piwik no script img

Tempo 30 auch für Sängerinnen?

■ Kim Eustice und Greta mit ihrem Kabarettprogramm »Dazustehen«

Was gibt es schöneres auf Erden als eine gelungene Kombination von Offkultur und Kabarett?

Am vergangenen Samstag präsentierte ein in den eingeweihten Kreisen feministischer Subkultur bereits bekanntes und beliebtes Kleinkunst-Duo im Frauencafé Begine ihr neuestes Kabarett- und Chansonprogramm Dazustehen. Vor einem enggedrängten und offensichtlich leicht zu begeisternden Premierenpublikum trugen die Australierin Kim Eustice und ihre deutsche Partnerin Greta einen wahrlich unglaublichen Gesangs- und Pianomarathon vor. Ohne Punkt und Komma, allerdings auch ohne rechten Sinn und Verstand.

Denn ihr Kessel Buntes aus Chansons und Balladen unterlag inhaltlich wie musikalisch bedenklichen Qualitätsschwankungen und ließ obendrein jede einheitliche Linie schmerzlich vermissen. Neben wenigen witzigen und spritzig erzählten Alltagsstories wie dem Auftaktsong Ich warte, mit dem sich Kim als Einstiegsgag verspätete, und selbstironischen Gesangstücken wie Ich hab' ein Rendevous, zu dem sich singin‘ Greta »schwarz-abgestuft« aufmotzt, standen zahl- und namenlose Balladen, deren Inhalt sich allzuoft auf die rhythmische Wiederholung eines mittelmäßig traurigen Refrains beschränkte. Das Piano, fingerfertig bedient von Kim Eustice, wurde leider immer wieder durch die zweifelhafte Sangeskunst der Kleinstkünstlerin Greta gebremst, die anscheinend auch für Sängerinnen ein Tempolimit im Innenstadtbereich durchsetzten möchte. Um nicht bereits Minuten vor dem Gesang fertig zu sein, reduzierte sich Kims Klavierbegleitung zu den meist sogar ganz passablen Texten ihrer Kompagneuse daher höflich, aber leider auch stimmungsmäßig tödlich, auf jenes eintönige »Humta- Humta«, das in Czernys Klavieretüden immer als »mäßig fröhlich« beschrieben wird.

Durfte die quirlige Kim dann doch einmal ungehemmt, sprich: solo aufspielen, kam wider Erwartung direkt Stimmung in die verschlafenen Pianoschlägel und in den Liederabend etwas Drive! Zudem bestachen Kim Eustice' Solonummern durch jenes kokett- gekonnte Augenzwinkern, das einen guten Songtext eben erst zu wahrem satirischen Leben erweckt. Stellte die Pianistin aus Übersee die kluge Frage, »warum sie nicht alle Männer auf den Mond schicken, wenn es doch mit einem klappt?«, tobte der Saal zu Recht und auch als »Lonely Lesbe auf der Suche nach einer Frau« konnte Kim die Herzen der Damen in den vorderen Reihen im Sturm erobern.

Diese wenigen Highlights vermochten aber dann doch nicht über den faden Gesamteindruck des Programms hinwegtäuschen. Denn leider beließen es die beiden Chansonetten zu allem Überfluß nicht bei ihren insgesamt ja noch ganz leidlichen Sangesdarbietungen, sondern verstrickten sich immer wieder in schlecht vorgetragene und nicht eben exorbitant originelle Kabaretteinlagen, in denen vorwiegend Altbekanntes durch den Kakao gezogen wurde. Natürlich bekamen die Beamten ihr Fett ab, besonders die von der Ausländerbehörde, des gleichen die heiratswilligen Spießerlesben und die herzlosen alleinerziehenden Mütter. Selbst ohne den klassischen Seitenhieb auf die feministische Workshop-Mania vermeinten die beiden nicht auszukommen. Hätten diese Einlagen wenigstens eine tragende Grundidee gehabt oder zumindest aktuellen Zeitbezug, sie hätten das Programm vielleicht trotz der so dilettantischen Vortragsweise retten können. Aber ein roter Faden war in der Begine nirgends zu finden und selbst die seltenen Versuche, das Ganze durch die ein oder andere Anmoderation zu einem Programm zusammenzuklammern, mißglückten. Offensichtlich erlagen die beiden Cantatricen der irrigen Annahme, die Sache spräche für sich.

Auf diese Weise erstickte Dazustehen dann endgültig an der maßlosen Selbstüberschätzung ihrer Macherinnen, die zu ihrem persönlichen Glück in der Potsdamer Straße auf ein schier unendlich wohlwollendes Publikum trafen. Das freute sich, ganz weiblich-genügsam, schon unbändig, wenn einmal das Wort »lesbisch« oder »Subkultur« fiel, und war — so schien es — jeder besseren subkulturellen Darbietung derart entwöhnt, daß frau an diesem vergebenen Abend nahm, was sie kriegen konnte. Wenig genug war's ja! gogolin

Am 4., 5. und 6. 10. um 21 Uhr im Café Scheselong, Wilsnacker Straße 61, Berlin 21

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen