: 18 Acts, sechs Tage, zwei Bühnen
■ Zum Jazzfest und Total Music Meeting '91
Das Jazzfest Berlin kann trotz leicht verknappter Mittel — Bund gibt keinen Zuschuß mehr — mit 18 Acts, an diesmal sogar sechs Tagen, über zwei Bühnen gehen. Die eine öffnet sich erst- und einmalig im Haus der Kulturen der Welt (die Philharmonie wird gerade renoviert), die andere letztmalig im Delphi.
Die ungewöhnliche Dauer des Jazzfestes resultiert aus dem geringen Fasssungsvermögen des HdKdW. Bei 1.000 Plätzen, nur knapp halb so viel wie sie die Philharmonie bieten kann, sind zwei Doppelkonzerte unumgänglich. George Gruntz, seit 18 Jahren künstlerischer Leiter des Berliner Festivals, erwartet das größte Publikumsinteresse beim Auftritt des »Art Ensemble of Chicago« mit »Lester Bowie's Brass Fantasy« und bei der Aufführung einer 18teiligen Suite von Charles Mingus. Epitaph heißt diese 500seitige Partitur, die erst posthum veröffentlicht und nur einmal zu Lebzeiten des Meisters gespielt wurde. Der amerikanische Komponist Gunter Schuller hat die hinterlassene Suite bearbeitet, vor einem Jahr uraufgeführt und wird sie mit einer hervorragend besetzten Big Band interpretieren, zur Eröffnung am 29.10. Das Delphi startet zwei Tage später, kurz vor Mitternacht, mit den Narrentänzen — »Danses des Bouffons« — des Ulmer Saxophonisten Michael Riessler und seines Sextetts sowie der akkustischen Band des Komponisten und Schlagzeugers Bobby Previte mit seiner Hardbop-Huldigung der Pferderennbahn: »Weather Clear, Track Fast.«
Das »Contempo Control« benannte diesjährige Thema gibt auch der international bekannten Berliner Jazzmusikerin Sibylle Pomorin die Chance, ihr langgehegtes »Song Project« in Starbesetzung vorzustellen. Sie ist, wie der Wahlberliner Gebhard Ullmann mit seinem Holfbläser-Quintett, keineswegs als bloße Konzession an den lokalen Jazz mißzuverstehen.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet Chicago. Mehr noch als das gleichnamige »Art Ensemble« wird die Big Band des Pianisten Muhal Richard Abrams mit den modernsten Klängen der alten Jazzmetropole aufwarten, nur noch eingeholt vom experimentierfreudigen Stilmischer der »Great Black Music«, Ed Wilkerson und seinen »Eight Bold Souls«. Freie Formen bevorzugt daneben der 60jährige Multiinstrumentalist Hal Russell und sein fünfköpfiges Ensemble, die mit ihrer überschäumenden Energiemusik bisher nur in drei Clubs von Chicago gelegentlich geduldet werden. Ob das John- McLaughlin-Trio mehr als nur Schönklang zu bieten hat, wird sich weisen — für den angekündigten gemeinsamen Auftritt mit Hal Russell würde der jedenfalls nicht ausreichen.
Einer von dem man nicht ohne weiteres My Favourite Things erwartet hätte, ist der geniale Dilettant David Moss, Schlagzeuger, Sänger und Gesamtkunstwerk aus No Wave/ New York. Der zukünftige Berliner DAAD-Stipendiat durchforstete sein Unbewußtes nach Einflüssen von James Brown bis John Coltrane für eine garantiert eigenwillige Präsentation.
Das Thema »Contempo Control« bietet ebenso Platz für den brillianten Posaunisten Ray Anderson wie für die perfektesten Faker seit den »Lounge Lizzards«, das »Microscopic Septet«. Fälschungssicherer Free Jazz wird dagegen ab 31.10. im Haus der Jungen Talente erklingen, das das »Total Music Meeting« in diesem Jahr beherbergt. Der Veranstalter Jost Gebers verpflichtete neun Musiker: Evan Parker, Peter Brötzmann und Charles Gayle (Saxophon), Fred Hopkins, William Parker und Peter Kowald (Bass) sowie Rashied Ali, Andrew Cyrille und Tony Oxley (Schlagzeug). Sie können sich frei zusammenfinden, vom Solo, Duo und Trio bis zur neunköpfigen Gruppenimprovisation. Es gibt nur eine Spielregel: Kein Auftritt darf länger als 30 Minuten dauern, dann wird neu gemischt. Diese Vorgabe und neun über die Free-Jazz-Szene hinaus bekannte Akteure versprechen ein kurzweiliges Meeting der improvisierten Musik. Peter Thomé
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