piwik no script img

»Verheißungsvolles Versprechen«

■ Eine neue Berliner Theaterzeitschrift

In Wien gibt's so was schon lange: eine lokale, monatlich erscheinende Theater-Illustrierte. In Wien allerdings ist Theater hochwichtige öffentliche Angelegenheit, grundsätzlich von hysterischem Publikumsinteresse begleitet. Obwohl das in Berlin nicht so ist, hat im September ein eigens gegründeter »Verlag Dirk O. Neldner« die erste Nummer von 'Theater in Berlin‘ herausgebracht.

Als Herausgeber und journalistischer Mitarbeiter fungiert Neldner auch noch — und das müßte nicht sein. So lehrt der Chef im Editorial der ersten Nummer: »Berlins Theaterszene ist groß geworden, ist noch mehr in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit gerückt.« Ei was! »Auch Publikum und Preise müssen zusammenwachsen«, blödelt Neldner dann, wahrscheinlich unfreiwillig, zum Thema Eintrittspreise im Osten und beweist schließlich durch die putzige Tautologie, neue Berliner Intendanten würden »Verheißungsvolles versprechen«, einmal mehr, daß auch (oder gerade) Texte vom Chef redigiert werden müssen.

Im Interview mit Eartha Kitt fallen Neldner (zusammen mit Elke Weber) dann hochsubtile Fragen ein wie »Freuen Sie sich, hier zu sein?« oder »Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach Follies

Auch sonst geht im ersten Heft das meiste in die Hose: Eine Umfrage unter Berliner Intendanten bringt äußerst kümmerliche Antworten; ein Eartha-Kitt-Porträt ist brav und langweilig; unvermeidlicherweise wird Worons Theatr Kreatur (zu dem es allerlei Kritisches zu sagen gäbe) mit den üblichen Hymnen bedacht; eine Vorschau auf Amadeus im Renaissance-Theater und Der Schauspieldirektor im Schloßparktheater beginnt tatsächlich mit dem Satz »Das Mozart-Jahr fordert seinen Tribut.«

In einem »Kritisches Streiflicht« genannten Überblick schwadroniert Hellmut Kotschenreuther über die »Minna von Barnhelm«-Regisseurin Katharina Thalbach: »Sie stochert mit hellsichtig-bösem Blick in dem politisch-gesellschaftlich-sozialen Hintergrund herum, vor dem der kohlhaasische Major Tellheim nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges selbstquälerisch fast sein Glück an der Seite der geliebten Frau verspielt.« Im gleichen Text behauptet Kotschenreuther, die Freie Volksbühne sei »mehr als die anderen großen Berliner Bühnen von der Abwicklung bedroht« — doppelt falsch; von Abwicklung war nicht die Rede, und der neue Verwendungszweck des abgewrackten Hauses sollte zu der Zeit, als K. seinen Überblick schrieb, auch schon klar gewesen sein.

Nützlich immerhin die Monatsspielpläne der neuen Zeitschrift, in denen auch die Brandenburger Theater vorkommen — allerdings nur in einer Auswahl, die mir nicht einleuchtet (mal Brandenburg, mal Schwedt dabei — warum nicht immer beide?) Ganz ulkig ist der Pressespiegel, in dem man feststellen kann, wie faszinierend ähnlich die Berliner Kritiker schreiben.

Das zweite Heft ist um einiges gelungener; Herr Neldner hat dieses Mal kein Editorial verfaßt, sondern den Platz Heiner Müller für kostenlose redaktionelle Eigenwerbung überlassen; ein Interview mit Ivan Nagel ist, wie nicht anders zu erwarten, ergiebig; eine neue Serie über Theaterberufe stellt per Interview ganz gelungen eine Maskenbildnerin vor — und in einem Porträt des Zan Pollo Theaters findet der vom Lesen der Berliner Theaterkritiker leidgeprüfte Leser sogar Sätze wie: »Seine literarische Signatur ist die fortgesetzte Notzucht der Grammatik — bis aus dem semantischen Nonsens versteckte Bedeutungen aufblühen.«

Leider ist auch im zweiten Heft noch manches reichlich dünn geraten (speziell für eine Monatszeitschrift!): Da Andrea Breth vor ihrer ersten Schaubühnen-Premiere keine Interviews gab, hat man ersatzweise den zweiten Hausdramaturgen einvernommen — und der redet, wie Dramaturgen eben reden.

Eine Rubrik »Die Leserkritik« beweist, daß Theaterkritiker womöglich doch nicht ganz überflüssig sind; und die Notwendigkeit einer ganzen Seite Ankündigung der Feuerzangenbowle im Hansa-Theater kann ich durchaus nicht einsehen.

Was man sich von einer Berliner Monatsillustrierten für Theater wünschen würde, ist auch die zweite Ausgabe von 'Theater in Berlin‘ bei weitem noch nicht; sie ist aber immerhin gelungen genug, um noch die dritte zu lesen. kno

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen