: Obdachlose verlieren letzte Unterstützung
■ Innere Mission verabschiedet sich aus der Verantwortung für neue Notunterkunft: „Behörde unfähig“
Am Bahndamm in der Nähe des Jakobushauses stehen bereits die ersten Zelte: Obdachlose haben sich damit auf eigene Faust das provisorische Dach über dem Kopf verschafft, das Behörde wie Obdachlosenheim ihnen längst nicht mehr bieten können. Seit über einem Jahr verhandeln Sozialsenatorin und Innere Mission über die notwendige Erweiterung der Notunterkunft für die rund 200 Obdachlosen in Bremen. Die können Obdachlose, wenn überhaupt, nur im Jakobushaus kurzfristig eines von insgesamt 25 Betten der Notaufnahme ergattern. 30 neue Plätze sollten deshalb bis Herbst '91 geschaffen werden. Container soll es in diesem Winter ebensowenig wie Übernachtungen auf den Fluren des Obdachlosenheimes.
Gestern erklärte die Innere Mission die Verhandlungen endgültig für gescheitert. „Ohne uns“, teilte ihr Direktor, Pastor Manfred Schulken, gestern der Presse mit. Die Innere Mission werde die Betreuung der Obdachlosen in einer vom Senator für Soziales zur Verfügung gestellten Notunterkunft nicht übernehmen und lehnt „jegliche Mitverantwortung“ dafür ab, wenn im kommenden Winter obdachlose Menschen kein Dach über dem Kopf haben.
Schuld gibt die Innere Mission der Sozialbehörde: Über ein Jahr lang sei sie unfähig gewesen, gemachte Zusagen und öffentliche Erklärungen sowie einen entsprechenden Auftrag der Sozialdeputation vom März in „praktische Ergebnisse“ umzusetzen. „Es sind zwar mehrere Häuser in Aussicht gestellt worden“, berichtet Klaus Schaumann, Sprecher der Inneren Mission. Doch die hätten sich „nach genauerer Prüfung als ungeeignet“ erwiesen.
Seit Juni hatten Sozialsenatorin und Innere Mission über das alte Zollhaus im Europahafen verhandelt. Etliche Ortstermine hatten stattgefunden. Ortsamt, Hafensenator und Bundesvermögensamt waren mit dem Projekt einverstanden. Doch niemand in den Behörden dachte daran, den Zoll zu fragen. Und der, so berichtet Pastor Schulken, sperre sich jetzt gegen eine langfristige Nutzung des Hauses für Wohnzwecke. Begründung: Dies gefährde den Freihandel.
Alle anderen Projekte, die ihr vorgeschlagen wurden, bezeichnet die Innere Mission als indiskutabel: Den Anbau einer Fabrikhalle in Bremen-Nord, das Schiff im Hemelinger Allerhafen (auf dem bislang Asylbewerber aus Afrika leben), aber auch die Unterbringung in Hotels und Pensionen lehnt sie aus konzeptionellen Gründen ab. Dies hatte die Behörde zuletzt ins Gespräch gebracht und damit auch die Vorwürfe der Inneren Mission als „unbegründet“ zurückgewiesen.
In der Mindener Straße steht unterdessen seit April ein Haus leer, das die Bremische eigens für das Jakobushaus angemietet hat: Dorthin sollten „Wohnfähigere“ aus einer Langzeiteinrichtung (dann nur noch locker betreut) umziehen. Doch die Bremische hatte 120 Quadratmeter Keller mitgemietet: „Dann müßten unsere Leute über 700 Mark für ein Zimmer bezahlen — unzumutbar“, erklärte Kurt Huuk, Leiter des Jakobushauses gestern.
„Die Behörde muß sich andere Kooperationspartner suchen“, meint dann auch Pastor Schulken. „Im Winter schicken wir ihnen diejenigen, die wir nicht unterbringen können, direkt ins Tivolihaus.“
Birgitt Rambalski
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