Zaire am Tag danach: „Es ist nichts mehr übrig“

Nach den Verwüstungen und der französisch-belgischen Intervention in Zaire ist die Lage weiterhin gespannt/ Aufstände im Süden/ Frankreich verstärkt Truppen/ Sowohl Präsident Mobutu als auch die Opposition stehen vor einem Scherbenhaufen  ■ Von Francois Misser

Brüssel (taz) — Ein Sprecher des belgischen Außenministeriums versuchte sich gestern in Optimismus. Die Lage in Zaires Hauptstadt Kinshasa habe sich verbessert; doch sei nicht auszuschließen, daß die Plünderungen weitergingen. Zu plündern gibt es allerdings nicht mehr viel: Wie Präsident Mobutu in einer Radioansprache am Dienstag abend erklärte, sind alle Lebensmittel- und Medikamentenlager der Hauptstadt leer. 18 bis 30 Personen, darunter ein französischer Soldat, sind in Kinshasa ums Leben gekommen.

In den wichtigsten Provinzstädten — Kisangani im Osten und Lubumbashi, Kolwezi, Kamina und Likasi in der Südprovinz Shaba — ist die Situation äußerst gespannt. Die Bergwerkstadt Kolwezi blieb gestern in den Händen von Rebellen, die jeden Zugang von außen verwehrten. Wie ein Ingenieur berichtete, wurden in dieser Stadt die Büros der wichtigsten Kupferminengesellschaft „Gécamines“ zerstört; die Arbeit in den Stollen ist zum Erliegen gekommen.

Aus Lubumbashi sind etwa 100 Ausländer nach Südafrika geflohen, darunter drei mit Schußwunden. Etwa 300 französische und libanesische Bewohner Kinshasas wurden in der Nacht zum Mittwoch von französischen Fallschirmjägern nach Brazzaville in Kongo evakuiert. „Es ist nichts mehr übrig“, beschrieb einer die Lage in Kinshasa.

Die ausländische Truppenpräsenz wird derweil verstärkt. 500 belgische Fallschirmspringer sollten gestern nachmittag aus Brazzaville eintreffen. Frankreich will weitere 900 Mann zur Verstärkung der 450 bereits eingetroffenen Soldaten schicken. Auch Portugal bereitet sich auf eine Truppenentsendung vor — 40.000 Portugiesen leben in Zaire.

Plünderungen gab es überall in der Hauptstadt, die sich über Dutzende von Kilometern erstreckt. Ausgeräumt wurden mehrere große Hotels, die Privatresidenz des Premierministers Mulumba Lukoji und das Privathaus von Kalonji Mutambay, Leiter der Nationalkonferenz. „Das Alter der Menge reichte von acht bis sechzig Jahren“, berichtet ein völlig ruinierter belgischer Fleischer. Nur ein Sicherheitskordon der Präsidialgarde trennte die Aufständischen noch vom „Hotel Continental“, wohin sich die Regierungsminister geflüchtet hatten — während sich Diktator Mobutu 50 Kilometer weiter auf seiner Jacht „Kamanyola“ versteckte.

Was provozierte die Hungerrevolte? War sie rein spontan, wie einige sagen, oder wurde sie von der Regierung organisiert, um mit eiserner Faust zuschlagen zu können, wie Teile der Opposition meinen? Hat die loyale Präsidialgarde gar, wie einige behaupten, den Befehl, selbst Plünderungen durchzuführen? Sicher ist nach zwei Tagen Chaos nur eines: es gibt in Zaire heute faktisch keinen Staat mehr. Auch das Versprechen an die meuternden Soldaten, ihren Sold sofort zu erhöhen, brachte sie nicht in die Kasernen zurück. Kibassa Maliba, ein Führer der wichtigsten Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) erklärte am Dienstag, die aufständischen Militärs hätten ihn besucht und ihm zugejubelt. „Aber“, sagte er, „bei solchen Begegnungen ist keinerlei Rationalität zu verspüren. Es gibt keinen Ansatz zu Gemeinsamkeit. Wir werden trotzdem versuchen, uns mit ihnen zusammenzutun, um die Bevölkerung zu schützen.“

Ein Brüsseler Sprecher der Partei, Omar Nkamba, leugnete, daß die UDPS am Montag zum Volksaufstand aufgerufen hätte. Sein Parteifreund Justine Mpoyo rief aber gleichzeitig dazu auf, für den Sturz Mobutus und gegen die ausländische Intervention zu demonstrieren. „Die Bevölkerung wird es nicht verzeihen“, sagte er an die Adresse der Europäer gerichtet. Die Opposition erinnert sich noch gut daran, wie 1977 und 1978 marokkanische und französische Truppen unter dem Vorwand des Schutzes von Ausländern in Zaire intervenierten, um Mobutu zu retten.

Solche Hintergedanken weist Belgiens Verteidigungsminister Guy Coeme weit von sich. „Wir wünschen, daß unsere humanitäre Intervention weder die Machthaber noch andere politische Gruppierungen stützt“, betont er. In Paris ist allerdings zu hören, Frankreich wünsche, daß die seit sechs Wochen im Chaos versinkende Nationalkonferenz endlich konkrete Ergebnisse bringe. Offenbar wird Mobutu zu Zugeständnissen gedrängt. Als er um Mitternacht in der Nacht zum Mittwoch sein Schweigen brach, versprach er den Fortgang der Demokratisierung.

Etienne Davignon, Präsident der in Zaire mächtigen belgischen Holdinggesellschaft Société Générale, wurde ganz deutlich: „Es ist Präsident Mobutus Ende. Seit einem Jahr kontrolliert er in Zaire nichts mehr.“ Doch auch die Opposition steht vor einem Scherbenhaufen, meinen zairische Beobachter: Während des Aufstands konnte sie sich kein Gehör verschaffen.

Die gesamte politische Klasse des Landes scheint von den Ereignissen überholt. Es existiert keine Struktur, außer vielleicht der katholischen Kirche. Doch kann dies verwundern in einem Land, wo die wichtigste Sorge eines jeden die nächste Mahlzeit ist?