: Auch Kinder werden zum Ziel des Hasses
■ Welle der Gewalt gegen Ausländer und Asylbewerber zum Tag der deutschen Einheit/ Zwei Kinder wären beinahe verbrannt/ Ein Türke wurde in der Fußgängerzone niedergestochen und alle sahen zu
Berlin (taz) — Brandanschläge, Pistolenschüsse, Messerstiche, Verwüstungen — eine Welle der Gewalt gegen Ausländer, Asylbewerber und ihre Unterkünfte rollte zum Tag der deutschen Einheit durch die Republik. Aus rund 20 Orten in Ost- und Westdeutschalnd wurden gewalttätige Überfälle gemeldet. Mehrere Personen wurden dabei schwer verletzt. Kinder, harmlose Passanten, Fahrgäste der S-Bahn, schlafende Heimbewohner wurden Opfer von verhetzten Gewalttätern. Im niederrheinischen Ort Hünxe wurden zwei libanesische Kinder im Alter von sechs und acht Jahren bei einem Brandanschlag auf ein Fremdenheim schwer verletzt. Das ältere der beiden Kinder mußte mit dem Rettungshubscharuber in eine Spezialklinik für Brandverletzungen nach Hamburg geflogen werden. Die Mordkommission hat die Ermittlungen aufgenommen. Die übrigen 40 Bewohner konnten sich retten. Das Haus brannte völlig nieder.
In Krefeld wurde ein 47jähriger Türke von einem angetrunkenen 30jährigen Deutschen auf offener Straße niedergestochen — vor den Augen zahlreicher Passanten. Das Opfer schwebt immer noch in akuter Lebensgefahr. Nach Angaben der Polizei sahen die Passanten tatenlos zu, während der einschlägig vorbestrafte Täter pausenlos auf sein Opfer einstach. Selbst als der bereits schwer verletzte Türke in der Fußgängerzone zu flüchten versuchte, hat ihm niemand der Schaulusigen geholfen. In Amminkeln bei Wesel wurden vier Asylbewerber bei einem Angriff auf ihre Unterkunft verletzt. Unbekannte Täter hatten mit einem Stein die Fensterscheibe eingeworfen und von außen mehrere Schüsse mit einer Gaspistole in den Schlafraum der vier Männer abgefeuert. Aus aus Bremen, Issum (Niederrhein), Karlsruhe, Pforzheim wurden Zwischenfälle gemeldet.
In Ostdeutschland wurde der schwerste Zwischenfall aus Rügen gemeldet. Eine Holzbaracke, in der 21 Asylbewerber verschiedener Nationalitäten untergebracht waren, ist in Bergen auf Rügen in der Nacht auf Donnerstag von mehr als 30 teilweise vermummten Jugendlichen angegriffen und in Brand gesteckt worden. Zwei Bewohner wurden dabei leicht verletzt. Die anderen wurden sofort nach Rostock evakuiert. Zwei der Täter, 16 und 19 Jahre alt, wurden von der Polizei festgenommen. Die Täter hatten Benzin ausgeschütten und in Brand gesetzt. Zuvor hatten die Jugendlichen zwei Streifenwagen der Polizei mit Steinen angegriffen. Trotz dieser Vorwarnung war die Polizei nicht in der Lage, den überfall zu verhindern.
Auch in Rostock waren die Flüchtlinge aus Bergen nicht sicher. Dort griffen rund 150 Jugendliche im Stadtteil Schmarl ein Ausländerwohnheim an, in dem vorwiegend rumänische Arbeiter leben. Brandflaschen, Brandfackeln, Steine flogen gegen das Haus. Drei Autos gingen dabei zu Bruch. Zehn Personen wurden vorläufig festgenommen. Dasselbe Wohnheim war bereits am Dienstag von 40 Jugendlichen angegriffen worden. Trotzdem blieb die Polizei passiv und behauptete, eine durchgehende Bewachung des Hauses sei nicht möglich. Auch aus dem Ostseebad Kühlungsborn wurde ein Angriff auf ein Asybewerberheim gemeldet. In Luckenwalde gingen die Scheiben eines Asylbewerberheims unter einem Steinhagel von 30 Randalierern zu Bruch. Die Politiker reagierten auf die Haßwelle mit Appellen. Bundeskanzler Kohl vor dem Kabinett: Jeder Angriff auf einen Ausländer sei „ein Angriff auf unseren Rechtsstaat“. Regierungssprecher Vogel nannte die Anschläge „zutiefst inhuman“ und eine Schande. Sie würden aber nicht die Tatsache beeinträchtigen, daß Deutschland ein ausländerfreundliches Land sei und bleiben wolle.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker warb in seiner Ansprache zum Tag der Einheit um ein mitmenschliches Miteinander zwischen Deutschen und Ausländern. Ausländer seien Menschehn wie Deutsche, ihre Würde zu achten sein Menschenpflicht. Die Jungsozialisten riefen zu einer Demonstration gegen Ausländerfeidnlichkeit in Leipzig auf. Auf der Kundgebung wird Oskar Lafontaine sprechen. Bundesarbeitsminister Blüm besuchte am Mittwoch ein Asylbewerberheim in Bad Honnef, das Anfang der Woche Ziel eines Anschlags war. Auch der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe hat sich gestern vor Ort bei zwei Wohnheimen in Cottbus eingefunden, um sich schützend vor die Angegriffenen zu stellen. In einem der Heime, auf das am Wochenende ein Anschlag verübt worden war, wurde er von den Bewohnern mit ofenwarmem Brot empfangen. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel hat am Rande der Feierlichkeiten zum Tag der Einheit zwei Wohnschiffe für Asylbewerber im Hamburger Hafen besucht. marke
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