KOMMENTARE: Der Klassenfeind im Liebesrausch
■ Die tageszeitung und das huldvoll-sehnsüchtige Rauschen im deutschen Blätterwald
Wie der routinegeplagte Finanzbuchhalter gelegentlich davon träumt, unterschlagene Millionenbeträge an der Copacabana durchzubringen, so träumen Journalisten in den Redaktionen etablierter Blätter manchmal davon, bei der taz zu arbeiten. Erfüllt vom Überdruß, ihre Feder Tag für Tag in das bodenlose Faß der Seriosität zu tauchen, werden sie von Ausbruchsphantasien heimgesucht und spüren den Geschmack von Freiheit, Abenteuer und Chaos auf ihrer Zunge, wie ihn, so glauben sie, einzig die taz noch bietet. — Allein, das liebe Geld.
Dieser stillen Bewunderung entsprachen in den letzten Tagen auch die Reaktionen auf die Nachricht von gewissen innerbetrieblichen Problemen des „allseits respektierten und vielerorts geschätzten linksliberalen Blattes“ ('Süddeutsche Zeitung‘). Während die LeserInnen eher dazu neigen, dem langlebigsten und erfolgreichsten aller Alternativbetriebe Verrat an jenen hehren Idealen vorzuwerfen, die sie selbst meistenteils schon vor Jahren beim jeweiligen Personalchef oder Schulsenator abgegeben haben, präsentiert sich der überregionale Blätterwald als Trauerchor, wie ihn Aischylos kaum herzzerreißender hinbekommen hätte. Nur die 'Welt‘ fällt aus dem Rahmen und bezichtigt die taz, daß „anwaltschaftlicher Journalismus und der Einsatz für marginalisierte Gruppen“ kaum noch stattfänden. Statt dessen versuche man vergeblich, mit den „Qualitätszeitungen“ zu konkurrieren, und fast ist zu befürchten, daß der Autor zu diesen auch sein eigenes Druckerzeugnis zählt.
Ansonsten aber bestimmen Lobeshymnen und Beileidsbekundungen das Bild. Vom „wichtigsten Presse-Talentschuppen“ spricht die 'Stuttgarter Zeitung‘, der Berliner 'Tagesspiegel‘ konstatiert eine Gratwanderung zwischen Spannung, Inspiration und der Produktion von „Sumpfblüten“, und die 'Zeit‘ schwingt sich fast zu faustischen Höhen empor mit dem Satz: „Sie hat uns alle gepiesackt mit ihrer Dauerfrage, ob in Deutschland der gewöhnliche Journalismus nicht beinahe überall ein Eiertanz sei.“ Eher düster kommt die 'Süddeutsche‘ daher, die der Vereinsversammlung der taz sogar zutraut, das Mark der Nation zu erschüttern: „Eben weil die taz einzigartig ist, wird dieses Treffen — gleich wie es ausgeht — enorme Auswirkungen auf die Medienlandschaft und damit auf die politische Kultur der Republik haben.“ Wow!
Mit solch erhabenen Sentenzen, kann selbstredend nur noch eine Zeitung mithalten: die 'FAZ‘. Seit selbst Boris Becker das beliebte Begriffspaar taz/'FAZ‘ benutzte, um die Spannbreite des deutschen Pressewesens zu charakterisieren, steht die 'FAZ‘ noch unverbrüchlicher auf der anderen Seite des Sprosses aus dem „alternativen Kreuzberger Hinterhof-Idyll“ ('Stern‘). „Das Bedauern, wenn's in Berlin schiefginge, wäre ehrlich“, versichert das rhein-mainische Leuchtfeuer des Kapitalismus und sprudelt geradezu über von komprimierter Nettigkeit: „scharfer und ironischer Ton“, „intelligentes, amüsantes aber auch kritisches Forum von linken, grünen und alternativen Strömungen“, „eine neue, nie gehörte publizistische Sprache“ — der Klassenfeind im Liebesrausch, die Copacabana läßt grüßen.
Und dann das geballte Finale furioso des als Tageszeitung getarnten Frankfurter taz-Fanclubs: „Die taz muß sich nun zu jener Revolution durchringen, die sie selber einmal war.“ Na, wenn's weiter nichts ist. — Allein, das liebe Geld. Matti Lieske
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