: Laboratio Berlin in Sao Paolo
■ oder Wenn der Berliner DAAD-Chef auf Reisen geht
Vom Penthouse eines reichen Kaufmanns, Sammler präkolumbianischer Kunst, geht der Blick hinunter auf Favelas, von den Bauarbeitern gezimmert, die den 20stöckigen Edelwohnsilo errichteten, auf einen Friedhof, in dem senkrecht begraben wird (aus Platzmangel, wie man mich belehrt), und auf die immense Skyline, ein kristallin geschachteltes, weißgraues Spielzeug, gesetzt auf die ganze Länge des Horizonts.
Am Ende eines üppigen Mahls für deutsche Künstler und ihren Anhang wird dem Gastgeber die Rechnung präsentiert. Er fummelt an der Brust unter dem Hemd, in den Socken, in den Schuhen. Aus allen diesen Orten zerrt er Geldscheine hervor. Die Angst vor den »pickpockets« ist hier groß.
In einer Galerie: Ein Dutzend Bilder, anthrazitgrau oder grün, mit roten, manchmal goldenen Emblemen. Ein Motiv kehrt neben den anderen einfachen Formen immer wieder: zwei gekreuzte Hämmer, die der Maler Antonio Dias während eines einjährigen Aufenthalts in Berlin 1990 auf Kohlebriketts entdeckte. In Berlin sind alle ausgestellten Bilder entstanden. Die Vernisage ist gut besucht. Elegante Machos, Damen mit Décolletés, die an Fruchtpressen denken lassen. Die Ausstellung hat Erfolg, viele Presseartikel sind schon zur Eröffnung erschienen. Sie heißt, nach einem Vorschlag des Künstlers, Laboratorio Berlin.
Wir sind in Sao Paolo, dieser Lokomotive, die 28 Waggons zieht« (womit die 28 brasilianischen Provinzen gemeint sind). Was hat diese extreme Megapolis — 12 bis 18 Millionen Einwohner je nach Ziehung des Radius — mit Berlin gemeinsam? So gut wie nichts, außer den schwarzen Brandmauern der Wolkenkratzer, die sich im Regen — Anfang Oktober beginnt in Sao Paolo der Winter — in unfaßbar trübe, schwarze, melancholische Landschaften verwandeln? Außer den Graffiti? Doch auch die sind anders. Als würden unsere Bildbanausen auf schlechte Bilder setzen und die hiesigen Analphabeten auf eine krakelig- dünne, ungemein poetische Schrift.
Wen interessiert in Sao Paolo eigentlich »Kultur«? Die Reichen, die happy few, einige missionarische Eiferer? Aber manche Veranstaltung, wie die soeben eröffnete Biennale, ist an den Wochenenden so überfüllt, daß Kultur und Volksspektakel fast schon zusammenfallen. Die Biennale von Sao Paolo ist neben Venedig und Sidney die dritte große Kunstbiennale dieser Welt. Der offizielle deutsche Beitrag: Horst Antes und A.R. Penck, zwei Berliner. Penck ist nicht gekommen, aber Horst Antes hat in einem dreigliedrigen Bau innerhalb der gewaltigen Oscar-Niemeyer-Halle am Parque Ibirapuera seinen Beitrag atemberaubend schön selbst inszeniert. Strenge, dunkle, meditative Bilder, die ihr Geheimnis nicht verraten wollen, unterbrochen von einem lichten Raum mit vier goldenen »Votiven« in seiner Mitte.
Die Brasilianer, vielleicht weil sie so überschwenglich sind, so weich, so theatralisch, lieben diese Bilder von unbegehbaren Häusern, von schwarzen Berliner Fenstern, in die wir Kreuze und Krieg und Stille lesen können. Neben Horst Antes hat ein junger Österreicher, Lois Weinberger, eine sensible und gebrechliche Installation aus Plastikteilen und alten Papiertüten aufgebaut. Es scheint mir, diese Tüten betrachtend, als fließe die DDR jetzt durch Wien. Aber das denke wohl nur ich in den Besucherströmen, in einer Stadt, die ein Laboratorium iste von ganz anderer Art. Die psychischen Gefälle, die sozialen Gegensätze, die wirtschaftlichen Regelwidrigkeiten lassen sich nicht in einer Generation lösen, meint Ignacio Loyola de Brandao, auf die bei uns geführte Diskussion anspielend, auch nicht in zwei Generationen, in keiner. Sein in Berlin geschriebenes Buch Das Grün vergewaltigt die Mauer, in 17 Auflagen und über 150.000 Exemplaren erschienen, ist nicht mehr up to date. Zu gerne möchte er wieder nach Berlin, um einen Anhang zu schreiben »über die neuen, nicht allzugroßen Probleme der Deutschen«. Joachim Sartorius
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