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Weiße Ghetto-Boys und hübsche Gesichter

■ Zwei Konzerte im K.O.B. und im Wasserturm Kreuzberg

Ums gleich vorneweg klarzustellen: Ultraman sind ultra-blöde. Richtig dumpfer Hardcore, der einer sein will, es aber bei weitem nicht schafft. Hiermit schmeiße ich Ultraman in die Toy-Dolls-Schwachsinnsklamottenkiste, und dort können sie von mir aus verschimmeln. Ihre Texte sind aber definitiv nicht lustig. Im Gegenteil. Sie handeln von relativ ernsten Angelegenheiten wie z.B.: Johnny kriegt vor lauter Existenzängsten kein Glas mehr auf die Reihe, sucht sich also einen Job, und Ultraman krakeelen: Jetzt hat er die Spielregeln gelernt und nicht mehr das Rüstzeug für Core. Fuck off!, gelinde gesagt. Nicht jeder kriegt seine Schecks von Papa wie Ultraman, von denen jeder seinen Eltern für deren »Unterstützung« auf ihrer »Non-existence«-LP dankt. Produziert von Nicky Garratt, Ex-UK-Subs- Gitarrist, mit denen Ultraman auch eine Tour durch die USA im vergangenen Jahr buchten. »I'm so bored with the USA« (The Clash '77).

Statt dessen covern Ultraman New Rose, die Debut-Single der Damned, und zwar beschleunigt und beschissen. Ultraman tragen »Cockney Rejects«-T-Shirts, was sie wieder in die Toy-Dolls-Kiste zurückwinkt. Ultraman haben junge, gepflegt unabgenutzte, süße Gesichter und Körper, bemalt mit allerhand süßen Tattoos, und sie danken allen Mädchen/Groupies für ihren Fick oder auch Nicht-Fick. Süß. Eine Hardcore-Band, fünf süße Jungs so richtig zum Knuddeln. Mami, wo is mein Teddy? Hardcore realitätsfremd zu nennen ist ja eine Todsünde, aber genau dies ist das Dilemma bei Bands wie Ultraman. Die meinen, mit einem grungigen Beat und hübschen Gesichtern die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Weit gefehlt. Wenn sich die Hausbesetzerszene auf solche Vorbilder beruft, sehe ich den ganzen Kram in die Gosse zurückschwimmen. Schwachsinn ist nicht heilbar. Und das in seiner Jugend. Arme Irre.

Nun ist es ja nicht so, daß wir uns an Ultraman aufhängen müssen, im Gegenteil, es gibt genügend Ausweich- und Vergleichsmöglichkeiten. »Der Riss — Die Band« z.B. aus Berlin packen die Dinge des Lebens in ein Handtuch und lassen sie gären. Was nicht unklug ist. Denn Geduld ist eine hervorragende Eigenschaft, besonders wer sie in solchen unheilvollen Tagen wie den jetzigen besitzt. Sich auf nichts festlegen, keine Schiene wirklich betreten, seinen Kram machen, um über die Runden zu kommen, Dissonanzen mit Trompetengestammel und Keyboardgehacke, Schlagzeugstakkato dazu, Ungemütlichkeit verbreitend, Unruhe stiftend, keine Musik zu machen, die einem Zugangspublikum gefällt, erscheint mir interessant. Nichtbezug und Nichtteilnahme, Verweigerungstechniken also, sind in ihrer Konsequenz weit hinter effektive, sprich finanzielle, Bedeutung zurückgetreten. Wenn die UK-Charts Underground sind, was man heute wirklich ohne Überheblichkeit behaupten kann, da niemand den aktuellen Stand derselben im Kopf hat, und weil UK-Charts noch nie so irrelevant für Musik und Kultur waren wie heute, so ist wahrer Underground, sprich Musik ohne Dazugehörigkeitsanspruch, einfach das Ding von morgen. Wer zum Teufel wollte sich schon diese Bürde aufbinden, heutzutage noch wirklich »Avantgarde« sein zu wollen. Wir leben in einer Ghetto-Welt, weil wir weißer Abfall sind oder weil wir an längst erloschene alte Werte glauben, wie es in Zeiten der extremen Kälte, z.B. 1971, der Fall war. Die Swingin' Sixties waren endgültig vorbei, heute ist es nicht anders. Alles, was nach den Sex Pistols und nach der ersten Clash kam, ist heute hiermit beendet. Wooden Jesus heißt ein Song der Mid- Seventies-Rocker »Temple of the Dog«. Sie meinten damit den Leichnam im Sarg dessen, der für alte Werte gelebt und gestorben ist. Genauso wie in zehn Jahren jemand kommen wird, der am Ende der 90er beginnt, musikalische Reformation zu betreiben. Was aber nicht unbedingt unser Problem sein sollte. Peter K.

»Der Riss — Die Band« spielt am 9.10. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg.

Ultraman spielen zusammen mit den Rattle Rats am 5.10. um 22 Uhr im K.O.B.

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