: Die Eroberung einer Länderwertung
Der australische Gewichtheber-Verband überlistete die Heberwelt und köderte bulgarisch-rumänische Topathleten ■ Von der Hantel Hagen Boßdorf
Donaueschingen (taz) — Erfolge australischer Gewichtheber waren in der Vergangenheit noch seltener als Triumphe deutscher Hantelfreunde. Nur der superschwere Dean Lukin wurde 1984 in Los Angeles Olympiasieger in dieser Sportart, und sein Dank galt wohl heimlich den sozialistischen Muskelbergen, die boykottgeschädigt nicht zum olympischen Wettbewerb erscheinen durften. Ansonsten wuschen sich Australiens Heber längst die Kreide von den Pranken, wenn auf der Bühne über Siege und Rekorde entschieden wurde.
Das wird sich ändern, denn das „Land der Känguruhs“ setzt zum Sprung an die Spitze der gewichthebenden Länderwertung an. Mit Stefan Botew, Kiril Kunew und Sewdalin Marinow trainieren inzwischen in Melbourne drei Bulgaren, die gemeinsam mit ihrem rumänischen Trainingspartner Nicu Vlad bei Olympischen Spielen, Welt- und Juniorenweltmeisterschaften sagenhafte 31 Goldmedaillen sammelten. Vor anderthalb Jahren verrieten sie dem australischen Weightlifter-Verband per Brief ihre heimlichen Träume vom Stemmen in Australien. Als die Helden der Hantel im März 1991 zu einer internationalen Heberei in Melbourne erschienen, verließen sie ihre Teams. „Wir waren froh, daß wir ihnen helfen konnten“, erzählt der Manager des Gewichtheberverbandes, Michael Noonan, „aber ihr Kommen ist für unsere Sportart in Australien natürlich hervorragend.“
Die „Aussies“ verschafften den schwerathletischen Einwanderern Trainingsmöglichkeiten, und sportartspezifische Jobs als Packer in einem Supermarkt. Die vier Superstars trainieren im Victorian Institute of Sports von Melbourne, dem größten Weightlifter-Club des Landes, der ohnehin den Großteil der Nationalmannschaft beherbergt. Der fünffache Weltmeister Blagoj Blagojew aus Bulgarien ist zusätzlich als Trainer auf den fünften Kontinent gekommen, „aber ich bin der Cheftrainer“, unterstreicht der kleingewachsene Paul Coffa energisch. Er ist nun damit beschäftigt, die bürokratischen Gewichte zu bewältigen.
„Wir hoffen, daß alle vier bei den Olympischen Spielen in Barcelona für Australien starten dürfen“, träumt Coffa vom Medaillensegen. Die Sperrfrist des Internationalen Gewichtheberverbandes IWF ist am 31. März 1992 nach einem Jahr abgelaufen. Das IOC sieht für Grenzüberschreitungen zwar eine dreijährige Sperre vor, erlaubt aber einen Start, wenn sich die nationalen Verbände „freundschaftlich“ geeinigt haben. Das ist bisher nicht der Fall, auch die Rumänen träumen noch von einem Olympiasieg Nicu Vlads für das Balkanland.
„Die wollen alle nicht mehr zurück“, erteilt ihnen Sam Coffa als Bruder des Nationaltrainers und Verbandspräsident eine Abfuhr. Und der Headcoach verrät bedeutungsschwer: „Wir haben in der letzten Nacht zusammengesessen, es ist eine sehr delikate Angelegenheit, wissen Sie.“ Auf die Frage, ob ein Olympiastart der Olympiasieger nun Hoffnung oder Fakt sei, antwortet Coffa: „Was ist schon Fakt im Leben?“
Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1992 ist für die Australier nur die Zwischenstation zur Weltmeisterschaft 1993. Sie wird in Melbourne in der Royal Exhibition Hall statffinden, die 1911 von Gewichthebern eröffnet und 1956 olympisch veredelt wurde. „Es werden die Weltmeisterschaften des Jahrhunderts“, verspricht Präsident Sam Coffa. Man rechnet mit 80 bis 100 teilnehmenden Ländern, weil durch die günstigere Anreise vieler ozeanischer und asiatischer Staaten 30 Nationen mehr als dieser Tage in Donaueschingen an den Start gehen würden. Nach dem Weltcup 1986, dem Superschwer-Weltcup 1988 und den Ozeanspielen 1990 putzen die Australier schon wieder die Hanteln für eine große Meisterschaft.
Damit wollen die Funktionäre die Popularität ihrer Sportart noch mehr in die Höhe heben. Heute gibt es in Australien rund 3.000 Heberinnen und Heber, vor zehn Jahren waren es nur 500. Damals rief Sam Coffa einen Wettbewerb für Schulkinder ins Leben, an dem sich 1979 510 Kinder beteiligten. In diesem Jahr versuchten sich bereits 50.000 Kinder im Stoßen.
Davon angelockt kam auch Marcus Stephen nach Melbourne, der einzige Spitzensportler der Insel Nauru. Das sportive Aushängeschild der 7.000-Seelen-Insel wurde in Donaueschingen sogar Sieger der B-Gruppe in der 60-Kilogramm- Klasse. Er trainiert im Victorian Institute gemeinsam mit den europäischen Weltstars und mit Gary Wallwork. Dieser ist der stärkste Mann von West-Samoa, der Sohn des IOC- Mitglieds Paul Wallwork und bereitet sich auf seinen kräftigen Höhepunkt vor: die südozeanischen Sportspiele. Es wächst also nicht nur die Basis für das Gewichtheberland Australien, es gibt auch Stars und Typen, die medaillensammelnd für die Plackerei werben wollen. Ein Land erobert eine Sportart.
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