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Deutsch oder undeutsch?

■ Zum Wiedervereinigungs-Duden, Ausgabe letzter Hand

Ob die Wiedervereinigung die Sprache wieder „aufdeutschen“ wird, ob sich der Sprachkerker wieder schließen wird? Ob der deutsche Morgen wieder graut? Was viele Puristen beklagen, die Durchdringung des Deutschen mit „Fremdwörtern“, hat doch gerade das Deutsche als dritte Weltsprache — in der ISBN-Klassifizierung der Bücher in den internationalen Bibliotheken ist es nämlich Nr.3 — wieder salonfähig gemacht.

Die große Gefahr, der das Deutsche ausgesetzt ist, kommt nicht von außen: Das kann das Deutsche allerbestens verdauen. Der Reichtum der deutschen Sprache kommt ja gerade durch die Sinnbereicherung, die von den Doubletten erzeugt wird: Passion und Leidenschaft, Sensibilität und Empfindsamkeit oder Prinzip und Grundsatz und unzählige andere, wie Mario Wandruszka gezeigt hat. Die „Fremdwörter“ verbinden das Deutsche mit den anderen Sprachen: sie sind wie die Stadt Hamburg „Tor zur Welt“, und es ist gerade unter anderen eine der Eigenschaften des Deutschen, die Wörter aus anderen Sprachen schneller zu naturalisieren als die Menschen: Wieder eine deutsche Paradoxie, ohne daß das Wesen der Sprache von diesen Importationen irgendwie gestört würde — nach wie vor endet der Nebensatz mit dem Konjunktiv.

Wie gesagt: Das Deutsche hat einen dicken Bauch, und daß der „Wiedervereinigungs-Duden“ die Importwörter nicht vor der Tür stehen läßt, zeigt sein Sprachgefühl. Von den französischen, italienischen und den pittoresken jiddischen Wörtern — von all dieser „kosmopolitischen“ Importware wird das Deutche ständig belebt, animiert; es wird dadurch zur Weltsprache.

Die Gefahr, der die deutsche Sprache ausgesetzt ist, kommt von innen, vom Reinheitsfimmel, der die deutsche Sprachwissenschaft, also die Philologie, im 19. Jahrhundert befiel und deren Ergebnis wir zu Genüge kennen. Deutsch als Ursprache, als einzige, die mit dem Griechischen fähig wäre, bis zum Denken durchzukommen: Man weiß, daß das „Denken“ Heidggers auf einer solchen Albernheit fundierte. Man weiß aber auch — und beides hängt zusammen —, daß der absolute Mord, die Ausradierung ganzer Völker und Zehntausender von „lebensunwerten“ Kindern auf dieser stupenden Behauptung gegründet war. Daß eine Sprache, wenn sie verbrecherisch manipuliert wird — und alle Diktatoren, das heißt ja: alle Kriminellen, wollen immer die Sprache manipulieren und bereinigen —, auch zum Mordinstrument werden kann, und das war das Hitlerdeutsch, welches ja auch Heidegger sprach: Das hat unsere Zeit zu Genüge gezeigt.

Daß das Deutsche seine Zugänglichkeit mit Exklusivität und sogar mit Vollkommenheit verwechseln kann, ist die wirkliche Gefahr, die dieser Sprache droht; gerade daß sich das Deutsche in letzer Zeit des nationalen Anspruchs entledigt hat, hat zum Prestige des Deutschen im Ausland und besonders in Frankreich beigetragen. Die Errungenschaft des Deutschen nach den fürchterlichsten Jahren seiner Geschichte ist sozusagen der Ansatz zu seiner Internationalisierung gewesen. Je weniger sich das Deutsche den Einflüssen der Außenwelt verschließt, desto ausrucksvoller und kräftiger wird es. Die Reinheit der deutschen Sprache ist ihre Öffnung nach außen, ihre klare, deutliche Syntaktik. Je weniger man sich vor Fremdwörtern fürchtet, desto heller und deutlicher wird das Deutsche. Aber je „deutscher“ man schreiben will — d.h. partikularistisch, desto verschrobener, dunkler, gestelzter und undeutlicher wird es. Wie es der Schriftsteller Ludwig Hohl, der nun wirklich wußte, was es heißt, deutsch zu schreiben, einmal sagte: „Deutsch lernen kann man nur in Frankreich und besser noch durch das Lateinische.“

Georges-Arthur Goldschmidt

Duden. Maßgebend in allen Zweifelsfällen. Bibl. Institut Mannheim, 793 S., DM 32,-.

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