: Paragraph 218
■ betr.: "Verantwortung ja, Strafe nein!", taz vom 26.9.91
betr.: „Verantwortung ja, Strafe nein!“, taz 26.9.91
Selten habe ich ein derartiges, unkomplementäres und sentimentalerers Geschwafel von einer drängenden Zukunftsfrage in Sachen Mensch und Natur gelesen, wie es unter diesem — Eurem — feministisch-emanzipatorischem Gesichtspunkt proklamiert wurde! Aber es soll bloß eine Debatte sein.
[...] Wie — bitte schön — soll frau das eigentlich verstehen: „Eine Chance vergeben, die Freiheit der Frau vor Strafe durchzusetzen“? Also doch: „Freiheit mittels Strafe“, selbst wenn diese tüchtig auf das menschliche und obendrein auch noch das weibliche Gewissen abzielt! Ausgerechnet und schon wieder agitieren es die Seligen. Faktor: Öffentliches Medium der ganz freien JournalistInnen. Ihr selbst gebt uns das Stell-Dich-Ein und markiert Euch zu jenen moralischen Prokuristen, die eine kompetentere Gruppe von sich aus ablehnt. Seid Ihr Anabaptisten; BefürworterInnen und SprecherInnen unserer, leider noch nicht denkender und redender Embryonen?
Die einen übersetzen Verantwortung mit Staatsgewalt, die anderen ersetzen sie durch das abgeschottete und ins Absolute gesteigerte Selbstbestimmungsrecht und andere wiederum mittels hegemonialer Agenzien! Eure Freiheit, Strebsamkeit nach Recht und Ordnung in dieser Gesellschaft in allen Ehren, doch forciert und konsolidiert Ihr nun wieder das gleiche Scheißspiel eines feministisch-katholischen Fundamentalismus, den es laut Unterzeile zu überwinden gilt; an dessen Zeit es ist, die Unterwerfung unter den femo- katholischen Fundamentalismus, den es laut Unterzeile zu überwinden gilt; an dessen Zeit es ist, die Unterwerfung unter den femo-katholischen Diskurs zu beenden! Jawohl: Tatsächlich ist es an der Zeit, die Dinge zu verändern. Dazu gehört vor allem meine individuelle adäquate Mündigkeit! Ad absurdum Eure spezifische und zersplitterte Verweltlichung, und vielen, vielen Dank auch für die großartige Unterstützung um die bessere unter den schlechten politischen Lösungen! Roswitha Angermund, Köln
[...] Es ist zunächst eine Elite-Begründung, mit der ein Teil der Gesellschaft Rechte fordert, die er anderen Teilen der Gesellschaft kaum zugestehen kann. Logischerweise müßten Eltern ja auch geborene Kinder oder irgendwelche anderen Personengruppen „Menschen ihrer Wahl“ selbstverantwortlich töten dürfen — vorausgesetzt, man setzt das Leben im Bauch nicht als zweitrangig gegenüber dem Leben außerhalb des Bauches herab. Wie auch immer — die Gesellschaft dürfte jedenfalls keine Sanktionen erheben, denn Sanktionen sind ja ein „Herrschaftsakt“.
[...] Nehmen wir der Gesellschaft das Recht, die Motive des Vergewaltigers, des Ladendiebs, der Möderin, des Industriegiganten abzuklopfen. Unterstellen wir allen Menschen prinzipiell das Beste und gehen wir davon aus, daß Tötung von Leben weltweit und in jedem Fall nur aus gutem Grund stattfindet. Und ob der gute Grund wirklich gut ist, darf der, der tötet, jeweils selbst entscheiden.
Sie sehen schon: Elite-Begründungen funktionieren nur in schlechten philosophischen Seminaren und in Wildwestfilmen. Da lob ich mir den Volksmund: „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem anderem zu.“ Norbert Pirzer, München
Eine geniale Synthese zu den Abtreibungspositionen und ein ordentlicher Hieb auf den gesellschaftszerstörenden Feminismus.
Unter moralischem Druck steht die Abtreibende schon heute. Er wird sich noch erhöhen, wenn sie sich, wie Ihr es durch die Festschreibung des Wortes „Tötung“ ins Gesetzbuch wünscht, als straffrei davongekommene Mörderin fühlen wird.
Die gewissenloses Frau, die einfach wegen „quadratisch, praktischer Lebensplanung“ abtreibt (übrigens das Bild der Lebensschützer) habe ich nie getroffen. Damit negiert Ihr die Konflikte, die Frau vor und nach dem Abbruch durchlebt und unterstellt mangelndes Verantwortungsgefühl und moralische Unterentwicklung. Genau wegen „drängenden Zukunftsfragen“ entscheiden sich viele gegen das „andere Leben“, aber eben nicht aus Verantwortungslosigkeit, sondern sehr wohl verantwortlich, weil sie sich über die „langfristigen Nebenfolgen“ im Klaren sind.
So finde ich denn auch den Exkurs über gutverdienende Pärchen zu simpel und gefährlich. Bei wievielen Kindern möchtet Ihr denn bitte die Grenze gesetzt sehen, um die „zerstörerische Selbstbeschleunigung unserer Gesellschaft“ zu verhindern? Wer gut verdient, soll auch reichlich Kinder durchziehen, egal ob Mutter will und schafft, oder? Welche Haltung degradiert hier die Frau zur Gebärmaschine?
Zum Glück sind weibliche Lebenswege inzwischen einigermaßen unterschiedlich gehbar, wenn auch das Recht auf Selbstbestimmung nach wie vor torpediert wird. Es hat sich aber noch nichts daran geändert, daß Frauen immer in der Gefahr schweben, die Zeche bezahlen zu müssen, egal wie sie sich entscheiden. Diese Einsicht müßte schwer genug wiegen, als daß wir uns noch mehr unter moralischen Druck setzen lassen müßten.
Richtig, der gesellschaftliche Diskurs über „drängende Zukunftsfragen“ ist ewig überfällig, sonst gäbe es nämlich diese Form der Abtreibungsdebatte nicht. Ob aber Euer fragwürdiges Kompromißangebot den in Gang setzt, scheint mir nun wieder fragwürdig. Hilde Mackscheidt,
Gruppe „Luna“, Aachen
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