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INTERVIEWDie Polisario will den dritten Weg einschlagen

■ Mohammed Habibullah über die Vorstellungen der Polisario von einer unabhängigen Westsahara

Mohammed Habibullah ist Präsident des sahrauischen Roten Halbmondes. Er lebt und arbeitet in den sahrauischen Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste.

taz: Sie haben gegen Ende der marokkanischen Bodenoffensive den überrollten Nordosten der Westsahara besucht. Was ist Ihr Eindruck?

Habibullah: Ich habe die Zerstörungen gesehen und den tiefen Haß gespürt, den die Marokkaner gegenüber allen Sahrauis empfinden.

Können Sie sich vorstellen, daß es schon ab Januar Frieden geben wird?

Die Marokkaner werden nicht freiwillig aus dem Land gehen. Andererseits bringt es ihnen auch nichts, nach 16 Jahren den Krieg noch weiter zu führen. Sie können den Krieg nicht gewinnen. Der Krieg verschärft nur ihre ökonomischen Probleme.

Angenommen aber, der Weltsicherheitsrat setzt Marokko nicht mit Sanktionen unter Druck und angenommen, der US-Außenminister James Baker drückt bei dem marokkanischen König Hassan II. beide Augen zu. Was haben die Sahrauis dann noch für Möglichkeiten?

Dann wird der Krieg weitergehen.

16 Jahre Krieg haben auch für die Sahrauis zu keinem Erfolg geführt.

Wieviel Jahre haben die Deutschen gebraucht, bis sie ihre Vereinigung erreicht haben? Wieviel Jahre haben die Menschen in der Sowjetunion gewartet, bis sich ihre politische Situation verändert hat? Das wichtigste ist der Wille der Menschen.

Als Präsident des Roten Halbmonds sind sie verantwortlich für die Lebensmittelversorgung in den Lagern. Der UN-Flüchtlingskommissar hat seine Hilfeleistungen drastisch reduziert: statt für 165.000 Flüchtlinge gab es nur noch Rationen für 80.000. Das erscheint wie eine kontrollierte Hungersnot. Glauben Sie, das ist eine gezielte Maßnahme, um die Polisario unter Druck zu setzen?

Vielleicht. Ich kann diese Möglichkeit nicht ausschließen.

Wie denken Sie über die Menschenrechtsverletzungen, die sich die Polisario hat zuschulden kommen lassen? Einer sahrauischen Kommission zufolge hat es mehr als 300 widerrechtliche Verhaftungen gegeben.

Lassen Sie mich für mich persönlich antworten. Ich bin seit 16 Jahren aktiv. Ich habe die verschiedensten Funktionen innegehabt.

Zunächst einmal: Alle Befreiungsbewegungen haben Häftlinge — aus Sicherheitsgründen, aus politischen Gründen. Aufgrund unserer Bedingungen gab es keine unabhängige Justiz, keine Polizei, keine richtigen Gefängnisse. Die Frente Polisario verleugnet nicht, daß es Menschenrechtsverletzungen gegeben hat. Wir haben sogar die Akten der politischen Gefangenen geöffnet, obwohl wir noch im Kampf stehen. Wir haben eine Kommission eingesetzt, die die Fälle untersucht hat und die versucht, zu helfen, Wiedergutmachung zu leisten. Aber manche Gefangene sind im Gefängnis gestorben, wir können sie nicht wieder lebendig machen. Manche haben Jahre im Gefängnis verbracht, wir können ihnen das nicht wirklich entgelten. Das wichtigste für mich ist deshalb, daß es seit Juni Kontrollinstanzen gibt, die dafür sorgen werden, daß sich in Zukunft niemals wieder Machthaber über die Menschenrechte hinwegsetzen können.

In der sahrauischen Regierung sitzen nach wie vor die gleichen.

Das wichtigste sind doch nicht die Politiker. Das wichtigste ist, daß sich das sahrauische Volk seiner Rechte bewußt ist.

Hat es tatsächlich überhaupt keine personellen Konsequenzen gegeben?

Doch, aber ich möchte darüber nicht öffentlich reden, weil wir mitten in der Referendumskampagne stehen.

Nehmen wir einmal den günstigsten Fall an: Das Referendum findet statt, es geht positiv für die Polisario aus und Marokko akzeptiert das Ergebnis. Wie soll das funktionieren? Es gibt den Haß. 100.000 marokkanische Siedler sind im Land. Marokko hat viel in die Westsahara investiert. Es will weiter teilhaben an den Phosphorvorkommen, an den reichen Fischgründen vor der Küste.

Wir sind ein Volk, das vergessen kann, was in den letzten 16 Jahren passiert ist. Wir wollen die Zusammenarbeit und sogar die ökonomische Integration.

Wie stellen Sie sich einen unabhängigen Staat Westsahara vor?

Ich sehe die unabhängige Westsahara als Rechtsstaat, als freiheitlichen Staat, als Staat mit Gewaltenteilung. Wirtschaftlich wollen wir die freie Marktwirtschaft, aber wir werden auf den öffentlichen Sektor und auf die soziale Sicherheit ein großes Augenmerk legen. Wir wollen einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus gehen. Wir haben ein riesiges Land mit vielen Ressourcen und kleiner Bevölkerung.

Was ist von Gerüchten zu halten, die Polisario- Führer seien bereit, sich auf einen Kompromiß einzulassen, um Provinzgouverneure in einer marokkanischen Westsahara zu werden?

So etwas bedarf keines Kommentars. Über die Souveränität der Westsahara gibt es keine Kompromisse. Interview: Barbara Debus

Übersetzung: Haiba Abbas, B.D.

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