: Auch harmlose Lektin-Versuche verboten
■ Neue Fragen an Gesundheitssenator Luther/ Ärztekammer: Auch Versuche mit Pflanzenpräparaten waren nach DDR-Recht genehmigungspflichtig/ Eine unabhängige Untersuchung steht aus
Berlin. In der Diskussion um die Lektin-Versuche von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) sind jetzt neue Fragen aufgetaucht. Die Leiterin der Ethik-Kommission der Ärztekammer, Ruth Mattheis, wies gestern gegenüber der taz darauf hin, daß die Versuche womöglich auch dann genehmigungspflichtig gewesen wären, wenn es sich bei dem Lektin um kein Arzneimittel gehandelt haben sollte.
In der DDR habe es — anders als nach bundesdeutschem Recht — die zusätzliche Kategorie der »Gesundheitspflegemittel« gegeben, zu der auch »Pflanzensäfte und -extrakte« gezählt hätten. Es sei, so Mattheis, »nicht ganz ausgeschlossen«, daß die aus Weizenkeimen gewonnenen WGA-Lektine in diese Kategorie gehört hätten.
In diesem Fall hätten für die Erprobung dieser Präparate an Menschen die gleichen Bestimmungen gegolten, wie im Fall von Arzneimittelversuchen. So wäre eine Genehmigung des DDR-Gesundheitsministeriums und eine Prüfung durch den Zentralen Gutachterausschuß für den Arzneimittelverkehr (ZGA) erforderlich gewesen. Außerdem hätte der Versuch unter ärztlicher Leitung stattfinden müssen.
Alle diese Voraussetzungen fehlten, als der Nichtmediziner Luther im vergangenen Jahr am Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose (FLT) einen Versuch leitete, bei dem er selbst und sieben weitere FLT-Mitarbeiter Kapseln mit dem Lektin WGA einnahmen. Daß keine Genehmigung der DDR-Behörden eingeholt wurde, begründet Luther nach wie vor damit, daß es sich bei dem aus Weizenkeimen gewonnenen Lektin um den »Bestandteil eines Lebensmittels« gehandelt habe. Es sei auch kein »Gesundheitspflegemittel« gewesen, versicherte Luthers Sprecherin Gisela Klages gestern.
Die von den Sozialdemokraten geforderte unabhängige Untersuchung von Luthers Lektin-Versuchen steht bisher noch aus. Deshalb ist immer noch offen, wer diese Untersuchung, die die Experten der Ärztekammer oder das Bundesgesundheitsamt vornehmen könnten, beantragen wird.
»Selber wird er das nicht machen«, sagte Klages gestern. Sie wies damit eine entsprechende Anregung von Mattheis zurück. Der Gesundheitssenator müßte eigentlich an einer »Klärung« der offenen Fragen »interessiert« sein, meinte die Professorin zur taz. Dies gelte um so mehr, als Luther von der Harmlosigkeit seiner Versuche fest überzeugt sei.
Sollte sich dagegen herausstellen, daß es sich bei den Lektinen um Arzneimittel oder Gesundheitspflegemittel gehandelt hat, so wäre der Fall laut Mattheis nach den »Strafbestimmungen« des DDR-Arzneimittelgesetzes zu behandeln. Nach diesem Gesetz müssen allerdings eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein, bevor Sanktionen greifen. Mit »öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr« wird nach dem Gesetz derjenige »bestraft«, der »vorsätzlich Arzneimittel entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes« verwendet »und fahrlässig eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verursacht«. hmt
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen