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INTERVIEW„Nur die Friedensbewegung kann die serbische Armee stoppen“

■ Pavlusko Imsirovic, Mitinitiator der Antikriegsbewegung in Belgrad, hält nichts von den serbischen Oppositionsparteien — und noch weniger von ausländischen Friedenstruppen

Pavlusko Imsirovic lebt in Belgrad und ist ein linker Oppositioneller, der seit 1968 wegen seiner politischen Auffassungen wiederholt zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde. Der Streiter gegen den Stalinismus hat aber immer auch vor dem nationalen Chauvinismus gewarnt und ist deshalb heute wieder bedroht. Am 28.August drohten ihm serbische Geheimpolizisten unter Zeugen an, ihn wegen seines Engagements in der Friedensbewegung zu töten.

taz: An diesem Samstag wird eine große Friedensveranstaltung in Sarajevo stattfinden. Eine alle Republiken erfassende Friedensbewegung in Jugoslawien, ist das Utopie oder Wirklichkeit?

Pavlusko: Weder — noch. Die Friedensbewegung ist mit der Kriegsgefahr in Jugoslawien zwar gewachsen, sie ist jedoch bisher nicht stark genug, den Krieg aufzuhalten. Was sich jetzt entwickelt, ist eine Massenbewegung, die sich aus sozialen Ängsten speist, und aus der Angst, selber in den Krieg zu müssen. Immer mehr Reservisten, Rekruten und deren Eltern und Verwandte lehnen sich auf. Die erste massive Elterndemonstration fand in Belgrad am 2.Juli statt, einige tausend serbische Eltern haben das serbische Parlament gestürmt und besetzt. Sie forderten die Rückkehr aller Soldaten auf serbisches Gebiet. Und sie sagten recht klar, wir, die Serben, hätten in den anderen Republiken nichts zu suchen.

Da ging es aber noch um Slowenien. In Kroatien liegen die Dinge komplizierter.

Ja, aber diese Eltern haben damals schon gesagt, auch in Kroatien hätten die Serben nichts zu suchen. Nur wenn Serbien angegriffen würde, dann wären wir bereit, zu kämpfen. Ein großer Teil der serbischen Bevölkerung glaubt Milosevic nicht. Sie wollen die Wahrheit über den Krieg erfahren und mißtrauen den Informationen, die sie erhalten.

Die Ziele der Antikriegsbewegung gehen über die Beendigung des Krieges weit hinaus...

Milosevic geht es nicht nur darum, die Grenzen zu verschieben und Großserbien zu gründen, er will auch jegliche demokratische Opposition in Serbien behindern und das alte Regime bewahren. Seine Macht ist konfrontiert mit breiten sozialen Forderungen. In den letzten Wochen und Monaten sind Lohnerhöhungen mit ganz neuen Methoden erkämpft worden, das schließt nicht nur Besetzungsstreiks von Fabriken ein, sondern auch die Besetzung wichtiger Eisenbahnstrecken, zum Beispiel in der Wojwodina. Die serbische Regierung mußte Zugeständnisse machen, gegen diese Arbeiter konnte man damals, vor dem Krieg, keine Panzer schicken, wohl aber jetzt im Kriegszustand.

Wie verhalten sich die oppositionellen Parteien in diesem Konflikt?

Alle Parteien sind praktisch Flügel der alten Kommunistischen Partei. Deshalb gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Parteien.

Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen dem Ultranationalisten Seselj und den Leuten der Demokratischen Partei, die für eine zivile Gesellschaft streiten!

Natürlich, Seselj und die Demokraten unterscheiden sich, aber das politische Spektrum reicht nur von rechtsaußen bis Mitte-Links. Tatsache ist, daß alle Parteien Milosevic an der Macht erhalten, auch die Demokratische Partei, die während der Demonstrationen im März einen Kompromiß mit Milosevic einging. Das hat es ihm erst ermöglicht, einen Krieg zu beginnen.

Zurück zur Friedensbewegung. Überschätzt Du nicht ihre Kraft? Alle politischen Parteien halten sich doch von ihr fern.

Das große Meeting in Sarajevo, das am Samstag stattfindet, ist nur eine Stufe für die Weiterentwicklung der Bewegung. Wir sind uns bewußt, daß die Friedensbewegung die einzige Kraft ist, die tatsächlich diesen Krieg stoppen kann, indem sie die Armee zwingt, die Kämpfe einzustellen. Die europäischen Strukturen und die UNO haben sich bisher als unfähig erwiesen, einen Waffenstillstand zustandezubringen. Auf das Meeting in Sarajewo folgt ein Meeting in Belgrad. Zwar hat die serbische Regierung schon einmal, am 29.August, alles versucht, um zu verhindern, daß sich in Belgrad 5.000 Menschen aus allen Republiken Jugoslawiens versammeln, doch wir lassen uns nicht einschüchtern.

Im Ausland wird der Ruf nach Friedenstruppen immer lauter. Was halten Sie davon?

Ich bin strikt dagegen. Es wird von EG und UNO aus eine zweideutige Politik betrieben. Welche Friedenstruppe hat jemals irgendwo in der Welt Frieden geschaffen? Zuguterletzt bereitet Milosevic den Einsatz einer solchen Friedenstruppe selbst vor, um die eroberten Gebiete in Kroatien zu sichern. Eine aufgezwungene Einmischung würde sogar eine Verschärfung des Krieges bedeuten. Denn die UNO-Truppen würden amerikanische Truppen sein, die sich bemühten, die neue Weltordnung auch hier durchzusetzen.

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