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Die Wahrheit liegt im Müll

■ Fünf Jahre lang war die Suche vergeblich: In der Hamburger Lobbyzentrale der deutschen Tropenholzfäller gab es ein riesiges Leck. Interne Papier tauchten umgehend bei den ökologischen Widersachern, den Regenwaldschützern, wieder auf. Eine Posse über Sorglosigkeit und deutsches Lobbywesen.VON GERD ROSENKRANZ

Tiefes Mißtrauen bestimmte die Gemütslage der Belegschaft im Hamburger Büro der Tropenholzimporteure, Heimhuder Straße Nummer 22. Man hatte sich daran gewöhnt, dem Schreibtischnachbarn das Schlimmste zuzutrauen — den Hochverrat (an) der gemeinsamen Sache. Wann immer der hauptamtliche Tropenholz-Lobbyist Hartmut Schulze- Riewald oder sein Stellvertreter Klaus Schwarz den Sekretärinnen eine vertrauliche Aktennotiz, einen Brief oder ein Sitzungsprotokoll in die Maschine diktierten, sie mußten mit dem Gedanken leben, daß der Inhalt wie von Geisterhand und ohne erkennbare Verzögerung bei der Konkurrenz landete. Fünf Jahre ging das so. Heute steht fest: Verrat war nicht im Spiel, sondern schlichte Dummheit.

Die stets bestens informierte Konkurrenz residiert kaum tausend Meter entfernt im Pöseldorfer Weg Nummer 17, einen Steinwurf weit von der Hamburger Außenalster, und trägt den Namen Reinhard Behrend. Der rührige Soziologe, der den Besucher inmitten eines unübersehbaren Aktenfundus empfängt, ist hauptamtlicher Tropenwald-Schützer. 1986 gründete er praktisch im Alleingang den Verein „Rettet den Regenwald“. Inzwischen ist die kleine Gruppe mit dem stattlichen Förderkreis für die deutschen Holzimporteure das, was man gemeinhin als rotes Tuch bezeichnet. Daß sein Domizil im selben Hamburger Nobelquartier beheimatet ist, wie die Lobbyzentrale des Vereins Deutscher Holzeinfuhrhäuser (VDH), nennt Behrend „eine freundliche Fügung des Schicksals“. In der Tat: nicht zuletzt diesem Umstand verdankt die Öffentlichkeit selten intime Einblicke in die Niederungen des gemeinen Industrielobbyismus.

Wie jeder Wirtschaftsdachverband hält es auch die Propagandazentrale der bundesdeutschen Holzimporteure mit der Tradition. Am 22. Februar — der Krieg am Golf hatte den festlichen Ball am Abend, nicht aber Cocktail und Festbankett verhagelt — gab es beim VDH Anlaß zum feiern: Er wurde 75. Und nutzte diesen Umstand zur Präsentation seiner segensreichen Tätigkeit über ein Dreiviertel Jahrhundert. Zuvor jedoch mußten jene Herren ausgewählt werden, die dann im Hamburger „Hotel Atlantic“ die Glück- und Segenswünsche überbringen durften. Die Auswahl geschah mit Bedacht — und im Pöseldorfer Weg 17 wußte Waldschützer Behrend danach noch besser, wo die wahren Freunde der Holzfäller herkommen.

Die wahren Freunde aus der Politik

Zum Beispiel Wilhelm Rahlfs (FDP), zu Jahresbeginn noch Wirtschaftssenator der Hansestadt, der per Aktenvermerk als „wirtschaftsfreundlichen Partner“ vermerkt ist und zudem die „Möglichkeit hat, wirtschaftsfreundliche Ideen im Bundesrat in die Diskussion zu bringen“. Auch mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) im fernen Bonn verbinden den VDH „besonders enge Kontakte“, weshalb auch ein hoher Beamter aus dem Hause Möllemann bei der Jubelfeier nicht fehlen durfte. Denn, notierte vielsagend Schulze-Riewald: „Es ist wichtig zu wissen, daß der VDH sich im Ernstfall auf die Hilfe aus dem BMWi verlassen kann, wie die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben.“ Auch Ministerialdirigent Dr. Paul Breloh, seines Zeichens Leiter der Abteilung Forst- und Holzwirtschaft im Bundeslandwirtschaftsministerium (BML), hatte in Hamburg Gelegenheit, die Crème der bundesdeutschen Tropenholzfäller mit einer Festrede zu erfreuen. Für die Holzhändler notierte Schulze-Riewald, sei es „äußerst wichtig, daß im BML marktwirtschaftlich gedacht wird“. Und „in dieser Hinsicht“, habe sich Brelohs Abteilung stets als „vorbildlich“ erwiesen. Dem „wirtschaftsfreundlichen“ Herrn Senator Rahlfs dankten die Holzhändler später in aller Form dafür, daß er nach dem Festakt umgehend „die Frage der Beeinträchtigung der Verwendung von Tropenholz durch die hamburgischen Behörden aufgreifen“ wollte. Pech nur, daß die WählerInnen den Tropenholzfreund Rahlfs schon wenige Wochen später in die Wüste schickten. Der Senatsstreit ums Tropenholz fiel somit ins Wasser.

Das interne Leck aber blieb. Mit viel Genuß entzifferte Behrend im Dachstock des Pöseldorfer Wegs 17, wie die Lobbyisten über die „existenzgefährdende Kampagne der Umweltschutzorganisationen“ gegen die internationalen Holzhändler lamentierten. „Gerade den Tropenholzimporteuren bläst der Wind seit einiger Zeit scharf ins Gesicht“, schlägt Protokollant Schulze-Riewald nach der Jahresmitgliederversammlung der VDH-Fachabteilung „Einfuhr von Überseehölzern und Furnieren“ im Mai 1991 Alarm. Zwar hätte die „breite PR-Kampagne“ des VDH, in deren Verlauf Werbebroschüren für den Tropenholzimport in siebenstelliger Auflage unters Volk gebracht wurden, „zur Versachlichung der Tropenwalddiskussion“ beigetragen. Die Öffentlichkeit werde jedoch weiter mit „einer Vielzahl emotionaler, einseitiger und sachlich falscher Publikationen überschüttet“, die Medien übernähmen die Argumentation der Umweltschützer „kritiklos und zum Nulltarif“, und „zahlreiche Politiker nutzen die Gelegenheit, um sich publikumswirksam für einen Verzicht auf Tropenholz auszusprechen, der sie nichts kostet“.

Die Antiholzstimmung droht

Des einen Leid des andern Freud: Während die Regenwaldschützer sich ihrer erfolgreichen Aufklärungsarbeit rühmen können, schockieren immer neue Boykottbeschlüsse gegen Tropenholz in Großstädten und ungezählten Gemeinden die holzimportierenden Frustbeutel. 1990 ging die Einfuhr von tropischem Schnittholz bereits um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Wenn der Trend anhält, scheint der Tag nicht mehr fern, an dem die Holzhändler auf ihren schönen Stämmen, Brettern und Eierbechern aus Mahagoni, Palisander, Ramin oder Meranti hocken bleiben. Was Wunder also, daß das Lamento der Tropenholzimporteure immer aufgeregter klang. Zum Beispiel in den Bettelbriefen, mit denen der VDH die Solidargemeinschaft der Holzwirtschaft gegen die Ökokampagne zu den Fahnen rief. „Der wichtigste Grund für Ihre Teilnahme“ an der „Massivholz- Werbekampagne“, dräute Schwarz am 20. Juni in einem Mahnschreiben an das Oberbayrische Holzwerk in Lauterbach, „ist eine Abwehr der pseudoökologischen, aber immer stärker werdenden Antiholzstimmung, die sich bald nicht nur auf Tropenholz beschränken wird, wenn wir nichts unternehmen“.

Ob von der „lieben Daniela“ in Remscheid oder der philippinischenRegierung in Manila: Wann immer den Herren in der Heimhuder Straße „Mißverständnisse“ über den für alle Seiten nützlichen Tropenwaldkahlschlag zu Ohren kommen, wird freundlich interveniert. Wichtigste Zielgruppe bleibt — wenig überraschend — die Kaste der Politiker. Wer als zugänglich und einflußreich gilt, kommt in den Verteiler, auch wenn er vornehmlich jenseits der Grenzen agiert. So witterten Schulze-Riewald und Co. Morgenluft, als EG-Kommissar Martin Bangemann im April vor dem 16. Deutschen Holzhandelstag ein kämpferisches Bekenntnis gegen Tropenholzboykott und administrative Eingriffe in den Markt ablegte. Wenige Wochen später erinnerten die VDH-Aktivisten den schwergewichtigen FDP- Politiker und früheren Wirtschaftsminister in einem vertraulichen Schreiben (das, müßig zu erwähnen, seinen Weg auch auf Behrends Schreibtisch fand) daran, daß „in der EG-Kommission und insbesondere im Europäischen Parlament Papiere und Vorstellungen kursieren, die in erheblichem Gegensatz zu Ihren Äußerungen stehen“. Darin werde „bemerkenswert großzügig mit ökologisch begründeten Vorschlägen über administrative Eingriffe in den internationalen Tropenholzhandel umgegangen“. Bangemann möge sich doch bitte in Bewegung setzen und seinen „Einfluß geltend machen, daß derartigen Überlegungen von vornherein Grenzen gesetzt werden“.

Ob der VDH beim damaligen Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ und heutigen Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Bernd Schmidhuber (CDU), erfolgreich antichambrierte, geht aus den transferierten Unterlagen nicht zweifelsfrei hervor. Fest steht: Nach einem Hearing der Enquete- Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ in Bonn telexte Schulze-Riewald an den führenden Tropenholzhändler und -funktionär Hinrich Lüder Stoll, er sei mit dem Verlauf der Anhörung „ganz zufrieden“. Allerdings habe ihn „entsetzt“, daß die „CDU/CSU im Entwurf ihrer neuesten Leitlinien vorgesehen habe, ein Einfuhrverbot von Tropenholz aus Primärwäldern anzustreben“. Doch der Adrenalinpegel des VDH-Geschäftsführers pendelte rasch zurück: Schmidbauer habe ihm umgehend und ausdrücklich versichert, „daß diese Passage gestrichen werde“. Daraufhin lud Schulze-Riewald den CDU-Politiker ein, sich auf Kosten der Holzimporteure im afrikanischen Tropenwald direkt anzuschauen, wie die Urwaldriesen im Einklang mit der Natur umgelegt werden. „Herr Schmidbauer zeigte sich sehr interessiert“, notierte Schulze-Riewald, „und ließ erkennen, daß er in der Pfingstzeit eine entsprechende Reise kurzfristig durchführen könne“.

Nicht eben häufig kann die Lobbyzentrale der Holzimporteure die praktischen Erfolge ihrer aufopferungsvollen Bemühungen ganz konkret in Händen halten. Als beispielsweise vor zwei Jahren die überarbeitete Fassung einer Publikation des Berliner Umweltbundesamtes (UBA) in der Heimhuder Straße eintraf, müssen dort die Sektkorken geknallt haben. Im Handbuch Umweltfreundliche Beschaffung, gedacht als Ratgeber für die öffentlichen Verwaltungen in Bund, Ländern und Gemeinden, findet der VDH im Abschnitt Tropenhölzer lobende Erwähnung, ganz so, als handele es sich um einen Verein zum Schutz des Regenwaldes. Der VDH sehe „bereits seit einiger Zeit die ökologischen Probleme der fortschreitenden Tropenwaldzerstörung, zumal hierdurch auch die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Importwirtschaft gefährdet wird“. Nicht ganz zufällig fanden die freundlichen Zeilen ihren Weg in das offizielle Handbuch. Der Autor: Hartmut Schulze-Riewald.

Gleich mehrfach hatte der VDH- Geschäftsführer die Berliner Behörde und mit Nachdruck auch das Bonner Umweltministerium mit „Formulierungshilfen“ ausgestattet. Bei der im Töpfer-Ministerium zuständigen Frau Schusdziarra beispielsweise beschwerte sich Schulze-Riewald am 29. November 1988, zwar habe das UBA „eine Reihe von Anregungen in die zweite Fassung übernommen“, insbesondere Passagen im Abschnitt Vorschläge erschienen jedoch „nach wie vor unglücklich“. Ein Gespräch mit Umweltminister Klaus Töpfer am 2. Dezember 1988 sollte Abhilfe schaffen — und tat es augenscheinlich. „Nach Auffassung der Bundesregierung sind Import- oder Kaufboykott keine geeigneten Maßnahmen zur Beschränkung des Holzeinschlages“, ist nun im Abschnitt Vorschläge zu lesen und weiter im VDH-O-Ton: „Es muß damit gerechnet werden, daß ein erheblicher Rückgang der Importe von Tropenhölzern sich auf den Bestand der Tropenwälder kontraproduktiv auswirkt.“ Der verqueren Logik kurzer Sinn: Je mehr Bäume gefällt werden, desto besser geht es den Wäldern.

Herzzerreißende Szenen

Über derlei punktuelle Erfolge im unermüdlichen Kampf der VDH- Aktivisten um den deutschen Anteil am tropischen Reichtum, ging eine von langer Hand vorbereitete, strategische Aktion weit hinaus. Im Verlauf dieses Lehrstücks zielgerichteter Lobbyarbeit wurde die staatliche „Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft“ (BFH) ausgesprochen wirksam für die Interessen der Holzimporteure eingespannt. Zunächst stiegen die im Tropenholzgeschäft tätigen Holzhändler in großem Stil in die „Gesellschaft der Förderer und Freunde“ der chronisch finanzschwachen BFH ein, weil die offiziöse Anstalt besser geeignet schien, ihre Auslandsaktivitäten der Öffentlichkeit unterzujubeln als die Profiteure des Tropenwaldeinschlags selbst. Die intime Kooperation trug zwei Jahre später Früchte: In einem vom VDH verdeckt mitfinanzierten Arbeitsbericht des BFH- Professors Eberhard Bruenig kommt dieser zum gewünschten Ergebnis: Jedem Verzicht auf Tropenholz wird eine klare Absage erteilt.

Als Umweltschützer Behrend die geheimen Absprachen und Sitzungsprotokolle von vertraulichen Treffen der führenden Herren von BFH und VDH bald darauf in einem Taschenbuch minutiös nachzeichnet, spielen sich in der Heimhuder Straße herzzerreißende Szenen ab. Der Verdacht, die brisanten Unterlagen weitergegeben zu haben, trifft insbesondere die Sekretärinnen. Später bekennt Schulze-Riewald, Tränen seien geflossen, und man habe sich gezwungen gesehen, die Kripo einzuschalten. Geholfen hat es nichts. Im „Regenwälder Zentrum“ bunkerte Behrend weiter Vorgang um Vorgang in seinem umfänglichen Archiv. Doch jetzt, nach fünf Jahren, scheint die Quelle, die so munter sprudelte, versiegt.

Und dann kam die Wende...

Die Wende kam am Abend des 9. Juli, als der Regenwaldaktivist Reinhard Behrend tat, was ihm längst zur lieben, manchmal auch lästigen Gewohnheit geworden war. Er stieg aufs Velo, setzte sich in Richtung Heimhuder Straße in Bewegung, tauchte dort tief hinab in den Papiercontainer des Hauses Nummer 22, um mit geübtem Griff den neuesten Aktivitäten der deutschen Tropenholzimporteure auf den Grund zu gehen. An diesem Dienstag allerdings blieb Behrend nicht allein — und so konnte der vorerst letzte Akt seinen Lauf nehmen.

„Schon während des Einparkens“, gaben die Informanten, ein im Hause der VDH-Geschäftsstelle wohnhaftes Ehepaar, zwei Tage später dem VDH-Mann Klaus Schwarz zu Protokoll, „hätten sie beobachtet, daß ein Mann — zirka um die vierzig Jahre alt, mittelblondes Haar, Metallbrille — an der Müllbox des Hauses hantierte und sich dann tief in die Mülltonne beugte“. Schwarz legte den Zeugen umgehend die Konterfeis „aktiver Mitglieder von verschiedenen Umweltschutzorganisationen“ vor. „Ohne zu zögern, identifizierte die Zeugin R. Behrend vom Regenwälder Zentrum als die Person, die die Mülltonnen ,untersuchte‘“, triumphierte Schwarz — und fixierte die frohe Kunde sogleich in einem Vermerk.

„Sehr sorglos“ habe man jahrelang mit den „Duplikaten der Korrespondenz“ hantiert, bekannte wenig später VDH-Geschäftsführer Schulze-Riewald im taz-Gespräch. So ist es: Die Notiz über den Mann am Müll landete umgehend dort, wo in den letzten fünf Jahren schon reichlich Altpapier gelandet war. Im Papiercontainer!

Buchhinweis: R.Behrend/ W.Paczian, Raubmord am Regenwald, rororo aktuell 12729, 1990.

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