: Des Königs Tricks gegen das Referendum
König Hassan II. von Marokko will das Referendum für die Unabhängigkeit der Westsahara am liebsten auf unbestimmte Zeit verschieben ■ Aus Paris Pablo Cargo
Irgendwo hinter Tan-Tan, wo die Häuser mit der Wüste verwachsen, beherrscht nur von der grünen Kuppel der Moschee Sidi Mohammed, stehen Hunderte von Bussen und Lastwagen in der Wüste und warten auf ein Remake der besonderen Art.
Tan-Tan ist eine triste marokkanische Garnisonsstadt an der Piste gen Süden, keine zwei Stunden vor der Linie, die einmal die Grenze der Arabischen Demokratischen Republik Sahara werden soll. Im November 1975 zog König Hassan II. hier 350.000 Untertanen zusammen und führte sie im „Grünen Marsch“ einige Kilometer weit in die Westsahara, um die Übergabe der spanischen Kolonie an Marokko zu erzwingen. Seither kämpfen die Sahrauis um ihre Unabhängigkeit — mit der Aussicht, im kommenden Januar in einem UNO-Referendum zu wählen, ob aus dem Streifen Wüste eine Hassansche Provinz oder ein eigenständiger Staat wird.
Jetzt haben 170.000 Marokkaner, meldet die Befreiungsfront Polisario unwidersprochen, den königlichen Befehl erhalten, sich für einen zweiten „Grünen Marsch“ auf die sahrauischen Städte Dakhla, Smara und El-Aiun in Bewegung zu setzen. Dort sollen sie sich, befürchtet die Frente, zu den hunderttausend marokkanischen Kolonisten gesellen, die bereits dort sind. Auf diese Weise will der König die marokkanische Übermacht bei dem Referendum sicherstellen.
Menschen und Material in Tan- Tan warten auf ein Zeichen aus Washington. König Hassan sucht seit Donnerstag den US-Präsidenten George Bush für seinen Plan zu gewinnen, das Referendum auszusetzen oder, andernfalls, unter der Nase der UNO zugunsten Marokkos zu manipulieren.
„Wir stehen“, hatte der König „meinem lieben Volk“ schon vor einem Monat angekündigt, „am Vorabend der endgültigen und unwiderruflichen Heimholung unserer Sahara. Die Sahara ist marokkanisch und wird marokkanisch bleiben. Ich bin mir der Gefühle meiner Untertanen sicher.“ Die Abstimmung werde, „wie wir wollen, ein Bestätigungsreferendum sein“ — oder aber nicht stattfinden.
Hassan II., der seinen Stammbaum über 14 Jahrhunderte bis auf den Propheten zurückführt, blockt und hadert, weil sein sorgfältig ausbalanciertes Machtsystem auf die „heilige Frage der Nationalen Einheit“ gebaut ist. Der Befreiungskampf der Sahrauis lieferte den Vorwand, die Opposition mit Willkür, Folter, Tod niederzuhalten, und gab einen Paravent ab für des Königs Raubzug auf sein Land: Im vergangenen Jahrzehnt führte er 160 marokkanische Unternehmen, Minen und Banken in seine private „Omnium Nord-Africain“ (ONA) über.
Nun scheut der König die Abstimmungsdebatte und den ungewissen Ausgang — vor allem seit die gezähmte Opposition sich königlicher gibt als der Thron: Sie fordert die sofortige Einverleibung der Kolonie, auch ohne Referendum.
George Bush ist HassanII. geneigt. Der Monarch schickte während des Golfkrieges Truppen an die Seite der westlichen Verbündeten und gilt als Wall gegen die radikalen Islamisten. Bush braucht Hassans Unterstützung für die Nahostkonferenz. Der König ist Vorsitzender des „Komitee El-Qods“ für die Befreiung Jerusalems und ist auch in Israel wohlgelitten. Hassan möchte sich seine Fürsprache mit einer flexiblen Haltung der USA in der Saharafrage löhnen lassen.
Um Bush den Schwenk weg vom Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis zu erleichtern, räumte der blutige Herrscher in den letzten Wochen einige westliche Vorbehalte aus. Erst gab er drei Dutzend politische Gefangene frei, dann 300 Sahrauis und entließ schließlich seinen Erzfeind Abraham Serfaty nach 17 Jahren Kerker ins französische Exil.
Letzte Woche dann ließ Seine Majestät durchsickern, er habe das geheime Sterbelager Tazmamart, in dem er ungetreue Putschoffiziere langsam zu Tode kommen ließ, abreißen lassen.
Derweil spurte sein Außenminister bei den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates vor: Wortreich tat Abdellatif Filali kund, die Vorbereitungen für das Referendum wären zum Gram des Königs in Verzug geraten. Die Schuld liege allein beim UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar und seinem Westsahara-Beauftragten Johannes Manz. Was der dringliche Emissär aus Rabat nicht sagte, aber meinte: Das Referendum soll auf unbestimmte Zeit verschoben werden.
Der Sicherheitsrat stellte sich vorerst taub, de Cuellar setzte am 6. September den Waffenstillstand in Kraft, und Manz schickte die ersten Hundertschaften Blauhelme und Mediziner. Sie fanden in den Flüchtlingslagern trotz Tänzen und allerlei Feierlichkeiten eine merkwürdig klamme Stimmung vor. Die Sahrauis schnürten ihre Habe zum langen Marsch. Sie müssen in die besetzten Gebiete zurückkehren, um ihre Stimme abzugeben.
Was sie erwartet, zeigt ihnen der erbitterte Kleinkrieg, in den Hassan das Duo von der UNO verstrickt hat. Er verbat Manzens Vorauskommissionen den Zutritt zu den Gebieten. Er veranlaßte eine Sondersitzung des Parlamentes zum Thema: „Ausländischer Komplott gegen die Person des Königs.“ Dann präsentierte er Manz zwei Wählerlisten mit 120.000 Namen von angeblich Wahlberechtigten. Die Abstimmung steht und fällt mit der Frage, wer ein Sahraui ist, wer also an die Urne darf. Manz hat auf Basis der spanischen Volkszählung von 1974 70.204 Stimmberechtigte ausgemacht. Wer sich darüber hinaus als legitimer Sahraui fühlt, kann bei der UNO-Mission für das Referendum für die Westsahara, Minurso, ein individuelles Gesuch einreichen. Mit seinen Listen versuchte König Hassan den personell knapp besetzten Minurso-Apparat lahmzulegen. Als darauf der UNO- Missionschef in einem Interview erklärte, er werde auch die Sahrauis in den befreiten Gebieten abstimmen lassen, ließ Hassan — er saß mit Manz gerade beim Thé à la menthe — Siedlungen und Wasserlöcher bombardieren und schickte starke Verbände zu zwanzigtägigen Operationen ins Polisariogebiet.
Dabei wurde die Siedlung Tifarity, wo die Befreiungsfront schon Baracken für rückkehrende Flüchtlinge und das UNO-Perosnal errichtet hatte, zerstört und die Wasserlöcher im weiten Umkreis vermint und vergiftet. Hunderte von Sahrauis waren wieder auf der Flucht.
Doch das Gröbste aus Rabat steht noch an. Ein Sprecher Hassans veröffentlichte einen Strauß von marokkanischen Vorbehalten und Bedingungen. Im Kern geht es um die Rolle der Blauhelme. Sie sollen sich nur entlang der Grenze aufstellen dürfen, nicht aber im Innern der besetzten Gebiete, wo die marokkanischen Neusiedler das Sagen haben. Der Sprecher: „Wir werden eine Besetzung unserer sahrauischen Provinzen durch fremde Kräfte nicht zulassen.“ Marokko verfüge in der Sahara über „eine Polizei, eine Verwaltung und Beamte, mit denen die UNO- Elemente täglich und loyal zusammenzuarbeiten haben“. Wenn der marokkanische König in Washington seine Vorstellungen durchsetzen kann, wird das „unparteiische und gerechte Referendum ohne militärischen und administrativen Druck“ des UNO-Planes zur Farce.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen