: Das Leben nach dem Palo-Tuch
■ »Nie wieder Freak« mit »Zwei Drittel«
Seidenhemden auf der Bühne, Seidenhemden im Publikum — statt des Palo-Tuchs natürlich, das nur als Requisit einer untergegangenen Epoche ein kurzes Comeback bekommt: »Du, weißt du noch, damals!« Als die Fronten noch klar waren — hier Kreuzberg, da der Rest der Welt. Aber seit nichts mehr ist, wie es war, hat das Szene-Kabarett seine liebe Not: Spaß wollen alle haben, Unterhaltung gibt's eh schon zuviel, und betroffen macht höchstens noch das Banale. Daraus macht niemand gerne ein Numnmernprogramm — noch dazu eins mit Anspruch. Auch wenn Politik heute keinen mehr interessiert, ganz ohne geht es nicht. Und schon sind wir mittendrin — in der Wohngemeinschaftsdiskussion: Sie bringt Sinti mit nach Hause, die anderen — früher Kämpfer, heute Computerfachmänner — wollen aber in Ruhe Mensch-ärgere- Dich-nicht spielen. So isses, aber damit noch nicht komisch, deshalb der Witz am Schluß: Der Sinti war kein echter, sondern ein wandelnder Selbstversuch in Sachen Ausländerfeindlichkeit. Wenig gelacht, brav geklatscht, Thema abgehakt. Zu sehen war die 'Wiener‘-/'Tempo‘-Generation aus den frühen 80ern — hat die so lange bis Kreuzberg gebraucht?
Diese Nummer ist typisch für den Rest des Polit-Programms: Bemüht, den besseren Menschen in die 90er rüberzuretten, peinlich, wenn Gabi Schmalz zur Selbstbefreiung der Huren aufkräht. Eher belanglos geht's zu, wenn die Parodie gen Osten reitet, als ob da nichts Besseres zu finden wäre als Schwerter und Pflugscharen. Das einzige, was wir lernen: Der Osten ist schon so weit Westen, daß man sich darüber lustig machen darf. Und lustig können auch die »Zwei Drittel« sein, wenn sie am Medienalltag bleiben oder ganz abdrehen: Wenn Christoph Jungmann Harry Valerien in der Sportschau vertritt, wenn Robert Munziger auf Eros Ramazotti macht oder der Papst über die Vorzüge des Islam philosophiert: Dann wird es wirklich witzig, weil phantasievoll und nicht dem drögen politischen Zeitgeist abgerungen.
Nie wieder Freak ist deshalb keine Losung, sondern eine Notwendigkeit: Den Freak von damals gibt es gar nicht mehr, der Freak von heute trägt Seidenhemd. Trotzdem »Zwei Drittel« haben kaum Aussicht, zu den neuen Freaks zu gehören. Dafür ist die Truppe viel zu professionell geworden, was sie wohl selber zweitweise bedauert, sich deshalb der alten Zeiten erinnert und dabei merkt, wie weit sie die hinter sich gelassen hat. Dürfen wir sie jetzt bitte endgültig bewältigt haben? Also — Schwamm drüber, oder besser stilecht: Palo-Tuch darüber, und trotzdem: Sag niemals nie — der Freak lebt, auch wenn er nicht mehr so heißt. Lutz Ehrlich
Nie wieder Freak im Mehringtheater, Gneisenaustr. 2a, 1/61, bis zum 20.10., jeweils mi bis so, um 21Uhr.
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