: Schiller, komisch und sinnlich
■ Isabella-Mamatis-Theaterproduktion zeigt „Schillerlocken oder Der Sturm der Schlacht“
Luise Miller begegnet Maria Stuart. Und die Heilige Johanna der Eboli. Elisabeth, Marfa, Lady Milford, Isabeau — die Theaterproduktion Isabella Mamatis montiert die weiblichen Hauptrollen aus neun verschiedenen Dramen Friedrich Schillers zu einem sinnlichen Theaterereignis, das mit Elementen aus Schauspiel, Oper, Tanz und Performance arbeitet: Schillerlocken oder Der Sturm der Schlacht. In drei Teilen befreit das Ensemble die Schillerfrauen aus ihren gedruckten Vorlagen und läßt sie ihren vorgegebenen Part und die klassische Rollenverteilung auch schon mal vergessen, ohne dabei auch nur annähernd aufdringlich feministisch zu erscheinen.
Der erste Teil — „Romantik/ Kitsch/Gewalt“ — beginnt mit einer langsamen Einführung der Personen. Im Halbdunkel betreten die Schauspielerinnen die Bühne, zitieren aus ihren jeweiligen Textpassagen und beginnen dann, mit zunehmender Helligkeit, zu agieren. Noch sind sie eins mit ihren Rollen, spielen realistisch und getrennt voneinander. Im Verlauf des Aktes wächst die Absurdität, falsches Pathos wird ausgespielt, die Schiller-Figuren werden zu Karikaturen. Wo bei Schiller das Edle, Moralische und damit auch Unerotische vorherrscht, zeigen sich bei Isabella Mamatis (Ko-Regie: Johannes Steinbrückner) Komik und Sinnlichkeit. Der einzige männliche Schauspieler muß sämtliche Männerrollen aus den Stücken übernehmen und auf die jeweilige Ansprechpartnerin reagieren. Mal ist er obenauf, kann die eine oder andere Frau von der Bühne vertreiben, dann wieder tapert er hilflos zwischen den immer mehr aus den Fugen geratenen Frauenspersonen herum. Sein Spiel ist klar abgegrenzt von dem der Frauen, bei ihm wird auf Stilisierung und Absurdität verzichtet. Er ist der Außenseiter.
Die Schauspieler(innen) sind ohne Ausnahme großartig, verinnerlichtes Spielen und Karikaturen gelingen gleichermaßen, und in den wenigen Ruhepausen wird eine fast schon unerträgliche Spannung gehalten. Am Schluß des ersten Aktes sind die Schillerfrauen kaum noch zu bremsen (wer nicht sehr textsicher ist, braucht sich spätestens jetzt nicht mehr zu bemühen, einzelne Rollen auseinanderzuhalten), er endet in einem grotesken Fechtkampf und mit dem Tod aller Frauen.
Der zweite Teil — „Der Tod hat eine reinigende Kraft“ — strahlt nach dem vorhergehenden lautstarken Chaos eine wohltuende Ruhe aus. Eine Art Traumsequenz beginnt: In milchigblaues Licht getaucht, wandeln die Schauspielerinnen wortlos und in Zeitlupe über die Bühne, nur begleitet vom Geräusch leisen Regens. Wunderschön kitschig werden Wassertropfen auf die Bühnenwand projiziert, hinreißend geschmacklos auch die Kostüme, die an Lampenschirme erinnern. Harmonisch ergänzen sich die einzelnen Ausstattungselemente (Bühne/Kostüme/ Licht: Ursula Scheib und Ulrich Schneider) mit der Choreographie von Isabella Mamatis, eine Katharsis tritt ein — für die Figuren und auch den Zuschauer. Pause.
Rhythmisches Trommeln holt den Zuschauer wieder ab, der letzte Teil beginnt — „Schillers Frauen heute“. Während Schauspielerinnen an ihren Rollen arbeiten (den Rollen, wohlgemerkt, die sie im ersten Teil verkörpert haben) und versuchen, mittels Requisiten, Schminke und Perücken einen Zugang zu ihnen zu finden, sitzt der Mann an der Schreibmaschine und tippt — der Autor des Geschehens, der Sätze und Handlungsabläufe vorgibt. Doch immer mehr verweigern sich die Frauen ihren Rollen, und mit einem „ach, die Gedanken, die Gedanken“ gibt der Autor auf und befindet sich bald ebenfalls im Zentrum. Der letzte Teil der Inszenierung leidet an einer Überfrachtung von Eindrücken, wo in den ersten Teilen noch klare Strukturen vorherrschten, verwischen hier die Bilder und ermüden den Betrachter, schließen ihn aus. Die Schauspieler scheinen ausgepowert, der Performancecharakter dieser Szene etwas gewollt. Die gelungene Idee des Abends, die Dreiteilung von der Vergangenheit über den Tod in die Gegenwart, geht so zumindest im letzten Teil nicht auf.
Trotzdem: Die Schillerlocken von der Theaterproduktion Isabella Mamatis sind unbedingt empfehlenswert. Das Ensemble schafft mit Witz und Können ein ganz eigenes Theaterereignis, das mehr von sinnlichen Reizen als einem durchgängigen Begreifen lebt. Anja Poschen
Am 4., 5., 11., 12., 13., 14. Oktober jeweils 20.30 Uhr im Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur, Friedrichstr. 176-179, U-Bahn Französische Straße
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