: Das Ende des »Parzellengeistes«
■ Am Samstag gründete sich der Berliner Landesverband des Bündnis 90/ Teile des Neuen Forums wollen jedoch eigenständig bleiben/ Erste Bewährungsprobe werden die Bezirkswahlen im Mai sein
Berlin. Petra Morawe war sichtlich erleichtert: »Endlich ist der Parzellengeist, dem wir begonnen haben zu frönen, vorbei.« Was die Gründungssprecherin so erfreute: Rund 100 Bürgerbewegte beschlossen am Samstag abend im Berolinasaal des Bezirksamtes Mitte die Bildung eines Berliner Landesverbandes des Bündnis 90. Sie setzten damit einen vorläufigen Schlußpunkt unter die monatelangen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Bürgerbewegung über die weitere politische Arbeit.
Allerdings sind damit noch nicht alle Konflikte ausgestanden, denn Teile des Neuen Forums sind dem Bündnis nicht beigetreten. Die beiden Gruppen »Initiative für Frieden und Menschenrechte« und »Demokratie Jetzt« gehen hingegen voll im Bündnis 90 auf. Bereits vor zwei Wochen hatte sich in Potsdam ein bundesweiter Zusammenschluß der Gruppen konstituiert. Bei der der Gründung vorausgegangen zähen Debatte am Samstag waren nochmals alle Tiefen alternativer Organisationsstruktur ausgelotet worden. Nach kontroverser Diskussion wurde beschlossen, daß nicht die Vollversammlung aller Mitglieder, sondern eine Landesdelegiertenversammlung oberstes Organ des Bündnis sein soll. Für etliche Gründungsmitglieder war dies »ein ganz entscheidender Knackpunkt«, sie fürchteten um die Aufgabe basisdemokratischer Prinzipien. Während man, wie die Grünen in West-Berlin, den Parteivorstand zukünftig Geschäftsführenden Ausschuß nennt, mochte man sich deren Quotierungsbeschlüsse nicht zum Vorbild nehmen. Eine Parität zwischen den Geschlechtern wird nunmehr lediglich »angestrebt«. An diesem Punkt, findet der Abgeordnete des Bündnis 90, Uwe Lehmann, hätte man streiten müssen. Doch heftige Debatten gab es weder bei den Beratungen über die Satzung noch bei der anschließenden Wahl der Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschuß.
In das Vorstandsgremium wurden drei Frauen und vier Männer gewählt. Die meisten Stimmen erhielt Rita Keil. Sie war seit Januar 1990 Mitglied bei Demokratie Jetzt und sowohl am runden Tisch als auch in der BVV-Mitte vertreten. Mit Uwe Lehmann und Anette Detering wurden zwei Abgeordnete in den Geschäftsführenden Ausschuß gewählt. Der ehemalige Naturschutzbeauftragte des Bezirks Mitte, Wolfgang Wustlich, wird ebenfalls in Parteivorstand und Parlament vertreten sein. Er wird im Januar für den ausscheidenden Abgeordneten Hans- Jürgen Fischbeck nachrücken. Der 61jährige Sprecher des Neuen Forums im Prenzlauer Berg, Eberhard Richter, das Gründungsmitglied von Demokratie Jetzt, Gisela Hagenguth, und der vietnamesische Jurist Ngyen van Hnong wurden als weitere Mitglieder in den Geschäftsführenden Ausschuß gewählt. Uwe Lehmann wird zudem zusammen mit dem Gründungsmitglied des Neuen Forums, Ingrid Brandenburg, Berlin im Bundessprecherrat des Bündnis 90 vertreten.
Wie Lehmann nach der Gründungsversammlung erklärte, müsse nun mit dem Neuaufbau des Bündnis 90 schleunigst begonnen werden. Zu einer ersten Bewährungsprobe wird es bei den Bezirkswahlen im Mai kommen. Dann muß sich die Gruppe gegen den Rest des Neuen Forums behaupten. Dessen Abgeordneter Reinhard Schult hat bereits angekündigt, eigene Personenlisten zu den Wahlen aufzustellen, doch auch die Westberliner Grünen, so argwöhnt Lehmann, würden immer dominierender. dr
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