: WERBETRÄGER JUGEND
■ Mit Unterstützung der EG präsentierte die italienische Region Marken europäischen Jugendlichen ihr zukünftiges Tourismuskonzept: Weg von den reinen Badeferien - hinein ins Hinterland
Mit Unterstützung der EG präsentierte die italienische Region Marken europäischen Jugendlichen ihr zukünftiges Tourismuskonzept: Weg von den reinen Badeferien — hinein ins Hinterland.
VONPETRASCHROTT
Marken heißt eine Landschaft in Mittelitalien, die in sanften Hügeln vom Apennin zur Adria abfällt. In der touristischen Bekanntheitsskala steht die Marken weit im Schatten des benachbarten Umbrien oder der Toskana. Bislang war der Fremdenverkehr auf den schmalen Küstenstreifen konzentriert. Doch die Werbung mit „La spiaggia di velluto“, dem Samtstrand, zieht nicht mehr, und so besinnen sich die Tourismusexperten auf das geschichtsträchtige Hinterland und seine liebliche Landschaft. Mit der Kampagne „Jugend —Marken—Europa“ wollte die Region im September Zukunftsweisendes präsentieren: weg vom Strand, weg von den reinen Badeferien — hinein ins Hinterland und hin zur Kultur. Tausend Jugendliche aus ganz Europa wurden dazu eingeladen. Die zu 40 Prozent von der EG geförderte Aktion verschlang 500 Millionen Lire. Mit Bedacht investiert: „Die Jugend, das ist doch die Zukunft“, begründet Patricia Rossini von der Kurverwaltung der Küstenstadt Senigallia das Programm.
Vor der Villa Berloni, deren Glanz aus alten Zeiten noch immer blendet, warten die Auserwählten der Idee „Jugend—Marken—Europa“ auf Assessore Lidio Rocchi, den Landesminister, der das Projekt ins Leben gerufen hat. Wichtige Besprechungen halten den Assessore von pünktlichem Erscheinen ab und überlassen die Jugend ihrer Fähigkeit zum internationalen Austausch. Dänemark hat parteinahe Jugendliche nach Italien geschickt, Frankreich und Belgien wählten die Elite ihrer Kunstschulen, München beauftragte engagierte Jugendprojekte, und Berlin ließ SchülerInnen von medizinischen und pädagogischen Fachhochschulen aus dem Ostteil der Stadt in den Reisegenuß kommen. Die Nationen bleiben unter sich, bis der Assessore stilecht mit dunkler Limousine vorfährt. Der abgespannt wirkende Minister unterstreicht mit leiser Stimme seine Bedeutung und erläutert, wofür Marken 500 Millionen investiert hat. Die Jugend solle Zeuge in aller Welt werden, wie interessant diese unbekannte Region sei. Es gehe darum, den Tourismus zu stärken, das Ungleichgewicht zwischen der Küste und dem Inland in eine Balance zu bringen. Durch das Hinterland, das reich an Kultur sei, verspreche man sich eine Verlängerung der Saison. Letzter Punkt sei die Entwicklung eines „sozialen Jugendtourismus“.
Die großzügige Unterbringung in 3-Sterne-Hotels entspricht zwar ebensowenig dem jugendlichen Geldbeutel wie die ausladenden kulinarischen Genüsse, aber man hofft wohl vor allem durch den sozialen Touch die mitreisenden Medienvertreter zu überzeugen. In der höfischen Atmosphäre der Villa Berloni bleibt es beim Austausch von Höflichkeiten. Statt Worte wie Algenpest oder Ölverseuchung in den Mund zu nehmen, schreitet die Gesellschaft zur Tafel. Die Region sei nicht nur kulturell interessant, sondern auch gastronomisch, betont der Assessore. Ein opulentes zweistündiges Mahl überzeugt.
Von nun an wird die Jugend Europas wieder getrennte Wege gehen. Nur München und Ost-Berlin bleiben im gemeinsamen Ausflugsprogramm vereint. Für viele OstberlinerInnen ist dies die erste Reise ins westliche Ausland. Ihr zurückhaltendes Auftreten fällt vor allem neben den touristischen Münchner Draufgängern auf. „Guck dir unsere Mädels an“, kommentiert eine Berliner Teilnehmerin, „die sitzen mit gesenktem Kopf, doch die Westler erkenn' ich gleich an ihrer stolz gestreckten Brust.“ Als sich bei den Ansprachen der örtlichen Honoratioren in verschiedenen Orten die „Botschaften von Freundschaft und Frieden“ häufen und zum wiederholten Mal eine Medaille geschenkt wird, brummt ein Mädchen: „Det is ja fast wie bei uns früher in der FDJ.“
In Jesi, dem Geburtsort des Hohenstaufenkaisers Friedrich II., soll die deutsch-italienische Freundschaft wachsen. Beklommen wie bei der Zeugnisvergabe ist die Atmosphäre, als die Deutschen beim Namen aufgerufen werden, um der italienischen Gastfamilie vorgestellt zu werden. Am Nachmittag sind dann alle begeistert von der überwältigenden Gastfreundschaft. Und wieder glänzen die Münchner mit ihrem Italienisch-Parlieren. „Auch ein Ortsnachteil“, so eine Berlinerin, „wir können nicht einmal Englisch.“
Nach dem Aufenthalt im mittelalterlichen Jesi holt die touristische Jetztzeit die Gruppe wieder ein: Das der Stadt „vorgelagerte Paradies“ ist ein ernüchterndes amerikanisches Play-Center mit Bowling, Schlittschuhbahn, Disco und Videospielen. Franco Longo, zuständig für Wirtschaft und Tourismus in Jesi, blickt stolz auf die alte Handelsstadt. Er hofft, daß der Tourismus ein „Kanal für die Ökonomie“ wird, und plant Führungen durch die alten Manufakturen, die noch immer berühmt für ihre Qualität sind. Allerdings kann auch er sich nicht vorstellen, daß die Leute länger als zwei Tage bleiben. Longo verweist daher auf die Küste. „Haben Sie Algen gesehen?“ fragt er verärgert. „Alles schlechte Propaganda, die vom Ausland gesteuert wird. Man kann sagen, was man will, aber nicht, daß wir keine schönen Strände haben. 170 Kilometer Spiaggia Velluto!“
Dort jedoch ist die kurze Saison schon zu Ende. Im flachen Meer flanieren nur einige ältere Damen, die ihre Röcke beim Spaziergang im Wasser heben. Aus dem Lautsprecher am Strand plärrt Werbung fürs Hinterland: „Besuchen Sie die Grotten von Frasassi.“ Am Samtstrand sind unendlich lange Reihen von Sonnenschirmen aufgespießt: symmetrisch, unbenutzt, geschlossen.
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