: Kinder besetzten die Seelingstraße
■ Während dreier Aktionstage in eine Traumstraße umgewandelt/ Chalottenburger Lückekinder-Projekt »Pumpe« veranstaltete Straßenmalen und Spiele/ Autos hatten keine Chance
Charlottenburg. Was anderswo erst erstritten werden muß, ist im Charlottenburger Kiez nördlich der Schloßstraße seit langem Realität: Überall gilt Tempo 30, die Straßen sind größtenteils zurückgebaut. Dennoch halten sich Kinder kaum auf ihnen auf. Sie überkreuzen und durchqueren die Straßen, um zu den Orten zu gelangen, die ihnen viel attraktiver zum Spielen erscheinen.
Die Pumpe in der Seelingstraße — so hat sich herausgestellt — ist dabei einer der wenigen Orte außerhalb von Höfen und Spielplätzen, mit dem die Kinder tatsächlich »spielen« verbinden. Nur sind gegenwärtig die Nutzungsmöglichkeiten dieser Pumpe mehr auf Autowaschen als auf Kinderspiel hin ausgerichtet.
Daß Verkehrsberuhigung für die Interessen der Kinder nur ein erster Schritt ist, haben drei Aktionstage deutlich gemacht, welche die MitarbeiterInnen des Charlottenburger Lückekinder-Projektes in der Seelingstraße vorbereitet und durchgeführt haben. Von letzten Freitag an bemühten sich Hunderte von Kindern, einige Tage lang etwas von einer Traumstraße in die Wirklichkeit umzusetzen. Mittelpunkt des Geschehens war die Pumpe.
Durch den Kiez hallte das Hämmern der Kinder
Der Bildhauer Michael Friedrichs- Friedländer hatte große Gasbeton- Blöcke mitgebracht, dazu viele Meißel, Hämmer und Raspeln. Innerhalb kürzester Zeit waren dreißig Kinder — Mädchen und Jungen zwischen drei und dreizehn — damit beschäftigt, aus den Steinen Wasserspeier zu hauen. Drei Tage lang war das Hämmern der Kinder durch den ganzen Kiez hindurch zu hören. Am Ende gab es dann eine stolze Reihe von 12 Wasserspeiern — alle mit anderen Gesichtern und farbig bemalt. Und sie funktionierten: Aus 21 steinernen Mäulern floß das Wasser.
Am Freitag begann die Aktion noch am Rande des Straßenverkehrs. Samstag und Sonntag waren dann etwa 80 Meter Fahrdamm zwischen Nehring- und Danckelmannstraße tagsüber völlig autolos und bekamen damit ein ganz neues Gesicht. Es bedurfte nur einiger Animationen, damit die Straße mehr und mehr von Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen in Besitz genommen wurde. Straßenkreide wurde verteilt, und sofort malten, zeichneten und schrieben die Kinder.
Hertha 06, ein benachbarter Fußballverein, kam mit einigen Bällen. Gemeinsam wurde ein bißchen trainiert. Und noch lange, nachdem die Herthaner schon wieder weg waren, hatte sich der herrlichste Straßenfußball entwickelt. Daneben übten Mädchen Handstand und Radschlagen. Ein Diabolo wanderte von Hand zu Hand. Rollschuhe, Karren, Skateboards und Räder waren im Einsatz.
Gleichzeitig wurde die Straße zur Bühne. Mädchen und Jungen, Kleine und Große, Kinder aus Deutschland und aus der Türkei agierten und schauten immer wieder dem zu, was gerade andere machten. Am Rande standen Erwachsene mit den ganz Kleinen. Auch ältere Jugendliche ließen sich vom Geschehen einfangen.
Ein Verkehrskonzept für die Seelingstraße
»So soll es bleiben!« war die Ansicht aller Kinder. Die Seelingstraße soll tagsüber Spielstraße werden. Abends könnten die Autos wieder dort parken. Ob die Anwohner dem zustimmen, blieb offen. Es gab wenig Gemecker und viel Beifall. Damit ein bißchen von der Aktion in den Alltag übergeht, wollen die Mitarbeiter vom Lückekinder-Projekt in den nächsten Wochen dafür sorgen, daß weiterhin mit den Wasserspeiern gespielt werden kann. Barbara Tennstedt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen