INTERVIEW
: „Der Typ ist sogar für Atomwaffen“

■ Der irische Gewerkschafter John Meehan zur Politik der britischen Labour Party

John Meehan (37) ist seit 1975 Mitglied der Vierten Internationale und der „People's Democracy“, die sich Ende der 60er Jahre aus der nordirischen Bürgerrechtsbewegung entwickelt hat. Die taz sprach mit ihm in Dublin.

taz: In Großbritannien hat der Wahlkampf begonnen. Wie stehen die Chancen der Labour Party, die konservative Regierung nach zwölf Jahren abzulösen?

John Meehan: Die Bevölkerung hat die Schnauze voll von den Tories. Die Suppe haben sie sich selbst eingebrockt — durch die Kopfsteuer, die nun erst 1993 modifiziert werden soll, den Zerfall der öffentlichen Dienste und die weitverbreitete Armut, die man täglich in Form von Obdachlosen auf den Straßen Londons sehen kann.

Also ist ein deutlicher Labour-Sieg zu erwarten?

Nicht unbedingt. Wilson hat sich in den 60er Jahren ein linkes Image gegeben. Nachdem er gewählt wurde, vollzog er eine Wende nach rechts. Neil Kinnock hat diese Wende bereits vorher vollzogen. Der Typ spricht sich sogar für britische Atomwaffen aus. Viele Leute fragen sich inzwischen, worin sich die Labour Party eigentlich noch von den Tories unterscheidet. Außerdem hat Labour ihre beste Wahlhelferin verloren — Margaret Thatcher. Kinnock ist es also durchaus zuzutrauen, sich den noch im Frühjahr sicher geglaubten Sieg wegschnappen zu lassen.

Wie würde es mit der Labour Party dann weitergehen? Wäre dann eine Linksentwicklung zu erwarten?

Die Parteimitglieder stehen weit links von der Parteiführung. Das hat auch eine interne Analyse der Labour Party ergeben, die deshalb nicht veröffentlicht wurde. Kinnock und sein Schattenkabinett sind am rechten Rand der Sozialdemokratie anzusiedeln. Sie haben die Ereignisse in Osteuropa dazu benutzt, auch im wirtschaftspolitischen Bereich eine Rechtsentwicklung zu vertreten. Ihr Widerstand gegen die Kopfsteuer ist rein rhetorischer Natur. Sie werden auch die öffentlichen Gesundheitsdienste nicht wiederbeleben. Kinnock könnte ähnliches wie Wilson damals blühen: Zwei oder drei Jahre nach dessen Rechtswende hat die Parteibasis revoltiert.

Bei ihrem Parteitag in der vergangenen Woche hat sich die SNP, die Partei der schottischen Nationalisten, auf die Labour Party eingeschossen. Laut Meinungsumfragen kommt das sozialistische Programm der SNP bei immer mehr WählerInnen an. Verliert Labour ihre Vormachtstellung in Schottland?

Bei einer erneuten Wahlniederlage wird Labour große Probleme in Schottland bekommen. Der Druck der SNP, deren Mitglieder vor allem aus der Gewerkschaftsbewegung kommen und weit links von der Labour Party stehen, wird stärker. Selbst bei einem Wahlsieg kann Labour eine breite Kampagne für schottische Unabhängigkeit höchstens hinauszögern. Deshalb hat Kinnock als ausgesprochener Unionist so vorsichtig auf die Unabhängigkeitserklärung der baltischen Staaten reagiert.

Was passiert bei einem Patt nach den Wahlen?

Vermutlich zwingen die Liberalen die Labour Party dann, als Gegenleistung für die Unterstützung einer Labour-Regierung der proportionalen Repräsentation zuzustimmen. Das könnte zu einer Spaltung der Labour- Linken führen. Nach dem heutigen Wahlmodus reichen nämlich 40 Prozent der Stimmen für eine absolute Mehrheit im Parlament. Bei proportionaler Repräsentation müßte die Partei jedoch eine Koalition eingehen. Interview: Ralf Sotscheck