: Nato rückt Osteuropa näher
■ Genscher und Baker plädieren für „institutionelle Beziehungen“ des atlantischen Bündnisses mit den ehemaligen Mitgliedern der Warschauer Vertragsorganisation/ „Nordatlantischer Kooperationsrat“ soll gegründet werden/ Regelmäßige Treffen
Bundesaußenminister Genscher und sein US-Kollege James Baker haben sich bei einem Treffen in Washington erneut darum bemüht, dem westlichen Militärbündnis Nato nach den Umwälzungen in Osteuropa und der Sowjetunion eine neue Bedeutung zu geben und seine weitere Daseinsberechtigung zu verteidigen. In einer gemeinsamen Erklärung kündigten sie in Washington die „Entwicklung institutioneller Beziehungen der Nato-Staaten zu den neuen Demokratien in Mittel-und Osteuropa und der Sowjetunion“ an. Konkrete Schritte hierzu sollen auf dem Nato-Gipfel Anfang November in Rom „ernsthaft erwogen“ werden.
Zu diesen möglichen Schritten sollten nach Ansicht der beiden Außenminister „regelmäßige“ Treffen zwischen den 16 Nato-Staaten und den in ihrer gemeinsamen Erklärung als „Liaisonländer“ bezeichneten ehemaligen sechs Mitgliedsstaaten der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) gehören. Als Rahmen für die Treffen der Botschafter dieser 22 Staaten oder aber — falls von den Nato-Staaten für notwendig erachtet — der Außenminister solle ein „Nordatlantischer Kooperationsrat“ gebildet werden. Genscher und Baker sprachen sich ebenfalls für die „periodische bzw. regelmäßige Teilnahme“ der osteuropäischen Liaisonstaaten an Sitzungen von Nato- Gremien zu den Themen Wirtschaft, Umwelt, Zivilschutz und politische Planung, nicht jedoch zu militärischen Fragen aus. Den Liaisonländern soll außerdem die Planung „gemeinsamer Aktionen zur Katastrophenhilfe und im Rahmen von Flüchtlingsprogrammen angeboten“ werden. Und das atlantische Bündnis will „vorrangig prüfen“, welchen Beitrag es zur Umstellung der Rüstungsindustrien auf zivile Produktion in Osteuropa leisten kann.
Die beiden Minister versicherten, daß es „wichtig“ sei, ein neues „System kooperativer Sicherheit“ zur dauerhaften Friedenssicherung in Europa zu schaffen. Nach den dramatischen Veränderungen in der Sowjetunion und der Atomwaffen-Initiative von Präsident Bush bestünden dafür nun gute Chancen. Aus der Erklärung von Baker und Genscher geht jedoch nicht hervor, warum sie eine Rolle der Nato in all diesen Fragen für notwendig halten und die Behandlung dieser Probleme nicht vollständig in der KSZE ansiedeln. In allgemeiner Form wird lediglich „versichert, daß die Nato die KSZE bei der Bewältigung dieser und anderer Sicherheitsanforderungen in Europa unterstützen wird“. Die Erklärung enhält darüber hinaus Kompromißformeln zum Verhältnis zwischen Nato und künftigen (west) europäischen Sicherheitsstrukturen. Die „Entwicklung einer europäischen Sicherheitsidentität und Rolle in der Verteidigung“ stünden nicht im Widerspruch zur transatlantischen Zusammenarbeit und „zum Geist des westlichen Bündnisses“. Neue Sicherheitsstrukturen bedeuteten keine „Schmälerung der unverzichtbaren Rolle der Nato“, sondern deren „Ergänzung“. Andreas Zumach
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