piwik no script img

Das dritte Jahr. Ein Arbeitsbericht.

Wie es 1991 weiterging in der Chronik eines angekündigten Todes  ■ Von Carmel Bedford

Die Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Tore mitten in der Kontroverse, die mit der „Fatwa“ begann, die Ayatollah Khomeini 1989 gegen den Autor Salman Rushdie und alle, die an der Veröffentlichung und Verbreitung der Satanischen Verse beteiligt sind, verhängte. Dieses Jahr begann mit Rushdies Erklärung, er kehre in die muslimische Gemeinschaft zurück. Doch hat die terroristische Bedrohung gegen Rushdie und alle, die mit ihm zusammenarbeiten, nicht im geringsten nachgelassen.

Anfang Dezember 1990 wurde Salman Rushdies Vorhaben, sein Versteck zu verlassen, fürs erste zunichte, weil Kalim Siddiqui, der Direktor des British Muslim Institute, sich persönlich ins Flugzeug setzte und in den Iran reiste, um sicherzustellen, daß das Todesurteil weiter in Kraft bleibt. Gegen das Argument, daß Rushdie sich im Gespräch mit gemäßigten Muslimführern über die Bedingungen, unter denen er ein halbwegs normales Leben wieder aufnehmen könne, befinde, bestand Siddiqui darauf, daß sich die Haltung der iranischen Regierung überhaupt nicht geändert habe. Zwischen Dezember 1990 und Januar 1991 wurde die Todesdrohung gegen Rushdie von drei prominenten iranischen Mullahs erneuert, zwei davon gehören der Regierung in Teheran an.

Ebenfalls im Januar 1991 wurde der Iraner Mehrdad Kokabi, eingeschrieben als Student am Manchester Institute of Science and Technology, am Londoner High Court vor Gericht gestellt. Die Anklage lautete auf konspirative Planung und Durchführung von Brand- und Bombenanschlägen, die im Frühjahr und Herbst 1989 auf Buchhandlungen verübt wurden, weil dort die Satanischen Verse verkauft wurden. Mehrere andere Iraner, die zusammen mit ihm verhaftet worden waren, wurden ausgewiesen. Die Anschläge verursachten Schäden in Höhe von 200.000 Pfund; ein irischer Tourist wurde dabei verletzt.

Im März 1991 wurde die Anklage gegen Kokabi fallengelassen und statt dessen seine Ausweisung empfohlen. Der vorsitzende Richter bezeichnete seine Entscheidung als eine „rein justizielle Verfügung“ und wies dabei darauf hin, daß die Beweise gegen Kokabi überwältigend, aber keineswegs „zwingend“ seien. Er hatte erfahren, daß neun Iraner, die aus Teheran angeflogen kamen, um als Entlastungszeugen aufzutreten, von den Beamten der Einwanderungsbehörde in Heathrow dermaßen eingeschüchtert worden seien, daß sie mit dem nächsten Flugzeug zurückflogen und sich weigerten, nochmal nach London zu kommen. Das britische Innenministerium bestritt jede Einschüchterung von Zeugen und erklärte, daß der Ausweisungsbeschluß gegen Kokabi aufrechterhalten bleibe, auch wenn die Anklage gegen ihn fallengelassen worden sei.

Das britische Außenministerium hingegen bestritt jede Verbindung zwischen der Entscheidung, die Anklage gegen Kokabi fallen zu lassen, und dem Schicksal der britischen Geiseln im Libanon. Die iranische Regierung machte allerdings keinen Hehl aus der Tatsache, daß für ihren Geschmack die beiden Fälle tatsächlich miteinander zu tun hatten. Während Kokabi in Abschiebehaft saß, kam es in Teheran vor der britischen Botschaft wiederholt zu Demonstrationen, auf denen seine Freilassung verlangt wurde.

Am 15. März wurde Kokabi aus England abgeschoben und in Teheran von einer Abordnung, der ein Regierungsmitglied und mehrere Abgeordnete angehörten, wie ein Held empfangen. Wie es heißt, beschwor Kokabi die Anwesenden, den „heiligen Idealen“ des Ayatollah Khomeini treu zu bleiben. Außerdem erklärte er, daß Salman Rushdie umgebracht werden müsse. Weiter war zu hören, daß Mehrdad Kokabi zum Sonderberater der iranischen Regierung im Wissenschaftsministerium ernannt wurde. Zu seinem Tätigkeitsbereich gehört die Plazierung der im Ausland weilenden iranische Studenten.

Am 2. März 1991 meldetete Radio Teheran, daß iranische Mullahs, die an einer internationalen muslimischen Konferenz teilnahmen, darauf hinwiesen, daß die Fatwa nach wie vor in Kraft sei, und mahnten bei der Gelegenheit die rasche Vollstreckung der über Rushdie verhängten Todesstrafe an. Auf dieser Konferenz verdoppelte Hassan Sanei, ein iranischer Geistlicher, der der Bewegung des 5. Juni angehört, die Belohnung auf zwei Millionen Dollar, die dem winkt, der den Schriftsteller umbringt.

Die britische Regierung schwieg hartnäckig. Als das „International Committee for the Defence of Salman Rushdie and his Publishers“ ihr deshalb zusetzte, lautete die dürre Antwort, daß sich jegliche Stellungnahme kontraproduktiv auswirken könnte. Wiederholt ließ sie erklären, daß eher mit Geheimdiplomatie etwas zu erreichen sei. Gleichwohl wurde die Zahl von Rushdies Leibwächtern im Frühjahr vergrößert, weil man fürchtete, von Teheran bezahlte Killerkommandos wären ihm bereits auf der Spur.

Die Versöhnungsgesten, die Salman Rushdie letztes Jahr zu Weihnachten machte, wurden von zwei Imams, die Zeugen seiner Heimkehr in den Schoß des Islams waren, für ungenügend erklärt. Obwohl sie in seinem Buch eine Beleidigung des Islams sahen, hatten Scheich Gamal Manna Solaiman und Scheich Hamed Khalifa von der Londoner Hauptmoschee der muslimischen Gemeinde nahegelegt, Rushdies Bekehrung anzunehmen.

Ihr Treffen mit Rushdie erzürnte orthodoxe Muslime an der Hauptmoschee, darunter Yusuf Islam, der in einem früheren Leben unter dem Namen Cat Stevens Popmusiker war. Keiner der beiden Imame konnte mehr das Freitagsgebet leiten, ohne daß Gläubige heftig protestierten. Unter diesem Druck wurden beide gezwungen, ihre Position zu revidieren.

Im Mai 1991 verlasen die beiden Imame eine Entschuldigung für den „Fehler“, mit Salman Rushdie zusammengetroffen zu sein; Salman Rushdie war vom Glauben abgefallen, und er hatte die Satanischen Verse nicht vollständig zurückgezogen. Gemäßigte muslimische Gelehrte in England erklärten: „Wir stehen wieder ganz am Anfang“ und sagten, daß die Erklärung erst nach dem „gewaltigen Druck einer fanatischen Minderheit“ zustandegekommen sei. Tariq Azim-Khan vom muslimischen Forum erklärte: „In der muslimischen Gemeinde gibt es ein paar extremistische Elemente, die mit allen Mitteln die Affäre Rushdie am Kochen halten, weil ihr eigenes Überleben als Mullahs von ihr abhängt.“

Im Juli 1991 behaupteten die iranischen Volksmudschaheddin, erklärte Gegner der Regierung in Teheran, daß ein iranisches Killerkommando in England eingetroffen sei, um das Todesurteil gegen den Schriftsteller zu vollstrecken. Sie behaupteten weiter, daß andere Kommandos nach Italien, Japan, Frankreich, in die Schweiz, nach Deutschland, Kanada, Nigeria und Algerien in Marsch gesetzt seien.

Daß am 12. Juli — neun Tage nach dem Überfall auf Ettore Capriolo, den italienischen Übersetzer von Salman Rushdies Roman — Hitoshi Igarashi, sein japanischer Übersetzer, umgebracht wurde, zeigt überdeutlich, daß die Fatwa nicht nur gegen den Autor, sondern darüber hinaus gegen alle, die mit der Veröffentlichung der Satanischen Verse zu tun haben, nach wie vor besteht. Diese alarmierende Entwicklung konnte den entsprechenden Regierungen nur sehr müde Reaktionen abringen.

Zwei führende britische Muslime, Laiqat Hussain, der Präsident des Bradford Council of Mosques, und Abdul Quddus, ein früheres Mitglied, reagierten mit den Worten: „Alle, die mit dem Buch zu tun haben, gleich ob als Autor oder Übersetzer, müssen sich über die Folgen im klaren sein.“ Sie fügten hinzu, daß der Mord am japanischen Übersetzer und der Überfall auf seinen italienischen Kollegen „vollkommen gerechtfertigt“ seien.

Vor zweieinhalb Jahren wäre allein die Idee, daß ein Übersetzer umgebracht wird, weil er seinen Beruf ausgeübt hat, genauso grotesk erschienen, wie die jetztige Aktualität schrecklich und völlig unerwartet ist. Eben sind die Satanischen Verse in polnischer Übersetzung publiziert worden. Der Name des Übersetzers wird geheimgehalten, doch ist die schon bestehende Liste mit Salman Rushdies Übersetzern und Mitarbeitern lang. Offensichtlich hat in den seither vergangen zwei Jahren weder die Ernthaftigkeit noch das Ausmaß der ursprünglichen Bedrohung nachgelassen, und die Hoffnung, daß die ganze Angelegenheit sich mit der Zeit in Wohlgefallen auflösen könnte, ist ebenso vergeblich wie gefährlich.

Die zurückgenommene Entscheidung der Frankfurter Messeleitung, iranische „private“ Verlage zuzulassen, erscheint um so absurder, wenn man sich die Situation des iranischen Verlagswesens vergegenwärtigt: Bald nach der Revolution 1979 im Iran wurden vierzig Zeitungen verboten, viele tausende von Büchern vernichtet, indem man Buchhandlungen und private Sammlungen verbrannte, und außerdem ein Gesetz verabschiedet, nach den Zeitungen nur mehr mit besonderer Erlaubnis erscheinen durften. Ende 1984 waren praktisch alle privaten Verlage im Iran geschlossen. Man schätzt, daß allein zwischen 1979 und 1987 wenigstens eintausend Bücher verboten wurden.

Heute kontrolliert das Zentralbüro für das Presse- und Verlagswesen (unter der Federführung des Ministeriums für islamische Orientierung) die Veröffentlihung aller Bücher, also auch aller Romane, Kinderbücher, Lyrik, Geschichte und wissenschaftlichen Texte, religiöser und kunstgeschichtlichen Literatur und alles, was in fremden Sprachen erscheint.

Alle Verlage werden vom der Inspektionsabteilung (IA) überwacht, und die aktuelle Arbeit wird genau überprüft. Vertreter der IA kontrollieren und notieren die Ziffern am Zähler der Druckmaschinen, legen ganz genau die Auflagenhöhe jedes einzelnen Buches fest, das zur Veröffentlichung vorgesehen ist. Wenn die Druckerlaubnis vorliegt, wird ein Fahnenexemplar in der Beurteilungsabteilung (BA) des Zentralbüros für Presse- und Verlagswesen eingereicht, damit das Buch den Ausgangsstempel erhält. Erst wenn sie diesen Stempel erhalten haben, dürfen die Verlage die Satzfahnen zum Druck befördern.

Die Überprüfung eines Manuskripts mag ein paar Tage, kann aber auch etliche Monate dauern. Sollte das Werk als regierungsfeindlich eingestuft werden, wird es eingestampft. Werden Änderungen verlangt, müssen die Änderungen in den Fahnen so angebracht werden, daß die Zensureingriffe nicht nachzuweisen sind. Abgelehnte Fahnen werden im Beisein von Vertretern der BA vernichtet, neue Fahnen sind wiederum dem Ministerium für geistige Führung vorzulegen.

Die Bewertungsabteilung im Ministerium für geistige Führung kontrolliert den Verkaufspreis jedes Buches. Der „festgelegte“ Preis muß auf dem Buchumschlag genannt sein, bevor es an das AD um die endgültige Veröffentlichungserlaubnis zurückgeschickt wird. Die Preisgestaltung ist ein ungeheuer wirksames Zensurinstrument. Begünstigte Verlage und von der Regierung ernannte Verleger genießen zahlreiche Vorteile, erhalten Sonderzuteilungen an Papier und dürfen ihre Bücher so auszeichnen, daß der Preis nicht den Kosten, sondern dem Marktdurchschnitt entspricht. Verlage mit religiösen Texten oder Veröffentlichungen der Regierungen bekommen einen „fairen“ Preis und sind in der Lage, damit deutliche Gewinne einzustreichen. Verlage, die dieses Vertrauen nicht genießen, arbeiten mit Verlust. Alle unabhängigen Verlage haben sich mittlerweile damit abgefunden, daß Erstausgaben Verlust machen. Sie zögern deshalb, neue Titel zu veröffentlichen, solange sie an einer Zweitauswertung verdienen können.

Die Zuteilung von importiertem Papier ist eine weitere, höchst wirkungsvolle Zensurmaßnahme. Die Masse des vorhandenen Papiers geht an Regierungsstellen für amtliche Veröffentlichungen und Propaganda. Regierungsfreundliche Tageszeitungen erhalten eine regelmäßige Zuteilung; die übrigen Blätter bekommen ihr Papier vom Ministerium für geistige Führung zugeteilt. Auf dem „freien“ Markt ist Papier nur zu exorbitanten Preisen erhältlich. Wegen der hohen Inflationsrate haben sich einige Kunden häufig schon darauf eingestellt, für nichtsubventionierte Bücher mehr als den aufgedruckten Preis zu erlegen, doch dem Verlag oder der Buchhandlung drohen Strafverfolgung wegen Geschäftemacherei.Übersetzung aus dem Englischen: Willi Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen