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Ausbruch aus der Randgruppennische

■ Von der Farbe des Wahnsinns zur herrschenden Farbe/ Der Durchmarsch der Farbe Lila von der Frauenbewegung und den Alternativen bis hinein in alle Bereiche von Freizeit und Kommerz/ Die Macht, die als Selbstzwang am perfidesten wirkt

Unmerklich sehr allmählich verändern sich die Dinge. Langsam fast hinterhältig, um die Gewohnheit nicht aufzuschrecken, mutieren sie im Schutz der alten Farben. Wenn die Veränderungen eine bestimmte Grenze überschritten haben, bemerkt man manchmal, daß sich unter der schützenden Oberfläche des Alten ganz neue Gewohnheiten und Ansichten gebildet haben. Lila und Pink haben ihren Weg durch die Institutionen längst vollendet.

Im Freizeitbereich sind es vor allem lila und pinkfarbene Freizeitanzüge, Surfbretter und Rucksäcke, bei der Kleidung vor allem Jackets und Samthemden, die recht genau die Farbe der weichen weiten Schlappernickies der Siebziger wiederholen. Lila und ein bißchen Pink leuchten Berliner Häuser, Autos, Pflanzen, Fahrräder und ungefähr ein Drittel der Werbeanzeigen metropolischer Hauptstadt-Stadtmagazine. Man blickt um sich, alles ist Lila und Pink und keiner will's gewesen sein.

»Alle Nuancen der Violett- und Rotreihe« seien »topaktuell« berichten Sofamacher in der »Berliner Zeitung«; von zartem Rosenholz, Klatschmohn, Sommerveilchen bis zu Flieder, Brombeere und Aubergine. Während die Pink- und auch die Weinrotvariationen der Modemacher Bezug nehmen auf die meist alternativ gefärbten Nickies der siebziger Jahre, erinnern die Lilatöne an Frauenbewegtes.

»Es ist das Verfemte, was an dieser Farbe klebt« und deshalb sei sie wohl von Feministinnen übernommen worden, erklärt eine Soziologin. Man solle allerdings nicht von Lila, sondern von Purpur sprechen. Denn Purpur ist die Farbe des Blutes, die Farbe des Lebens. Purpur schmückt sich die Macht mit der Farbe des Bluts ihrer Opfer. Purpur führt die katholische Kirche die ältere Tradition fort; an Jesu Blut gemahnt das Purpur ihrer Würdenträger. Purpur glänzen die Genitalien; Purpur war lange die ungesund diffuse Farbe des Wahnsinns, Rausches, Taumels, der Ekstase, der heiligen Krankheit-der Epilepsie.

Im Bürgertum war die Farbe verfemt, drang aber dann über marginalisierte Gruppen, alternativ oder feministisch, in die Gesellschaft ein. In den achtziger Jahren dann führte sie ein entschiedenes Randgruppendasein — lila Latzhosen wurden verspottet, während das eindeutige Schwarz dominierte.

Um dann die neue Lebenslust an der arbeitsfreien Zeit nach außen hin zu demonstrieren, kehrte Violett zurück. Außerdem guckt man es ja auch »einfach gerne an. Man bekommt es nicht über«, sagt der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Hans- Christian Ströbele, unter dessen selbstgestricktem lila Pullover gar auch noch ein lila Hemd hervorlugte.

Der Durchmarsch von Violett und Pink begann zunächst im Freizeitbereich. »Lila Pausen«, Rucksäcke und Jogginganzüge waren hierbei die Avantgarde der neuen Farbbewegung, Surfbretter, Skateborads, Rollerskates, knitternde Freizeitanzüge und ein paar Fahrräder sollten folgen. Dem Freizeitghetto der Farbe entspricht jedoch der Versuch, ihre Ambivalenz zu tilgen.

Mag im Layout vieler Pornohefte zum Beispiel das Violett noch dominieren, sind die natürlichen Purpurtöne der Genitalien bei den Sexphotos im Innern meist getilgt, wird aus den Pornoecken berichtet. Die verfemte Farbe wird domestiziert und die zu beobachtende Pornografisierung des bundesdeutschen Alltags geht einher mit dem Ausschluß des Obszönen.

Wo das Obszöne verschwindet, regiert das Infantile. Die Latzhosen und Halstuchwindeln der 70er Jahre jedenfalls, schienen auf eine Regression unter dem lila Deckmantel vorgeblicher Befreiung zu deuten. Auf teueren Stoffen scheint die Lila-Rot- Reihe Macht demonstrieren zu wollen; ob man sie hat oder sich wünscht oder sie nur repräsentiert. Öffentlich-rechtliche Repräsentanten jedweder Couleur betonen ihre Wichtigkeit in Jackets und Kostümen, dezent purpur oder pink den Blick auf sich saugen. Lila-Rot ist auch das Logo der eher peinlichen Kulturtalkshow »Alex«.

In den Zweiturlaub fährt man mit pink leuchtenden »Prima-Klima- Reise«-Bussen; Pink gibt sich das Palast-Kino am Kudamm, hoch hinaus wollen »lila Stars« und nächtigen unter dem rosaroten Schriftzug des »Palace Hotels«. Pink wirbt der Verband der deutschen Außenwerbung für sich, auf lila Grund versucht die »Telecom« neue Kunden zu gewinnen.

Die nur etwas abgedunkelte ehemalige Schwulenfarbe scheint im Übrigen die vornehmere und teuere Version der Lilaschattierungen zu sein; Lokale, Konzerte, Kunstveranstaltungen, die sich von »West« (Sonnenschirme: Lila), Peter Stuyvesant (»Come together« zuweilen auf lila Grund) oder »Philipp Morris« sponsorn lassen, gelten wie das Disco- UV-Licht dagegen als etwas aufsteigermäßig.

Mit Freizeitanzügen — bevorzugter Ort der Farbe Lila —, in denen zuweilen ganze Urlauberfamilien lustig durch ihre Ferien schlendern, mögen »Zeit«-Leser nichts zu tun haben, lila Pausen werden abgelehnt. Immer noch geschätzt dagegen wird die »Sportswear« von ADIDAS, PUMA und Nike, deren Schriftzug bei Hertie auf Pinkgrund erscheint.

Als herrschende Farben sind Lila und Pink die Farben der Herrschaft. (Danach wandern sie in die Altkleidersammlungen und im nächsten Jahr werden Asylanten und Obdachlose Pink und Lila gefärbt durch die Gegend rennen). Hassenswert bestimmen sie das bundesdeutsche Geschehen. Plötzlich bemerkt man jedoch, daß einen die Herrschaftsfarben längst in der eigenen Wohnung eingeholt haben.

Das Futteral der Kameratasche und das Kissen auf dem Sofa sind weinrot, die Hanteln in der Ecke des Zimmers sind pink. Und die Farbe der Suhrkamp-Taschenbuch-Ausgabe des Foucault-Werks wiederholt eigentlich die These des französischen Historikers, daß nämlich die Macht als Selbstzwang am perfidesten wirkt.

Detlev Kuhlbrodt

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