Ideen.
Leicht gekürzt aus der New Yorker Vierteljahreszeitschrift 'Bomb‘, Summer '91
Aus dem Englischen von Barbara Häusler
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