: Hilflose Politiker
■ Bonn verurteilt natürlich die Anschläge, der Rest „ist Ländersache“/ Hilfsorganisationen fordern: „Schluß mit der Asyldebatte!“ und konzertierte Aktionen der Kommunen
Bonn fühlt sich nicht zuständig. Diesen Eindruck vermittelt die Bundesregierung, auch jetzt noch, wo Deutsche hier lebende AusländerInnen immer zahlreicher, immer brutaler angreifen. Natürlich verurteilten alle politischen Kräfte die Anschläge, das müsse man doch nicht jeden Tag von neuem deutlich machen, außerdem sei der Schutz gefährdeter Ausländer vor allem Sache der Länder. So beschied Regierungssprecher Dieter Vogel gestern Bonner JournalistInnen zum Thema.
Zwar stellte er in Aussicht, daß der Bundesgrenzschutz überall dort helfen werde, wo dies „möglich“ sei. Über weitere Initiativen denkt die CDU/CSU/FDP-Regierung, so mußte man Vogel verstehen, jedoch nicht einmal nach.
Und auch der Sprecher des Bonner Innenministeriums hielt sich deutlich zurück: Hinweise auf eine möglicherweise zentrale Steuerung der vornehmlich von Rechtsradikalen ausgeführten Anschläge auf Ausländerwohnheime lägen nicht vor, sagte er knapp. Außerdem war aus seinen Worten zu schließen, daß das Haus Schäuble sich, bisher jedenfalls, nicht bemüht zu erkunden, ob die Übergriffe teilweise von rechtsradikalen Gruppierungen organisiert werden. Ganz deutlich wurde er nur einmal: „Die ganze Sache ist Ländersache.“
Ganz anders sehen das jene, die sich um die Belange der immer stärker bedrohten Asylbewerber und anderen Ausländer hierzulande kümmern. So macht etwa Wolfgang Grenz, Flüchtlingsexperte der deutschen Sektion von amnesty international in Bonn gerade die Bundesregierung mitverantwortlich. Wer wie der Bundeskanzler am Tag der Einheit die Übergriffe zwar verurteile, im gleichen Atemzug aber den angeblichen Mißbrauch des Asylrechts verurteile, „der liefert im Namen der Politik eine billige Rechtfertigung dieser Vorfälle“. Und: Wer die Asyldebatte in einem solchen Zusammenhang führe, „der braucht sich über keinen Angriff auf Ausländer mehr zu wundern.“
Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, fordert darum, mit der Diskussion um das Asylrecht jetzt sofort aufzuhören. Die Diskussion sei nicht nur mitverantwortlich, sondern entscheidend für die Übergriffe, „deshalb legitimiert die Menschenjagd, wer die Asyldebatte jetzt weiter führt.“ In diese Kritik schließt Leuninger die „hier ebenso doppelbödige“ SPD-Opposition und den Bundespräsidenten ein. SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Jochen Vogel hatte gestern ebenfalls die Angriffe auf Ausländer mit der Asylpolitik verknüpft: Daß die Bundesregierung noch immer nicht auf die Vorschläge der Sozialdemokraten zur Verkürzung der Asylverfahren eingehe, „begünstigt das Anwachsen einer emotionalen Überfremdungsangst“. Richard von Weizsäcker hatte sich gestern bei dem Besuch eines Asylbewerberwohnheims in Bochum auf das Allgemeinmenschliche beschränkt: Auch mit ausländischen Mitbürgern sei das Teilen zu lernen. Weizsäcker: „Ich möchte dazu beitragen, daß wir jeden Tag von neuem erfahren, daß Deutsche und Ausländer Mitmenschen sind.“ Er dankte „allen Deutschen, die sich offenherzig gegenüber Ausländern verhalten“. Und: „Jeder Tag gibt uns Gelegenheit, sich den Schwächeren gegenüber als hilfreich zu erweisen.“
„Wachsweich und ohne jede ernst zu nehmende Wirkung“, nennt der Pro-Asyl-Sprecher und Pfarrer Herbert Leuninger solche Worte, wenn der Bundespräsident nicht gleichzeitig eindringlich das sofortige Ende der Asyldebatte fordere.
Daß Einzelpersonen und Organisationen sich bisher vor allem dezentral mit den bedrohten AusländerInnen solidarisiert haben, begrüßt Wolfgang Grenz von amnesty. Solche Aktionen bundesweit zu steuern sei nicht nur sehr schwierig. Gerade in dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung komme es auf Aktionen vor Ort, in den Kommunen etwa, an. Herbert Leuninger stimmt dem zu — fordert allerdings dennoch „konzertierte Aktionen“. So müßten sich die Kommunen zusammenschließen. Weiteten sich die Übergriffe aus, so sei es neben einem umfassenden lokalen Widerstand notwendig, auch auf Bundesebene alle Kräfte zu konzentrieren —„so wie dies die Friedensbewegung in ihren besten Zeiten getan hat“. Ferdos Forudastan, Bonn
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