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Geschichten, die die taz-Bremen schrieb

■ Fünf Jahre Bremer Lokal-taz, fünf Jahre taz-Geschichte / Aufgedeckt und angeeckt / Eine Eigenlobeshymne

Auch wir sind jetzt alle fünf Jahre älter: Die taz-Bremen-Belegschaft vor ihrem VerlagshausFoto: Falk Heller

An dieser Stelle soll einmal gelobt werden. Hier soll das zusammengetragen werden, was die Bremer taz in fünf Jahren in dieser Stadt angestoßen, enthüllt und bewegt hat. Und zwar ohne falsche Bescheidenheit. Wer also Selbst- Geißelungen erwartet, Schuldbewußtes über den schlampigen Charme der fehlerhaften Überschriften, über vergessene Terminangaben, nicht zugestellte Zeitungen, mißratene Kommentare, die ärgerlichsten Artikel, der Leser oder die Leserin ist an dieser Stelle ganz falsch beraten.

Hier soll es um die journalistischen Erfolge gehen, als da wären: Erstens — die zehn wichtigsten taz-Enthüllungen — nicht nur aus der verfilzten Bremer Politik. Eine Aufzählung, bei der sich ganz von selbst die Frage aufdrängt: Was wäre Bremen und seine Medienlandschaft ohne taz?

1.) Daß die Universität Bremen dem Daimler-Vorstand Dr. hc. Werner Niefer einen Doktorhut verleihen wollte, stand zuerst — in der taz.

2.) Daß der Verwaltungsdirektor der Klinikums St.-Jürgen-Straße,

hier bitte das Gruppenfoto

Aribert Galla, Dreck am Stecken hatte, als er aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde stand zuerst — in der Bremer taz („Warum Galla wirklich ging“).

3.) Wie sehr die Bremer Polizei beim Geiseldrama versagt hat, war zuerst in der Bremer taz zu lesen: Die taz veröffentlichte ihr zugespielte Abschriften vom Polizeifunk, die bewiesen, daß die Festnahme der Bankräuber- Freundin von der Polizei ohne Anweisung der Einsatzleitung geplant war. Der Lokalteil wurde als Quelle in der Tagesschau erwähnt und war entsprechend stolz.

4.) Nachdem Baden-Württembergs Bürgermeister Lothar Späth über seine gesponserten Reisen ins Stolpern geriet, war es die Bremer taz, die das Urlaubsgebaren von Bürgermeister Wedemeier nachrecherchierte und fündig wurde: Als da war ein Mallorca-Urlaub bei Investor Grothe und ein USA-Trip — als Dienstreise aus Steuergeldern abgerechnet. Ehefrau Ute war auf Werder-Ticket mitunterwegs gewesen.

5.) Die in Bremen vielzitierte Kostensteigerung beim Kongreßzentrum: Die taz rechnete als erste vor, daß es bei den vorgeblichen 50 Millionen nicht bleiben würde.

6.) Daß Finanzsenator Claus Grobecker dem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Detlef Griesche brieflich eine Professorenstelle angeboten hatte, fand — die Lokal-taz heraus. Ihr allein war es gelungen, eines der wenigen schriftlichen Dokumente für den Bremer Filz, den Brief an den „lieben Detlef“ aufzutreiben und zu zitieren. Die CDU las aufmerksam taz und beantragte eine „Aktuelle Stunde“ in der Bürgerschaft. Der Abgeordnete Griesche wurde nicht wieder aufgestellt.

7.) Daß ein Dozent der Bremer Universität in dringendem Verdacht steht, in seiner psychologischen Privatpraxis Klientinnen sexuell zu mißbrauchen — veröffentlichte als erste und einzige die taz. Der Dozent räumte seinen Schreibtisch.

8.) Ohne taz vermutlich bis heute kein Thema in Bremen: Der Unternehmer Martin Grunau und die Millionensubventionen, die ihm der Wirtschaftssenator für kaum vorhandene Arbeitsplätze auf dem ehemaligen „AG Weser“- Gelände in den Rachen schob.

9.) Auch ein uraltes taz-Thema:

Die unseligen personellen Verquickungen des Vorstands der Hans-Wendt-Stiftung mit der Leitung der Sozialbehörde. Danach ein Thema für den Rechnungshof und für einen Untersuchungsausschuß.

10.) Im September wurde die taz wieder brieflich fündig und konnte dokumentieren, wie die Sparkassenvorstände Nölle und Rebers das Bremer Überseemuseum und das Bündnis Bremer Verkehrsinitiativen finanziell unter Druck setzten.

taz: Skandale und Debatten

Zu den von der taz-Bremen ans Licht der Öffentlichkeit beförderten Skandalen kamen mittlere Wasserglasstürme und wochenlange erhitze Debatten, von taz- SchreiberInnen gezielt entfacht. Sieben Beispiele:

1) Eine Kulturredakteurin war mit 600 Geschlechtsgenossinnen in der Stadthalle und wagte es, die Veranstaltung mit der OberSchwester Alice Schwarzer mißraten zu finden: „Es herrscht im

Kongreßsaal eher Kaffee- Klatsch-Stimmung, ein Wir-Gefühl, in dem für Brüche in der Frauensolidarität kein Platz vorhanden schien...“ Die Quittung wurde der taz-Redaktion auf die Scheiben gesprüht: „frauenfeindlich“.

2.) Die gleiche Kulturredakteurin nahm sich das Radio-Programm von Radio-Bremen vor und schlug zu: „Wo Hansa-Wellen rauschen, gibt's Gestammel abzulauschen.“ Der Sender stand Kopf, ein Hauptabteilungsleiter bescheinigte ihr (fast) „geistige Diarrhoe“, das Wort „Hausverbot“ machte bei Radio Bremen die Runde.

3.) Eine taz-Kommentatorin nahm sich nach der Bürgerschaftswahl 1987 die AntifaschistInnen vor — insbesondere deren in Mode gekommene Parole „Nazis raus“. Ihre ketzerischen Fragen schafften ihr viele Feinde:: „Wie schafft man allein die 'raus', die die 13.000 Stimmen abgegeben haben, die die Liste-D bei den Wahlen in Bremen und Bremerhaven bekommen hatte? Soll man alle nach Paraguay evakuieren?“

4.) Eine andere Kommentatorin wagte eine Intifada-Demonstration in Bremen-Mitte zu kritisieren, bei der unreflektiert skandiert wurde: „Hoch lebe der Volksaufstand, jagt die Zionisten aus dem Land.“ Diese Berichterstattung löste die bislang größte Lesebrief-Lawine in der fünfjährigen Geschichte der Lokal-taz aus. Verbohrte Demonstrantions- OrganisatorInnen schmuggelten einer taz-Ausgabe schließlich via Trägerdienst eine Beilage bei, die antisemitische Karikaturen enthielt.

5.) Ebenfalls einen Aufschrei in der Leseschaft gab es, als ein taz- Redakteur den grünen Ortsamtsleiter Hucky Heck zum Bleiberecht für die heimatlosen Roma — von den Nazis hunderttausendfach vernichtet — befragte. Hecks Ausspruch: „Kein Kulturgut, das schützenswert ist“ war für Wochen in der Szene in aller Munde. Die taz wurde getadelt, „so einen“ zu interviewen.

6.) Die Verrisse in der Bremer taz von Aufführungen am Goethe- Theater in der Ära Richter/Fricsay machten Furore. Besonders eine, die mit nur drei Sätzen auskam. Intendant Tobias Richter kündigte das taz-Abonnement. Seine MitarbeiterInnen riefen nach jeder Premiere verschämt bei der taz an, und baten darum, die Rezensionen zugesandt oder zugefaxt zu bekommen.

7.) Als einzige kritische Öffentlichkeit im Kultursektor fiel die taz besonders anläßlich der Ausstellung „Peter der Große“ im Überseemuseum auf. Die Folge dieses Mutes: Die taz bekam von der zuständigen Werbeagentur keine einzige der lukrativen Anzeigen. Radio Bremen hielt sich dagegen mit Kritik wohlweislich zurück: Der Sender präsentierte die Schau.

Nicht vergessen wollen wir in der letzten Strophe dieser Hymne all die Themen und Kampagnen, die durch hunderte von Artikeln intensiv begleitet wurden: Die Drogen-Berichterstattung und das erfolgreiche Anschreiben gegen die Scherfsche Anti-Methadon-Politik. Das Schüren des Volkszählungsboykotts in tagtäglicher Kleinarbeit — bis hin zur Verweigererberatung am taz-Telefon. Die Serie über die Bremer Rüstungsindustrie. Die ungezählten Hintergrundrecherchen über Asyl, Verkehr und Energiepolitik. Genug des Schulterklopfens, die nächste Ausgabe muß fertig werden. B.D.

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