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Wenn Kulturen beim Müsli aufeinanderprallen

■ Wiederbelebung der Aktion Fluchtburg durch Kirchen und Privatleuten geplant/ Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, daß das Leben im Versteck für Betreuer und Flüchtlinge keineswegs leicht war/ Ex-Betreuer berichten vom Alltag im Refugium

Berlin. »Die ersten Tage durfte er gar nicht raus. Wir haben ihn beim Saubermachen und Unterhalten integriert. Die meiste Zeit saß er aber vorm Fernseher. Schwierig wurde es, als er anfing zu trinken. An Kleinigkeiten haben wir gemerkt, daß Kulturen aufeinanderstoßen. Er hat sich überhaupt nicht für die aktuelle Situation im Libanon interessiert. Es wäre sicher einfacher, wenn er jemand wäre, der auch politisch engagiert ist. Aber man kann sich ja nicht einen politisch erwünschten Flüchtling aussuchen. Ursprünglich war's auf zwei Wochen angelegt. Mittlerweile ist nicht abzusehen, wie lange es noch dauern wird ...«

Der Bericht stammt von zwei Westberlinerinnen, die im Dezember 1986 an der »Aktion Fluchtburg« teilnahmen und in ihrer Wohnung einen libanesischen Flüchtling versteckten. Nach den Übergriffen auf die Flüchtlinge in Hoyerswerda haben Berliner Asylgruppen und Menschenrechtsorganisationen jetzt zu einer ähnlichen Aktion aufgerufen: Wenn der Senat nicht bereit ist, die Flüchtlinge offiziell nach Berlin zurückkehren zu lassen, soll ihnen hier von Privatleuten und Kirchengemeinden Zuflucht geboten werden. 14 Angolaner werden bereits von der Aktion Fluchtburg versteckt. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß das Leben im Versteck für alle Beteiligten schwierig war.

1986 waren über 500 Libanesen von der Abschiebung bedroht: Berlin hatte unter dem damaligen CDU-Innensenator Wilhelm Kewenig die Aufhebung des Abschiebestops beschlossen. Die AL startete eine großangelegte Kampagne »Fluchtburg Berlin — keine Abschiebung in den Libanon« und forderte die Öffentlichkeit zur Übernahme von Patenschaften, finanzieller Hilfe und zeitweiliger Unterbringung einzelner Flüchtlinge oder ganzer Familien in Kirchengemeinden und Privatwohnungen auf. Neben vielen Kirchengemeinden waren auch rund 30 Privatleute Familien, Wohn- oder Hausgemeinschaften bereit, einem Flüchtling Unterschlupf zu gewähren. Daß die Unterbringung nicht nur ein paar Wochen, sondern Monate oder vielleicht sogar Jahre dauern könnte, machten sich die Gasteltern in der Regel nicht klar. Ebensowenig wurde bedacht, daß es beim Zusammenwohnen, Essen und gemeinsamer Badbenutzung aufgrund kultureller Unterschiede zu Spannungen kommen könnte.

»Die Anfangszeit war sehr schwierig, weil wir uns mit ihm überhaupt nicht verständigen konnten«, berichtete eine 36jährige Frau, deren Hausgemeinschaft fast ein Jahr lang einen libanesischen Flüchtling versteckt hatte. »Er saß meistens in der Küche und rauchte. Ich hatte ihm gegenüber immer ein latent schlechtes Gewissen, weil wir uns so wenig mit ihm beschäftigten. Aber das war kaum möglich. Er konnte ganz wenig Deutsch, war unglaublich schüchtern und zurückhaltend und intressierte sich für nichts richtig. Eigentlich wollten sich mehrere Leute aus der Hausgemeinschaft um ihn kümmern. Das Engagement ist aber schnell erlahmt«.

Später, erzählt die Frau weiter, habe sich die Situation »zum Glück« entspannt. Der Libanese sei oft ausgegangen und habe Freunde besucht. Eines Tages habe er eine deutsche Freundin mitgebracht. »Die beiden waren bald unzertrennlich, haben geheiratet, eine Wohnung gefunden und sind zusammengezogen.«

»Ich würde eine solche Aktion jederzeit wieder machen, obwohl es auch kleine Probleme gab«, beteuerte eine 52jährige Frau, die in ihrer Hausgemeinschaft mehrere Monate lang einen Ägypter versteckt hatte. Es hatte sie eigentlich nur gestört, daß der Mann seine Situation »so wenig selbst in die Hand nahm«, sich lieber »durchschleusen« ließ und sie mit ihm wegen seiner spiritistischen Weltanschauung so wenig anfangen konnte. »Er wollte am liebsten für immer bei uns bleiben, aber das war nicht möglich.« Der Flüchtling hatte im Gästezimmer der Hausgemeinschaft gewohnt.

Manchmal kamen Asylbewerber und Gastgeber überhaupt nicht miteinander klar, so daß der Flüchtling umquartiert werden mußte. Die Aktion Fluchtburg krankte vor allem daran, daß die Betreuer nicht richtig darauf vorbereitet waren. Die Asylbewerber wiederum, die zum Teil jahrelang in Heimen gelebt hatten, kamen mit den alternativen Lebenszusammenhängen und dem Gefühl, eingesperrt zu sein, nur schwer klar. Daß es über die Frage Müsli oder Aldi-Weißbrot zum Frühstück manchmal zum Streit kam, waren Kleinigkeiten am Rande. Mehr Ärger gab es in ein paar Fällen wegen kostspieligen Stromrechnungen, weil der Schützling sein Zimmer lieber mit dem Radiator statt mit dem Kachelofen heizte.

Ein Flüchtling war ganze zwei Jahre versteckt. Er tauchte erst wieder auf, als der rot-grüne Senat 1989 mit einer Flüchtlingsweisung für eine Aufenthaltserlaubnis der Menschen aus dem Libanon sorgte. Die meisten hatten ihr Versteck Ende 1987 verlassen: Mit dem Erlaß einer Altfallregelung war ihnen schließlich doch ein Bleiberecht gewährt worden. Bemerkenswert ist, daß die Polizei kein einziges Mal versuchte, einen der Versteckten aufzuspüren. Ob es an der strikten Geheimhaltung der Refugien lag oder am mangelnden Verfolgungsinteresse, ist unklar.

Vorreiter der Idee, von Abschiebungen bedrohte Menschen zu beherbergen, war die Heilig-Kreuz- Gemeinde in Kreuzberg. Sie nahm schon 1983 eine Familie auf, die zwangsweise in den Libanon zurückgebracht werden sollte. Mitarbeiterin Hanne Garrer erzählt, daß der Arbeitskreis Asyl in der Kirche, dem über 35 West- und Ostberliner Gemeinden angehören, in den vergangegen Jahren über 200 Flüchtlinge aufgenommen hätten. »Wir werden es immer wieder tun, wenn es notwendig wird«, versichert Garrer. Wichtigste Voraussetzung sei, daß »die Aktion gut vorbereitet ist und es genügend freiwillige Helfer gibt«, damit die Arbeit nicht an einigen wenigen hängenbleibe. Inzwischen hat die Heilig-Kreuz-Gemeinde sogar eine extra Wohnung für Flüchtlige in Not zur Verfügung gestellt. Hanne Garrer befürwortet die Beherbergung von Flüchtlingen nicht nur aus humanitären Gründen: »Es gibt sehr viele schöne Momente, wenn man Erfahrungen austauscht, sich kennenlernt und neue Freundschaften entstehen«, sagt sie.

Auch der Pfarrer der Johanneskirche in Lichterfelde, Jörg Passoth, findet, daß eine christliche Gemeinde dazu verpflichtet sei, in Not geratenen Menschen Hilfe und Gastrecht zu gewähren: »Unäbhängig davon, wie diese Not von anderen definiert wird.« Man solle sich aber nichts vormachen: Die Aufnahme der Flüchtlinge sei für alle Beteiligten harte Arbeit und setze viel Improvissationsgeschick voraus. Hinzu komme, daß die meisten Asylbewerber ein schweres Schicksaal hätten und eine psychotherapeutische Betreuung benötigten. Ein große Belastung sei auch, daß die Behörden und Instanzen die Anträge immer weiter verschleppten und die Unterbringung dadurch immer mehr in die Länge gezogen werde. »Ich werde immer wieder dazu bereit sein«, versichert Jörg Passoth. Die Hilfsaktionen seien so gut in der Gemeinde angekommen, daß es zu »Wiedereintritten in die Kirche kam«.

Jürgen Strohmaier, der 1986 die Aktion Fluchtburg mitorganisierte, findet, daß Versteckaktionen weiterhin richtig und wichtig seien, wenn damit Menschen vor der Abschiebung bewahrt werden könnten. Anders verhalte es sich bei den Flüchtlingen aus Hopyerswarda. »Sie zu verstecken«, warnt Strohmaier, »bedeutet, den Staat aus seiner Verantwortung zu entlassen.« Plutonia Plarre

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