PRESS-SCHLAG
: Auf den Magen geschlagen

■ Nach dem Viertelfinale mußte Steffi Graf erstmal brechen

Diesmal soll es einfach klappen, scheinen einheimische Presse und Organisatoren wild entschlossen: Der Damen-Grand-Prix in Leipzig, bei der Premiere 1990 wegen hemmungsloser Vermarktung und horrenden Eintrittspreisen ein Flop, muß ein Hit werden. Um jeden Preis, selbst den des Verlusts. „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt“, zeigt der eifrige Turnierdirektor Ivan Radosevic Demut. Tatsächlich sind die Karten spottbillig: Ab fünf Mark öffnen sich noch bis zum Sonntag die Türen zur heiligen Messehalle, der teuerste Platz kostet zwanzig Mark, gratis dazu eine gesponserte Jubelausgabe der 'Neuen Zeit‘ namens 'Turnier-Kurier‘.

Ein Lockangebot für die Leipziger, denen jedoch auch in diesem Jahr die Angst vor Arbeitslosigkeit noch näher geht als die Tennis- Weltrangliste. So verliefen sich in den ersten Tagen nur wenige Tennisfans in die Halle sieben. Vielleicht auch, weil nirgendwo Plakate oder Wegweiser aushängen. Fragt man Passanten, wo denn das Tennisturnier stattfindet, erntet man ratlose Blicke. Tennis in Leipzig? Kein Thema. Warum auch?

Im Mikrokosmos des Centre Courts hingegen verkündet Geschäftsmann Radosevic zwischen Champagnerstand und Kunstgalerie: „Wir sind im internationalen Turniergeschehen fest etabliert.“ Als Beweis dafür fährt er drei Top- Ten-Spielerinnen auf: Steffi Graf, die als Schirmfrau den Grand-Prix unterstützt, Arantxa Sanchez-Vicario (5) und Jana Novotna (9). Und für nächstes Jahr verspricht Radosevic gar Monica Seles.

So lange jedoch ist Steffi Graf die Zugnummer. Letztes Jahr wegen ihrer Unnahbarkeit aufs heftigste gescholten, schreibt das Protokoll diesmal mehr Volksnähe vor. Weniger Bodyguards schirmen die Gräfin ab, sie findet „alles sehr nett hier“, freut sich natürlich, mit Kindern Tennis zu spielen, weiht ein „Steffi-Graf-Nachwuchszentrum“ ein, das von ihrer gespendeten Siegprämie 1990 errichtet wurde. Zudem scheint ihr das Volk gelassener als letztes Jahr, und besonders schön ist, daß nicht mehr so viele Trabis auf dem Hotelparkplatz stehen. Ein eindeutiges Indiz für Wohlstand.

Bei so viel Anteilnahme an ihrem Schicksal hatten die Leipziger ein Einsehen. Als die Graf am Tag der deutschen Einheit im Viertelfinale gegen Judith Wiesner antrat, waren die Tribünen fast voll. Was zugegebenermaßen nicht ganz so schwierig war, denn die Sitzplatzkapazität war in weiser Voraussicht von 7.500 auf 5.500 heruntergeschraubt worden, um werbewertmindernde Leere zu vermeiden.

So lobte Frau Graf nach ihrer 6:1, 7:6-Vorstellung die „Super- Kulisse“, vor der zu spielen „unheimlich Spaß macht“. Der erste Satz war tatsächlich ein Spaß für die Gräfin. Sie jagte Judith Wiesner, die Nummer 16 der Welt, fröhlich hin und her und ließ die Vorhand peitschen. Doch im zweiten Satz kam der Einbruch. Judith Wiesner machte Druck, es gelangen ihr zwei Breaks gegen Graf, doch bei Satzende entschied der Tiebreak für die Weltranglisten-Zweite, die nochmals alle Konzentration sammelte, um nicht in den dritten Durchgang zu müssen. Eigentlich nicht ungewöhnlich für die Hastige aus Brühl. Eigentümlich nur, das sie so stark in die Bredouille kam.

Bei der Pressekonferenz schließlich verstärkte sich der Eindruck, daß irgend etwas nicht stimmt. Steffi fühlte sich nicht. Sie soll sich gar übergeben haben. Mit bleichem Gesicht saß sie auf dem Stuhl und sah aus wie das Leiden Christi. Wortkarg entrann sie den Journalisten und begab sich angeblich in das Leipziger Krankenhaus. Doch Tag der Deutschen Einheit hin oder her, so weit reicht das Vertrauen nun doch nicht. Steffi ließ sich und ihren kranken Magen sogleich nach Heidelberg fliegen. „Magenverstimmung“, lautet die offizielle Diagnose.

Außerdem habe sie Handprobleme, behauptet Vater Graf. Steffi dementierte. Hochgradig verdächtig. Schon kocht die Gerüchteküche. Warum widersprechen sie sich? Was soll uns verborgen bleiben? Was hat Steffi wirklich? Warum muß sie brechen? Düster entsinnt man sich der Beschuldigungen, die die britische Yellow- Press bei der unschlüssigen Wimbledon-Absage der Monica Seles hervorbrachte. Suchende Blicken gleiten über Steffi Grafs Körper. Komisch. Sie ist dünner geworden. Ganze 59 Kilo verteilen sich auf 1,75. Das könnte eine Täuschung sein, argwöhnen die ersten 8-Zeilen-Schreiber. Oder Kummer. Liebeskummer? Oder Familienzwist. Oder irgendwas. Nur eins darf es auf keinen Fall sein: eine Magenverstimmung. miß