: Fast ein Familienunternehmen
■ Ein Theaterabend zum Leben Alexander Granachs
Alexander Granach sitzt auf einem Stuhl und gibt sich düsteren Gedanken hin, obwohl er es geschafft hat und als einer der großen Schauspieler Deutschlands gilt. Die Zeit: Ende der Weimarer Republik. Ein Baron tritt auf und kommt zu Alexander Granach auf die kleine Bühne des Basler Schauspiels. Miriam Goldschmidt spielt ihn, aristokratisch und mit leicht näselnder Stimme. Der Baron ist ein Gönner des Schauspielers und wird einen ärztlichen Eingriff finanzieren, der das größte Problem Granachs lösen soll — krumme Beine. Sie verlaufen nicht, wie etwa bei Charlie Chaplin, o-, sondern x-förmig und lassen ihn in der beständigen Furcht leben, er sei kein wirklich großer Charakterdarsteller. Eine nicht ganz unbegründete Befürchtung, es muß also ein Ausweg gefunden werden: Er läßt sich die Beine brechen und in Gips gerade richten, kurz darauf muß er vor den Nazis fliehen.
Während Granach sein Bein- Problem löste, braute sich über dem Haupt des jüdischen Schauspielers ein weitaus größeres Problem zusammen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, das er nicht mehr erlebt, schreibt er im amerikanischen Exil seine Autobiographie Da geht ein Mensch, die Miriam Goldschmidt jetzt zu einer szenischen Collage verdichtete und inszenierte. Es ist das dritte Mal, daß die ehemalige Schaubühnen-Schauspielerin Regie führt.
Nicht nur das. Sie spielt auch und schlüpft mit ihrer in allen Dialekten und Tönen beheimateten Stimme von einer Rolle in die andere: Kommt der kleine Alexander zur Welt, ist sie Hebamme und Dorfhexe, deren Beistand im lapidaren Kommando „Pressen“ besteht, kurze Zeit später tritt sie als ein etwas verschlafenes Freudenmädchen und Granachs erste Liebe aus der Tür — eine Berliner Hure, die von einem Alptraum verfolgt wird. Sie gab ihre kleine Tochter weg, und die wird in Basel von Miriam Goldschmidts Tochter gespielt. Zusammen mit ihrem Bruder ist sie vor allem dann auf der Bühne, wenn es um Granachs Jugend in der kinderreichen ostgalizischen Heimat geht, wo die Juden- und Christenkinder miteinander aufwuchsen, bevor sie aufeinander einschlugen. Die Goldschmidt-Kinder Lou und Amba waren in Basel schon häufiger auf der Bühne zu sehen und sind dort so zwanglos zu Hause, wie das nur Kinder sein können, denen noch keine Schauspielschule in die Quere kam.
Der Rückblick in die ostgalizische Jugend Alexander Granachs nimmt breiten Raum in Miriam Goldschmidts Collage ein, die mehr ist als eine Hommage an den Schauspieler. Wenn er dasitzt und sich seiner tragikomischen Lebensstimmung hingibt, könnte man auch in einer von George Taboris Slapstick-Arabesken gelandet sein, und es ist, als ringe sich Alexander Granach immer wieder zur Erkenntnis durch, daß sich das Leben besser ertragen läßt, wenn man es als intelligent gespielte Komödie nimmt und darüber hinwegsieht, daß es eine Tragödie sein will.
Daß in solch einem Fall auch ein Hund auf die Bühne darf, versteht sich, ob auch er zur Goldschmidt-Familie gehört, bleibt fraglich. Immer wenn er kommt, bringt er etwas mit, einmal ist es ein Revolver. Urs Bihler allerdings — der sich mit Zbigniew Bryczkowski als Alexander Granach abwechselt — benützt ihn nicht. Warum auch? Er wird sich die X- Beine brechen lassen. Urs Bihler übrigens, und daran besteht kein Zweifel, gehört zur Familie, als Miriam Goldschmidts Ehemann und Vater der beiden Jung-Schauspieler.
„Fast ein Familienunternehmen“ könnte also der Untertitel zu diesem Spiel um Granachs Leben lauten, das in den dreißiger Jahren, als die Nazis die Macht bekamen, so gänzlich unfamiliär verlief. Die Hamburger „Schauspiel-Freunde“ kannten ihn plötzlich nicht mehr, seine Garderobe mußte er an Gustav Gründgens abgeben. Es folgte die Flucht nach Amerika, wo er (wie Peter Lorre) kleine Rollen in Hollywood-Filmen erhielt — er, der von Max Reinhardt entdeckt worden war, unter Piscator und Brecht spielte und als der Shylock der Weimarer Republik galt. Auch Shakespeares venezianischer Kaufmann taucht in der Basler Inszenierung immer wieder auf, und wenn Miriam Goldschmidt die Shakespeare-Sätze spricht, rollt sie das R so vehement, daß sich auch das nicht so tragisch anhört wie in der Tragödie. Jürgen Berger
Da geht ein Mensch. Nach Alexander Granach von Miriam Goldschmidt. Regie: Miriam Goldschmidt. Bühne: Andreas Tschui. Mit Miriam Goldschmidt, Urs Bihler, Zbigniew Bryczkowski, Amba und Lou Bihler-Goldschmidt. Theater Basel. Weitere Vorstellungen: 12., 26. und 27.10.
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